Vor ein paar Jahren wurde ein ehemaliger Kollege von mir zum Abteilungsleiter befördert. Klaus. Es war Klaus, der seine E-Mails mit „einen sonnigen Tag und auf einen baldigen Feierabend“ beendet und dessen größte berufliche Errungenschaft darin bestand, Montagsmeetings auf Dienstag zu verschieben. Während ich ihm gratulierte – was ich aufrichtig tat –, bemerkte ich etwas Vertrautes und Unangenehmes in meiner Magengegend. Das war nicht Hunger. Es war Neid.
Ich gestehe das nur ungern, weil Neid in den meisten Gesellschaftskreisen etwa so populär ist wie Mundgeruch. Aber ich bin in guter Gesellschaft: Bereits Aristoteles nannte Neid eines der schmerzhaftesten menschlichen Gefühle. Und wie sich herausstellt, könnte dieser alte Grieche auf etwas Wichtiges gestoßen sein – nicht nur über Neid, sondern über die ganze merkwürdige Art, wie wir Menschen funktionieren.
Die Sache mit dem Neid ist, dass er uns seit Anbeginn der Menschheit begleitet. Kain und Abel wäre im Grunde die erste dokumentierte Geschichte über Beförderungsneid, nur dass es damals um göttliche Anerkennung ging statt um Eckbüros. Die Geschichte endete, wie wir wissen, nicht gut für Abel.
Die alten Griechen unterschieden klug zwischen zwei Arten von Neid. Phthonos war der zerstörerische Neid – das Gefühl, das sagt: „Wenn ich es nicht haben kann, sollst du es auch nicht haben.“ Aber dann gab es Zelos, den anspornenden Neid, der eher meinte: „Ich möchte verstehen, was dich erfolgreich gemacht hat, damit ich es auch versuchen kann.“
Interessant ist, dass wir im Deutschen kein Wort für diesen positiven Neid haben. Wir haben Schadenfreude – die Freude am Unglück anderer – aber keinen Begriff für die konstruktive Variante des Neids. Das sagt vermutlich etwas über unsere Kultur aus.
Moderne Neurowissenschaftler haben mit ihren Gehirnscannern herausgefunden, dass Neid buchstäblich wehtut. Wenn wir neidisch sind, leuchten dieselben Hirnregionen auf wie bei physischem Schmerz. Neid aktiviert den dorsalen anterioren cingulären Cortex, der normalerweise anspringt, wenn wir uns den Zeh stoßen.
Das erklärt einiges. Kein Wunder, dass ich mich nach Klaus Beförderung fühlte, als hätte mir jemand in die Rippen geboxt. Mein Gehirn behandelte seine gute Nachricht wie eine persönliche Verletzung.
Evolutionsbiologen vermuten allerdings, dass dieser Schmerz einen Zweck hat. Genau wie physischer Schmerz uns vor Gefahren warnt, könnte emotionaler Schmerz uns dabei helfen, soziale Landschaften zu navigieren. Neid ist möglicherweise unser internes GPS-System für sozialen Status und Ressourcen.
Denken Sie daran: Wir beneiden normalerweise nicht Elon Musk oder Meryl Streep. Wir beneiden Klaus aus dem Nebenzimmer. Warum? Weil Klaus uns ähnlich ist. Und Ähnlichkeit signalisiert Möglichkeit. Unser Gehirn denkt im Grunde: „Wenn er es schaffen kann, könnte ich es auch.“
Hier kommt etwas wirklich Faszinierendes: Studien zeigen, dass wir uns an Details über Menschen, die wir beneiden, mit außergewöhnlicher Genauigkeit erinnern. Ihre Strategien, ihre Gewohnheiten, ihre Entscheidungen brennen sich mit der Klarheit eines Traumas in unser Gedächtnis ein.
Ich kann Ihnen bis heute erzählen, wie eine Freundin eine Arbeit strukturiert hat (die übrigens eine Note besser war als meine). Ich erinnere mich an jedes Detail ihres Vorgehens, obwohl das zwanzig Jahre her ist. Sie ist, ohne es zu wissen, einer meiner gründlichsten Lehrmeister geworden.
Das deutet auf etwas Bemerkenswertes hin: Neid könnte der Mechanismus der Natur sein, um sicherzustellen, dass wir von erfolgreichen Menschen lernen. Diejenigen, die unseren Neid auslösen, werden zu unseren unwissentlichen Mentoren.
Moderne Forschung zeigt aber noch etwas Anderes: Menschen, die offen über ihre Schwierigkeiten und Rückschläge sprechen, lösen weniger zerstörerischen Neid aus als die, die nur ihre glänzenden Erfolge präsentieren.
Das erklärt, warum Klaus nach seiner Beförderung sofort erzählte, wie nervös er sei und dass er sich völlig unvorbereitet fühle. Plötzlich war mein Neid nicht mehr so scharf. Er wurde zu einer Art... nun ja, fast zu Mitgefühl.
