Viele von uns arbeiten von Zuhause aus härter als je zuvor. Die Tage sind voll mit Videokonferenzen - von morgens bis abends, ohne Unterbrechungen für das Mittagessen oder kurze Kaffeepausen. Die Arbeit von Zuhause aus bringt auch einige Vorteile mit sich: Das Pendeln fällt weg, es herrscht generell mehr Flexibilität und Sie können diskussionslos Ihre ausgebeulte Lieblings-Jogginghose am Schreibtisch tragen. Allerdings sind die Grenzen zwischen dem persönlichen und beruflichen Leben so weit verschwommen, dass Zeit und Raum fehlen, um mit den einfachsten Belastungen des Lebens umzugehen.
Ich weiß es, weil ich selbst in diese Falle getappt bin und es vielen meiner Kunden genauso geht. Wenn wir ständig unter chronischem Stress stehen, erkennen wir zu spät, wann wir an unser Limit angestoßen sind. Bevor wir es wissen, sind wir schon weit über unsere Grenzen hinaus gegangen. Zwar hat die Pandemie das vorherrschende Burn-out-Problem nicht erst erschaffen - viele waren bereits vor der Pandemie überlastet – aber die Pandemie hat es beschleunigt. Umso wichtiger ist es, den Tag gut zu strukturieren und Aufgaben sinnvoll zu priorisieren. Der Haken an der Sache ist, dass sich diese einfachen Dinge gerade jetzt herkulisch anmuten. Unser Zuhause – einstiges Heiligtum und Rückzugsort – ist zum Büro, zur Schule und zum Quasi-Gefängnis mutiert.
Während wir mehr Arbeit und Verantwortung übernehmen und mit einem erhöhten Level an Stress umgehen müssen, zahlen unser Geist und unser Körper einen hohen Preis dafür: Burn-out ist die tiefgreifende Folge unseres geschäftigen Lebens. Dazu kommt, dass wir uns selbst eine Null-Fehlertoleranz einräumen. Die letzte Stresssituation unterscheidet sich nicht von den Situationen davor – es ist nur das, was das Fass zum Überlaufen bringt. Es kommt, was kommen muss: eine Überschwemmung.
2019 hat die WHO Burn-out erstmals in die Klassifikation von Krankheiten aufgenommen. Unter dem Namen ICD-11 wird sie im Jänner 2022 in Kraft treten. Darin wird Burn-out als ein Syndrom beschrieben, "das als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz konzipiert wurde, der nicht erfolgreich behandelt wurde“. Burn-out nimmt laut WHO drei verschiedene Dimensionen an:
1. ein Gefühl von Erschöpfung,
2. eine zunehmende geistige Distanz oder negative Haltung zum eigenen Job und
3. ein verringertes berufliches Leistungsvermögen.
Burn-out ist ein völliger Verlust an Motivation und Energie ohne Anzeichen von Erleichterung. Bei Burn-out fühlt es sich oft so an, als wäre es egal, was Sie tun – nichts scheint einen Unterschied zu machen. Dies kann zu Frustration und Wut über die eigene mangelnde Produktivität führen, aber auch zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit.
Mit dem nun offiziell von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannten Krankheitsbild Burn-out hat sich die Verantwortung für den Umgang vom Einzelnen auf die Unternehmen verschoben. Burn-out ist kein individuelles Problem, das sich durch Selbstpflege am Wochenende oder regelmäßige Yoga-Einheiten einfach vom Tisch wegwischen lässt. Kurzfristige Maßnahmen helfen nicht dabei, die blutende Wunde zu stillen. Burn-out ist ein organisatorisches Problem, das auch nach einer entsprechenden organisatorischen Lösung verlangt.
Der häufigste Grund für Burn-out ist Arbeitsüberlastung. Nun wird aber zu viel Arbeit in der westlichen Gesellschaft nicht als problematisch gesehen - im Gegenteil: sie wird gefeiert. So beträgt die durchschnittliche “normale” Arbeitswoche bereits weit mehr als 40 Stunden. Corona hat den durchschnitt noch um weitere 48 Minuten verlängert. Viele Unternehmen mussten ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken oder gar entlassen. Das hat den Druck auf die verbleibenden Beschäftigten zusätzlich erhöht. Auch wenn bereits in mehreren Studien nachgewiesen wurde, dass ein längerer Arbeitstag nicht effizienter ist, werden dennoch E-Mails bereits in den frühen Morgenstunden bearbeitet. Es ist normal, dass auch noch um 22h gearbeitet wird - schließlich gibt es nichts anderes, wohin wir gehen oder was wir machen könnten. Dabei wurde bereits in etlichen Studien nachgewiesen, dass mehr Arbeit die Produktivität gar nicht steigert.
