Das Projekt läuft wie geschmiert, die anderen Kollegen sind mit an Bord, und die Ziele werden sicher erreicht. Manchmal fühlt es sich einfach so an, als würde alles nach Plan laufen. Wenn wir uns in solchen Situationen befinden, neigen wir dazu, uns in Sicherheit zu wiegen. Es scheint dann, als hätten wir alles im Griff und nichts kann mehr schiefgehen. Ein sehr trügerisches Gefühl, denn nicht selten führt es dazu, dass wir uns zu sicher fühlen und zu wenig aufmerksam für mögliche Probleme sind.
Viele Menschen betrachten sich als rationale Entscheidungsträger, die ihre Wahl auf sorgfältige Analyse von Daten und Logik stützen. Die sogenannte Kontrollillusion ist ein kognitiver Denkfehler, der dieser Vorstellung einen Strich durch die Rechnung macht. Diese Illusion tritt vor allem auf, wenn Situationen eindeutig dem Zufall unterliegen, wie zum Beispiel bei der Lotterie oder Sportwetten. Aber trotz des Wissens, dass wir keinerlei Einfluss auf das Ergebnis haben, sind wir erstaunlich anfällig für das Gefühl, Kontrolle ausüben zu können.
In verschiedenen Experimenten wurde untersucht, unter welchen Bedingungen die Kontrollillusion auftritt. Dazu wurden die Probanden in ein Spiel involviert, das vom Zufall gesteuert wurde, ähnlich einer Lotterie. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das Vertrauen der Menschen in ihre Gewinnchancen von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird - die allerdings letzten Endes rein gar nichts mit den tatsächlichen Gewinnchancen zu tun haben. So setzten die Probanden beispielsweise mehr Geld, wenn sie Karten an eine Person austeilten, die unbeholfen oder unsicher wirkte, selbst wenn in jenem Spiel Geschicklichkeit keine Rolle spielte. Auch Lottoscheinen, deren Zahlen selbst ausgewählt wurden, wurde ein höherer Wert zugeteilt, da die Personen glaubten dadurch eine höhere Gewinnwahrscheinlichkeit zu haben. Zudem stieg das Vertrauen in die Gewinnchancen, je mehr Zeit sie darauf verwendeten, über die Zahlen nachzudenken.
Ein Grund für dieses Verhalten wird von Psychologen mit der menschlichen Neigung erklärt, kausale Zusammenhänge zu entdecken, wo es gar keine gibt. Dieses Phänomen wird als „Kausalillusion“ bezeichnet. Die Kontrollillusion ist eine besondere Art der kausalen Illusion.
Eine andere Hypothese sieht den Gedanken einer „gerechten Welt“ als Ursprung für diesen Denkfehler: Menschen neigen demnach dazu zu glauben, dass das Leben fair bzw. gerecht sei. Wie bei der Kontrollillusion geht es bei der gerechten Welt darum, kausale Erklärungen für Ereignisse zu identifizieren, ohne notwendigerweise Vernunft oder Logik auf sie anzuwenden. Ein Beispiel ist das Konzept von Karma: Der Gedanke, dass Menschen, die Gutes tun, automatisch ach Gutes erhalten und denen, die Schlechtes in die Welt bringen, Schlechtes als Strafe widerfahren wird, beruhigt uns auf gewisse Weise.
Aber was können wir tatsächlich kontrollieren? In gewissem Maße können wir unsere Worte und Handlungen steuern. Wir haben weitgehend Kontrolle darüber, was wir essen, trinken und wie wir uns verhalten. Aber selbst das wird von Aspekten wie unser momentanes Stresslevel beeinflusst. Sogar unsere nächtlichen Träume und die meisten Gedanken, die uns tagsüber durch den Kopf gehen, entziehen sich unserer direkten Kontrolle.
Die Kontrolle über andere Menschen, außer kleinen Kindern, ist noch eingeschränkter. Wir können nicht beeinflussen, wie sie auf unsere Worte, unser Verhalten oder unsere Handlungen reagieren. Jeder Mensch betrachtet die Welt durch seine eigene Perspektive und interpretiert sie auf seine Weise. Da die meisten von uns nach Autonomie streben und unsere eigenen Entscheidungen treffen wollen, entwickeln wir bei zu viel Fremdsteuerung passive Aggressivität oder Widerstand.
Ein möglicher Grund, warum wir trotzdem versuchen, andere zu kontrollieren, kann in einem gegenwärtigen oder vergangenen Mangel an Kontrolle in unserem eigenen Leben liegen. Zusätzlich reduziert die Vorhersagbarkeit Ängste. Erwachsene, die in instabilen Familien aufgewachsen sind, verspüren oft das Bedürfnis, sowohl andere als auch sich selbst zu kontrollieren.
Der Kontrollillusion zu verfallen ist keine Frage der Intelligenz oder der Persönlichkeit. Vielmehr ist es eine menschliche Tendenz, der wir alle unterliegen. Sie auszublenden, ist zwar eine äußerst beliebte, aber auch eine gefährliche Option. Denn kein Mittel dieser Welt kann Ungewissheit beseitigen. Besser ist es daher, wenn Sie diese Tatsache akzeptieren und sich bewusst zu sein, dass es immer möglich ist, dass Menschen anders reagieren und Situationen anders als erwartet ausgehen. Für die Entscheidungsfindung bedeutet das, sich bewusst dafür zu entscheiden, nicht nur seinem Bauchgefühl zu folgen.
Versuchen Sie bewusst offen für neue Erfahrungen zu sein: Eine Person, die als offen gilt, ist flexibel und neugierig auf Mehrdeutigkeiten in der Welt. Im Gegensatz dazu ist eine kontrollierende Person defensiv, starr und oft auch resistent. Offenheit für Erfahrungen bedeutet nicht, ungesundes oder verbotenes Verhalten zu akzeptieren. Vielmehr geht es darum, verschiedene Erfahrungen zu integrieren und so neue Ideen Raum zum Entstehen zu geben.
Wenn Sie eine wichtige Entscheidung treffen müssen, greifen Sie auch auf externe Informationsquellen zurück - anstatt sich nur auf Ihren Instinkt zu verlassen. Wenn Sie vorhersagen müssen, wie wahrscheinlich es ist, dass Sie etwas erreichen, stehen Ihnen in vielen Fällen Informationen zur Verfügung, die Sie nutzen können, um Ihre Erwartungen zu besser einzuschätzen.
Die gute Nachricht ist, dass Sie, sobald Sie die Kontrollillusion als solche entlarvt haben, sich mit den notwendigen Fähigkeiten ausrüsten können, um sie für Ihre Zwecke zu nutzen. Denn eine solche Situation bietet auch eine wichtige Lernchance: Wenn Dinge anders laufen als erwartet, ist das oft ein Zeichen dafür, dass unsere Annahmen nicht ganz zutreffen. In diesem Fall enthält die Situation wichtige zusätzliche Informationen, die wir nutzen können, um zu lernen und uns weiterzuentwickeln.
Identifizieren Sie dazu das Gefühl oder den Gedanken, der hinter Ihrer Kontrollillusion steckt: Fühlen Sie sich ängstlich, unruhig oder vielleicht sogar unqualifiziert für eine Aufgabe? Wenn das der Fall ist, dann atmen Sie kurz durch, akzeptieren Sie, dass dieses Gefühl da ist und denken Sie an die Möglichkeiten Ihrer Entscheidungsfreiheit, die notwendig für Ihren Wachstum sind.