Vielleicht beneiden wir gar nicht den Erfolg selbst, sondern das Erscheinungsbild mühelosen Erfolgs. Wir beneiden die Illusion, nicht die Realität.
Vor ein paar Jahren bekam ich einen kleinen Preis für ein Projekt. Nichts Weltbewegendes, aber ich war stolz. Eine Bekannte, mit der ich bis dahin gut ausgekommen war, gratulierte mir – und mied mich danach drei Wochen lang. Ihre E-Mails wurden einsilbig, wenn wir uns zufällig wo trafen, verließ sie schnell den Raum.
Das ist die andere Seite der Neid-Medaille: Wenn man selbst zur Projektionsfläche wird. Und ehrlich gesagt, das fühlt sich mindestens so unangenehm an wie der eigene Neid.
Die Versuchung ist groß, den eigenen Erfolg herunterzuspielen. „Ach, das war nichts Besonderes“ oder „Ich hatte einfach Glück“. Aber das wirkt meistens unaufrichtig und hilft niemandem wirklich weiter.
Was tatsächlich hilft, ist, die ganze Geschichte zu erzählen, nicht nur das Happy End. Damit meine ich nicht falsche Bescheidenheit, sondern echte Transparenz. Die schlaflose Nacht vor der Präsentation. Die zwei Projekte, die vorher gescheitert waren. Die Momente des Zweifels. Das macht den Erfolg nicht kleiner, aber es macht ihn menschlicher. Und es gibt anderen eine Landkarte: Wenn andere diesen Weg auch gehen wollen, können sie sehen, was es wirklich kostet.
Noch etwas hat funktioniert: Die Stärken des anderen aktiv zu würdigen. Nicht als Trostpflaster („Du bist auch toll!“), sondern aufrichtig. Meine Bekannte war brillant in Dingen, in denen ich mittelmäßig war. Als ich das aussprach – konkret und ehrlich – taute sie auf.
In Österreich und Deutschland haben wir ein interessantes Verhältnis zum Neid entwickelt. Wir haben den Begriff Schadenfreude in die Weltsprachen exportiert, aber kein Wort für konstruktiven Neid. Das könnte daran liegen, dass unsere Kultur Erfolg oft als Nullsummenspiel betrachtet: Wenn du gewinnst, verliere ich.
Andere Kulturen gehen anders damit um. In manchen asiatischen Gesellschaften gibt es ausgeklügelte soziale Rituale, um mit Neidgefühlen umzugehen. In Amerika feiert man individuellen Erfolg, bietet aber wenig Hilfe beim Umgang mit den emotionalen Folgen. Wir Europäer neigen dazu, Erfolg zu misstrauen und Neid zu pathologisieren.
Nach Klaus Beförderung und meinem kleinen Ausflug in die Neid-Literatur bin ich zu einigen praktischen Schlüssen gekommen:
Erstens: Neid ist eine Information, keine Identität. Wenn ich neidisch bin, verrät mir das etwas über meine unausgesprochenen Wünsche und Ziele. Klaus zu beneiden sagte mir, dass ich offenbar selbst Führungsverantwortung übernehmen wollte – eine Erkenntnis, die mir vorher nicht so klar war.
Zweitens: Transparenz entwaffnet Neid. Als Klaus über seine Ängste sprach, wurde er vom Rivalen zum Kollegen. Vielleicht sollten wir alle öfter über unsere Zweifel sprechen statt nur über unsere Triumphe.
Drittens: Neid kann ein Lehrmeister sein. Anstatt mich für meine Gefühle zu schämen, kann ich sie als Forschungsauftrag betrachten: Was macht Klaus erfolgreich? Was kann ich von ihm lernen?
Am Ende zeigt uns Neid etwas Fundamentales über das Menschsein: Wir sind vergleichende Wesen. Das ist nicht unsere Schwäche, es ist unser evolutionärer Vorteil. Vergleiche haben uns geholfen zu überleben, zu wachsen, Gesellschaften zu bauen.
Die Stoiker hatten einen Punkt, als sie sagten, Emotionen seien Informationen, keine auszuführenden Befehle. Marcus Aurelius schrieb: „Wie viel Zeit gewinnt er, der nicht darauf achtet, was sein Nachbar sagt oder tut oder denkt, sondern nur darauf, was er selbst tut.” Aber vielleicht ist die Weisheit nicht, nie zu schauen, sondern anders zu schauen: nicht um zu urteilen, sondern um zu lernen.
Die Frage ist nicht, ob wir neidisch sind – das sind wir. Die Frage ist, was wir mit diesem merkwürdigen, schmerzhaften, lehrreichen Gefühl anfangen, wenn es das nächste Mal anklopft. Bei mir hat es funktioniert: Ich habe mich diese Woche für ein Führungsseminar angemeldet.
Ich glaube, Klaus wäre stolz auf mich. Falls ich es ihm erzählen würde. Was ich aber wahrscheinlich nicht tun werde.
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