Wir sind bereit etliche Jahre in unsere fachlichen Ausbildungen zu investieren. Wir tun alles Mögliche, um jung, schön und fit zu sein. Und doch verbringen wir überraschend wenig Zeit mit dem Wichtigsten – der Entwicklung unserer emotionalen Intelligenz. Sich die Zeit für den Umgang mit Emotionen zu nehmen ist nicht purer Luxus oder gar eine Art Zusatzvitamin für die Seele. Emotionale Intelligenz ist das, was die Qualität eines jeden Augenblicks Ihres Lebens bestimmt.
Emotionale Intelligenz (was genau EQ ist, habe ich hier beschrieben) beinhaltet weit mehr als nur einige Ansätze und Techniken, mit deren Hilfe Sie Gefühle kontrollieren können. Ein hoher emotionaler Intelligenzquotient ist die Voraussetzung, um Ihre eigenen Handlungen und Reaktionen besser zu verstehen und zu wissen, wie sich diese auf andere um Sie herum auswirken. Emotionale Intelligenz ist die Basis für gesunde und stabile Beziehungen – in jedem Aspekt Ihres Lebens.
Ein Trend, der die westliche Gesellschaft immer mehr einzunehmen scheint, und der extrem gefährlich für den Erfolg der Unternehmen ist, greift immer mehr um sich. Er sorgt dafür, dass gerade in Zeiten großer Herausforderungen etliche Vorhaben scheitern. Viele Menschen – vor allem von Führungskräften – sind schlichtweg überfordert, menschliche Gefühle (ihre eigenen und die ihrer Mitmenschen) vollständig zu verarbeiten und mit ihnen umzugehen. Werden nun zu Beginn des Arbeitstages Emotionen einfach an der Eingangstüre abgelegt, hat das verheerende Auswirkungen – nicht nur auf den Erfolg des Unternehmens, sondern vor allem auf die Menschen darin. Schließlich sind wir alle emotionale Wesen – auch vor Ende des Arbeitstages.
Die Fähigkeiten, die laut dem amerikanischen Psychologen Daniel Goleman am stärksten mit emotionaler Intelligenz verbunden sind, sind Selbstwahrnehmung, Selbstregulierung, Motivation, Empathie und soziale Fähigkeiten. Nun agiert jeder Mensch im Laufe des Tages in einem Spektrum, das von kompletter Versenkung in sich selbst bis zu Empathie reicht. Wenn wir zu sehr auf uns, unsere Probleme und unsere Gedanken konzentriert sind, vergessen wir sehr schnell alle anderen um uns herum. Wir erzählen von uns, unseren Herausforderungen, unserem Alltag. Wir haben gar keine Energie mehr, anderen zuzuhören. Der Unterschied zwischen der Fokussierung auf sich selbst und dem auf andere ist sehr subtil. Er ist aber essentiell, wenn Sie in Ihrem Leben erfolgreich und zufrieden sein wollen.
Vor einigen Jahren gab es eine spannende Studie zu der Frage, wieso jemand anderen hilft oder nicht. Oder anders gefragt: Welche Einstellung brauchen Menschen, um anderen zu helfen. Sind Helfer per se empathischer als Menschen, die anderen ihre Unterstützung verweigern? Haben Helfer gar einen höheren emotionalen Intelligenzquotienten?
Als Probanden wurden Studenten eines theologischen Seminars ausgewählt. Im Rahmen dieser Studie wurden sie gebeten, eine Predigt zu einem bestimmten Thema zu halten. Die eine Hälfte der Studenten erhielt als Thema die Parabel des barmherzigen Samariters, die andere Hälfte wurde gebeten, eine Predigt zu einer anderen biblischen Thematik zu halten. Nach der Zuweisung der Themen mussten die Probanden einzeln das Gebäude wechseln, um in einem anderen ihre Predigt zu halten. Als die Studenten vom ersten Gebäude zum zweiten gingen, liefen sie alle an einem Mann vorbei, der ganz offensichtlich Hilfe benötigte. Er krümmte sich vor Schmerzen am Boden, stöhnte und bat verzweifelt um Hilfe.
Hielten die Studenten an und halfen? Die noch interessantere Frage aber lautete: Wirkte es sich aus, ob sich jemand gerade mit der Parabel des barmherzigen Samariters beschäftigte? Das Ergebnis überraschte selbst die Forscher: Ob jemand stehen blieb und sich dem hilfsbedürftigen Fremden zuwandte, hatte überhaupt nichts damit zu tun, mit welcher Parabel sich der Studierende beschäftigte oder welche Einstellung er oder sie generell zum Helfen hatten. Tatsächlich wurde die Hilfsbereitschaft davon bestimmt, ob es die Person eilig hatte oder in ihren Gedanken versunken war. Es war letztlich der Grad der Fokussierung auf die eigene Person, die für oder gegen Hilfemaßnahmen entschied.
Wir vergessen andere um uns herum, wenn wir zu sehr ich-bezogen agieren. Ich will damit nicht sagen, dass es schlecht ist, auf sich selbst zu achten. Im Gegenteil. Aber es ist wichtig, sich bewusst zu sein, wann Sie auf sich selbst fokussiert sind. Emotionale Intelligenz ist die Basis, um Verbindungen untereinander herzustellen. Die eigene emotionale Intelligenz zu erhöhen hilft Ihnen, in allen Aspekten des Lebens erfolgreich zu sein - gerade in diesen turbulenten Zeiten.
Was können Sie nun konkret tun, um Ihre eigene emotionale Intelligenz zu erhöhen? Beginnen Sie damit, sich für andere Menschen zu interessieren. Entwickeln Sie Neugierde, um andere besser verstehen und kennenlernen zu wollen und widerstehen Sie der Versuchung, mehr zu sprechen als zuzuhören. Übernehmen Sie nicht einfach die Gespräche und beenden Sie Sätze für andere, sondern stellen Sie offene Fragen – keine rhetorischen. Es geht nicht darum, die Aufmerksamkeit zu erregen oder zu behalten – es geht letztlich darum echtes Interesse für Ihre Mitmenschen aufzubauen. All diese Maßnahmen helfen Ihnen, den Fokus von sich auf Ihr Gegenüber zu lenken und Empathie zu entwickeln.
Auch wenn Sie bereits einen hohen emotionalen Intelligenzquotienten haben, lohnt sich die Arbeit daran. Nehmen Sie sich bewusst die Zeit, um Ihre Fähigkeiten besser einschätzen zu können und an Ihrem Umgang mit Emotionen zu arbeiten. Denn auch dafür braucht es Übung. Selbst kleine Schritte machen bereits einen großen Unterschied. So wie Sie Ihre Muskeln regelmäßig trainieren, gilt es, regelmäßig an der emotionalen Intelligenz zu arbeiten.
Wir alle haben stressige Tage hinter und auch noch vor uns. Es ist völlig normal und wichtig, sich um sich selbst zu kümmern. Aber eine Person mit hoher emotionaler Intelligenz hat das notwendige Selbstbewusstsein, um negative Gefühle bei sich und anderen zu erkennen und im richtigen Moment stehenzubleiben und zu helfen. Unkontrollierte oder missverstandene Emotionen erhöhen die Anfälligkeit für psychische Gesundheitsprobleme wie Stress, Angst, Burn-out und Depressionen. Und gerade jetzt brauchen wir alle mehr Verständnis und auch Liebe füreinander.