Hören Sie mit den Lügen auf!

„Ich finde deine Idee echt gut”, „Nur mehr dieses eine Keks” oder „Du siehst umwerfend in dem neuen Kleid aus”. Die Wahrheit ist, dass jeder von Zeit zu Zeit lügt. Wir nutzen Lügen, um die Gefühle anderer zu schonen oder lassen Dinge aus, um nicht zu viel preiszugeben. Lügen finden leicht ihren Zugang in die alltägliche Kommunikation. Allerdings können Lügen auch schwerwiegende Folgen haben: Eine Täuschung während eines Geschäftsabschlusses kann zum Beispiel zu großen finanziellen Verlusten führen. Oder betrügerisches Verhalten kann Beziehungen unwiderruflich zerstören.

Im Laufe eines Tages lügen wir häufig. So ergab eine Untersuchung, dass 60% der Probanden innerhalb eines 10-minütigen Gesprächs mit Fremden mindestens einmal gelogen haben, die meisten sogar mehrmals. Als den Probanden die Videomitschnitte von ihren Gesprächen gezeigt wurden, waren sie selbst überrascht von ihren eigenen Lügen – sie haben sie einfach nicht als solche wahrgenommen.

Nun ist es das eine, andere zu belügen. Sich selbst zu belügen, ist sogar noch viel häufiger, auch wenn es scheinbar keinen Sinn ergibt sich selbst zu belügen. Schließlich bedeutet Lügen, jemandem etwas zu sagen, von dem man weiß, dass es nicht wahr ist. Wenn Sie sich selbst belügen, sind Sie allerdings sowohl der Lügner als auch derjenige, der belogen wird - und das zeitgleich. Das bedeutet, dass Sie sowohl die Wahrheit kennen, als auch die Wahrheit nicht kennen. Und das wiederum bedeutet, dass Sie wichtige Erkenntnisse absichtlich außer Acht lassen müssen, um überhaupt zu einer Schlussfolgerung zu gelangen, die dann wiederum bequemer ist, als die Fakten es sind. Und die Welt ist voller unangenehmer Realitäten.

Niemand will gerne als Lügner bezeichnet werden, denn Lügner gelten als vertrauensunwürdig. Auch wenn wir uns alle selbst ständig belügen, macht es die Sache nicht besser. Zwar kann uns Selbstbelügen in moderaten Mengen vor schlechten Gefühlen schützen, aber letztendlich ist es ein großes Hindernis für unser Wohlbefinden. Um wirklich glücklich zu sein, müssen wir ehrlich zu uns selbst sein. Das ist aber leichter gesagt als getan.

Manchmal belügen sich Menschen, um ihr Ego zu schützen oder auch, um sich selbst Mut zu zusprechen. Wenn Sie zum Beispiel vor einer wichtigen Präsentation stehen, können Sie sich einreden, dass Sie alle überzeugen werden – einfach, um sich selbst Mut zu machen. Aber es ist eine Sache, sich selbst etwas einzureden, bis man diese Sache tatsächlich geschafft hat, und etwas ganz anderes, sich dauerhaft anzulügen. Wenn Sie zum Beispiel für einen Erfolg bei der Arbeit betrogen haben, aber sich selbst einreden, dass es auf Ihre eigenen Verdienste zurückzuführen ist, wird das negative Folgen für Sie selbst haben.

Nicht nur, weil die Wahrheit mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann doch noch herauskommt, sondern auch, weil Menschen die Rolle des Glücks dann anders einschätzen. Wenn Sie zum Beispiel nur aufgrund Ihrer persönlichen Beziehungen befördert wurden, wird das anderen bald auffallen. Außerdem schätzen wir selbst unser Glück auch nicht sonderlich, wenn es uns nicht aus eigenen Verdiensten zufällt. Wenn Sie sich selbst über scheinbare Erfolge belügen, beginnen Sie damit, einen unfairen Vorteil sich selbst gegenüber rechtzufertigen. Dadurch wird es schwieriger die echten, eigenen Erfolge als solche zu erkennen und sich darüber zu freuen.

Das Schlimmste aber ist, dass Selbstlügen notwendige Veränderungen in unserem Leben hinauszögern und unsere Lügen gegenüber anderen begünstigen. Menschen, die zum Beispiel an einer Suchterkrankung leiden, hält das Belügen oftmals in der Abhängigkeit gefangen. Der schmerzhafte Prozess der Rehabilitation wird auf diese Weise hinausgezögert. Aber nicht nur das: Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die sich selbst bei einer Sache belügen, gegenüber anderen Argumenten zu derselben Sache taub werden und die Wahrheit ausblenden.

Lügen beanspruchen auch einen erheblichen Teil unserer geistigen Bandbreite. Je weniger kognitive Ressourcen zur Verfügung stehen, desto schwieriger wird es zu lügen. So ist es beispielsweise relativ einfach, eine Ausrede zu finden, warum man ein Meeting verschwitzt hat, während man zu Hause bequem vor dem Fernseher sitzt. Aber eine überzeugende Lüge am Telefon zu erzählen, während man durch den Abendverkehr navigiert, ist etwas ganz anderes. Manchmal setzt sich Ehrlichkeit einfach nur deswegen durch, weil Lügen zu viel Aufwand erfordern würde.

Das Leben in einem Kokon aus Unwahrheiten mag vielleicht beruhigend sein, aber es wird Sie nie zu tiefster Befriedigung führen. Jean-Paul Sartre betrachtete jede noch so milde Selbsttäuschung als eine Form dessen, was er „Unaufrichtigkeit“ oder „Bösgläubigkeit“ nannte: einen Unwillen, unser Wesen als bewusste Individuen zu entdecken und echte Verantwortung für uns selbst zu übernehmen.

Am Ende muss jeder selbst entscheiden, ob er oder sie die volle Wahrheit wissen will, unabhängig, wohin sie führt. Wenn Sie bereit sind, diesen Weg zu gehen, empfehle ich Ihnen, mit kleinen Trotzhandlungen gegen Ihre eigene Selbsttäuschung vorzugehen: Starten Sie damit, indem Sie sich folgende Fragen stellen: Möchte ich lieber, dass die Leute hinter meinem Rücken oder mit mir lachen? Will ich wirklich für etwas Anerkennung erhalten, das ich gar nicht verdient habe? Wird es einfacher, nüchtern zu sein, wenn ich mein Alkoholproblem ein weiteres Jahr lang ignoriere?

Persönliche Integrität ist für den persönlichen Fortschritt absolut notwendig. Um Fortschritte zu machen, muss man sicher wissen, wo man im Vergleich zu dem, wo man jetzt steht, davor war. Wenn Sie sich Ihrer Fehler absichtlich nicht bewusst sind, weil Sie sich erfolgreich selbst belügen, können Sie sie auch nicht ändern. Sie sollten lernen, kritische Informationen über sich anzunehmen ohne defensiv zu agieren, und Beweise über sich selbst so zu betrachten, wie Sie es tun würden, wenn es sich um eine andere Person handeln würde.

Der ehrliche Weg ist nicht einfach, aber Sie können sicher sein, dass Sie Tag für Tag stolzer werden, sagen zu können, dass die Person, die Sie im Spiegel anblickt, kein Lügner ist. Und das wird dann die Wahrheit sein.