Ein weiteres Problem ist, dass dem Burn-out-Syndrom das Stigma anhaftet, dass es ausschließlich auf die eigene Arbeitsbelastung oder Unfähigkeit zurückzuführen ist. Schließlich liegt es an uns selbst, wie wir persönlich mit Stress umgehen. In vielen Fällen liegen die Faktoren jedoch außerhalb unserer eigenen Kontrolle. Es gibt keine einheitliche Antwort für den Umgang mit Burn-out, aber es gibt klare Auslöser, auf die Sie achten können.
Einer Untersuchung nach geben drei von fünf (59%) Mitarbeiter an, dass ihr Unternehmen zwar einige Maßnahmen zum Schutz vor Burn-out ergriffen hat. Ein Drittel aber wünscht sich, dass das Unternehmen einfühlender, also empathischer, agieren würde. Nun wird Empathie gemeinhin mit dem Motto gleichgesetzt „In den Schuhen einer anderen Person zu gehen”. Das ist allerdings nicht Empathie im organisatorischen Sinne, das bei der Prävention von Burn-out wirklich unterstützt. Empathie im organisatorischen Kontext ist die Aufgabe der Führungskräfte, um ein Umfeld der psychologischen Sicherheit und des Vertrauens zu schaffen. Führungskräfte sind gefordert das zu tun, was sie für sich selbst tun würden, und vor allem spontan und schnell auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu agieren.
Mit Empathie zu führen bedeutet, dem Gegenüber wirklich zu zuhören, auf ihre Bedürfnisse einzugehen und Strategien zu entwickeln, die der momentanen Herausforderung auch entsprechen. In unseren Workshops ist zum Beispiel immer wieder Thema, dass sich Mitarbeiter bei der Einrichtung des Home-Offices im Stich gelassen fühlen. Solche Wünsche sprechen Menschen aber nur offen aus, wenn sie sich sicher und ernst genommen fühlen. Das bedeutet nicht, dass Sie neue Meetings einführen sollen. Im Gegenteil. Finden Sie informelle Kommunikationswege, die einen offenen, einfachen und authentischen Austausch ermöglichen.
Manches Mal ist auch eine externe Begleitung ein sinnvoller Weg, um die eigenen blinden Flecken sichtbar zu machen. Ein anderes Mal reicht es schon, einen Online-Check-In mit kurzem Feedback einzuführen. Das Wichtigste aber ist und bleibt, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen, authentisch zu sein und offen zu kommunizieren. Gerade Führungskräfte müssen sich von den eigenen Bedürfnissen lösen, vorhandene Privilegien neu bewerten und vor allem gezielt Maßnahmen ergreifen.
Auch wenn es sich gerade nicht so anfühlt: Die Pandemie ist irgendwann vorbei. Natürlich liegen so viele beängstigende Dinge zwischen dem Jetzt und dem „Nach der Pandemie“. Aber das Gute ist, dass es ein „Nach der Pandemie“ gibt. Und jedem Tag kommen wir diesem Zeitpunkt näher. Wenn wir jetzt daran denken, wie sich neue Fähigkeiten durch diesen Ausnahmezustand entwickeln und bestehende verbessert werden, werden die Dinge wieder etwas einfacher – wir haben etwas geschafft, das sehr herausfordernd ist. Das Wichtigste ist, dass wir offen kommunizieren, Ängste, Gefühle und Probleme offen ansprechen und nicht einfach wegsehen, sondern auch handeln.
Wenn Sie glauben, dass Sie an einem Burn-out erkrankt sind, sollten Sie unbedingt professionelle Hilfe (beispielsweise für Deutschland hier, für Österreich hier, für die Schweiz hier) einholen. Weitere Tipps, was Sie tun können, finden Sie auch hier: