Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard nannte Angst „den Schwindel der Freiheit“. Es ist ein bemerkenswertes Bild: Wir stehen am Rand unserer Möglichkeiten, schauen in den Abgrund dessen, was wir werden könnten, und werden schwindelig von der schieren Weite unserer Wahlmöglichkeiten. Die Angst entsteht nicht aus dem Mangel an Optionen, sondern aus ihrem Überfluss.
Ich denke oft an Kierkegaard, wenn ich mit Menschen spreche, die in ihrer Karriere feststecken. Neulich sprach ich mit einer Führungskraft, Mitte vierzig, die seit Jahren dieselbe Position innehat, obwohl sie überqualifiziert ist. „Ich weiß nicht, was ich will“, sagte sie. Aber das stimmte nicht ganz. Das Problem war nicht Unwissenheit. Vielmehr war es die Angst vor der Konsequenz des Wissens. Denn wenn wir wissen, was wir wollen, müssen wir auch die Verantwortung übernehmen, es zu verfolgen oder bewusst darauf zu verzichten. Beides erfordert Mut.
Das ist die paradoxe Natur der Angst: Sie schützt uns, indem sie uns lähmt. Und im beruflichen Kontext – in Konferenzräumen, bei Gehaltsverhandlungen, bei der Entscheidung für oder gegen einen Karriereschritt – zahlen wir einen hohen Preis für diesen vermeintlichen Schutz.
Unsere Angst ist uralt, aber unsere Welt ist neu. Das ist das fundamentale Problem.
Der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux hat gezeigt, dass unsere Amygdala, also das Angstzentrum des Gehirns, auf Bedrohungen reagiert, lange bevor unser rationaler Kortex überhaupt verstanden hat, was vor sich geht. Diese Millisekunden-Reaktion war überlebenswichtig, als ein Rascheln im Gebüsch ein Raubtier bedeuten konnte. Aber heute? Heute interpretiert dieselbe Amygdala eine E-Mail vom Chef, eine Stille im Zoom-Call oder einen LinkedIn-Post eines erfolgreichen Kollegen als existenzielle Bedrohung.
Es ist, als würden wir mit einem Kompass aus dem 15. Jahrhundert versuchen, ein Flugzeug zu navigieren. Das Instrument funktioniert einwandfrei, es zeigt immer noch den magnetischen Norden an. Aber die Geschwindigkeit, die Höhe, die dreidimensionale Komplexität unserer modernen Reise überfordern ein Werkzeug, das für langsamere, erdgebundenere Bewegungen entworfen wurde.
Die Statistiken bestätigen, was viele von uns intuitiv spüren: Zwischen 2008 und 2018 verdoppelte sich die Rate diagnostizierter Angststörungen bei jungen Erwachsenen in den USA auf etwa 15%. Bei Kindern und Jugendlichen stieg sie während der Pandemie auf über 20%. Diese Zahlen sind nicht nur Datenpunkte, sie sind Symptome einer tieferen Fehlanpassung zwischen unserer biologischen Ausstattung und unserer sozialen Realität.
Die Forschung deutet auf soziale Medien als Hauptverdächtigen hin. Der durchschnittliche Teenager verbringt fast fünf Stunden täglich in digitalen Räumen, die für Interaktion optimiert sind, nicht für Wohlbefinden. Studien zeigen einen klaren Zusammenhang: Mehr Zeit online korreliert mit höherem Risiko für Angststörungen. Aber die Pandemie hat noch etwas anderes offenbart, nämlich dass Isolation, finanzielle Unsicherheit und der Verlust von Routine und Gemeinschaft unsere psychische Widerstandsfähigkeit auf eine Weise untergraben, die wir noch nicht vollständig verstehen.
Im beruflichen Kontext wird Angst zu einem philosophischen Problem ersten Ranges. Denn hier kollidiert sie mit einer der zentralen Fragen des modernen Lebens: Wie können wir authentisch sein in Räumen, die Performanz verlangen?
Der Existenzphilosoph Martin Heidegger unterschied zwischen dem, was er „eigentliches“ und „uneigentliches“ Dasein nannte. Uneigentlich leben wir, wenn wir uns von den Erwartungen anderer treiben lassen, wenn wir uns in der Konformität verlieren. Eigentlich leben wir, wenn wir unsere eigene Endlichkeit anerkennen und bewusst wählen, wer wir sein wollen.
Angst im Beruf ist oft die Angst vor dem eigentlichen Leben. Wir schweigen in Meetings, weil wir befürchten, beurteilt zu werden. Wir melden uns nicht für das riskante Projekt, weil Scheitern unsere sorgfältig konstruierte Identität bedrohen könnte. Wir optimieren für Sicherheit statt für Bedeutung.
Aber hier liegt ein tiefes Paradox: Die Sicherheit, die wir durch Vermeidung zu erlangen hoffen, ist eine Illusion. Was wir wirklich gewinnen, ist nicht Sicherheit, sondern Stagnation. Und Stagnation hat ihre eigenen Kosten. Es ist eine schleichende Unzufriedenheit, das Gefühl, am Ende unseres Lebens nicht wirklich gelebt zu haben.
Der Psychologe Rollo May schrieb: „Der Gegensatz zur Angst ist nicht Mut, sondern Kreativität“. Das ist eine radikale Aussage. May meinte damit, dass wir Angst nicht durch bloße Willenskraft überwinden, sondern indem wir etwas Neues schaffen wie eine neue Beziehung zu unserer Arbeit, eine neue Art, uns zu verstehen, einen neuen Weg, in der Welt zu sein.
Philosophie ohne Praxis bleibt abstrakt. Also: Was tun wir konkret mit dieser Erkenntnis?
Erstens müssen wir lernen, Angst als Information zu behandeln, nicht als Befehl. Stoiker wie Marcus Aurelius, Epiktet, Seneca verstanden das bereits vor zweitausend Jahren. Sie lehrten die Unterscheidung zwischen dem, was in unserer Kontrolle liegt, und dem, was nicht. Ob wir in einer Präsentation nervös sind, liegt nicht gänzlich in unserer Kontrolle. Ob wir trotz dieser Nervosität präsentieren, schon. Der moderne Ansatz der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) baut auf dieser Weisheit auf. Studien zeigen, dass Menschen, die lernen, ihre Angst zu akzeptieren, indem sie sie beobachten, ohne von ihr kontrolliert zu werden, funktionaler handeln als jene, die versuchen, sie zu unterdrücken. Das Ziel ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern das Handeln trotz ihrer Anwesenheit.
Zweitens brauchen wir das, was der Philosoph Paul Ricoeur „kleine Transzendenz“ nannte, also Momente, in denen wir über uns selbst hinauswachsen, ohne uns dabei zu überfordern. Im beruflichen Kontext bedeutet das: Sie müssen nicht gleich Ihre Komfortzone sprengen. Beginnen Sie damit, sie zu erweitern. Ein Kommentar im Meeting. Eine E-Mail, die Sie seit Tagen aufschieben. Ein Gespräch, das unangenehm, aber notwendig ist. Jede dieser kleinen Handlungen ist ein Akt der Selbsterschaffung. Sie beweisen sich selbst – nicht anderen, dass Sie mehr sind als Ihre Angst.
Drittens: Suchen Sie Gemeinschaft. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb aus dem Gefängnis, dass wir einander brauchen, um ganz zu werden. Angst isoliert uns, weil wir glauben, wir wären die einzigen, die kämpfen. Aber wenn Sie mit Kollegen, Mentoren oder Therapeuten über Ihre Ängste sprechen, entdecken Sie oft, dass Sie Teil einer größeren menschlichen Geschichte sind. Das macht die Angst nicht kleiner, aber es macht Sie größer.
Zurück zu Kierkegaard und seinem Schwindel der Freiheit. Er sagte auch etwas anderes, etwas Hoffnungsvolles: Angst ist die Möglichkeit der Freiheit. Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass wir Angst empfinden, bedeutet, dass wir noch nicht festgelegt sind. Wir haben noch Wahlmöglichkeiten. Wir können noch werden.
Die Führungskraft, die feststeckte, hat schließlich nicht ihre Angst verloren. Aber sie hat etwas Wichtigeres gewonnen: eine andere Beziehung zu ihr. Sie hat erkannt, dass Angst ein Zeichen dafür ist, dass etwas auf dem Spiel steht und dass Dinge, die auf dem Spiel stehen, es wert sind, verfolgt zu werden.
Sie hat gewechselt. Nicht zu einer perfekten Position, aber zu einer, die sie gewählt hat, statt einer, in der sie verharrt. Neulich schrieb sie mir: „Ich habe immer noch Angst. Aber jetzt weiß ich, dass ich größer bin als sie.“
Das ist keine Geschichte über das Verschwinden von Angst. Das ist eine Geschichte über die Entscheidung, trotz allem ein eigentliches Leben zu führen. Es ist eine Geschichte über die Erkenntnis, dass der Schwindel der Freiheit besser ist als die Sicherheit des Käfigs. Am Ende stellt sich nicht die Frage, ob wir Angst haben. Die Frage ist: Was werden wir trotzdem tun?

