Letztes Wochenende war ich mit meinem Mann und unserer Hündin wandern, als uns am Ende der Straße hin eine Läuferin entgegenkam. Nun gibt es seit jeher oft Missverständnisse zwischen Hunde- und Nicht-Hundebesitzer – aus diversen Gründen. Zunächst grüßten wir einander freundlich, aber kaum war sie an uns vorbei, hörte ich, dass sie etwas Abfälliges über unsere Hündin gemurmelt hat, die zufrieden mit sich und der Welt die Läuferin vollkommen ignorierend an ihr vorbeiwedelte.
Ein solch leises Gemurre wie das der Läuferin entstammt in fast allen Fällen einem passiv-aggressivem Verhalten. Etwas nicht laut und direkt auszusprechen, sondern leise, aber gerade laut genug, das andere es hören, ist eine nicht-offene Gefühlsäußerung. Menschen, die sich passiv-aggressiv verhalten, sorgen oft in Gruppen für eine unangenehme Atmosphäre, indem sie sich unangemessen verhalten und verletzend sarkastisch agieren. Ich habe bereits öfters in verschiedenen Situationen passiv-aggressives Verhalten erlebt, das schädliche Auswirkungen zur Folge hatte, daher glaube ich, dass dieses Gemurre bei mir ein Trigger ist, auf den ich sehr emotional reagiere. Ich spürte förmlich, wie die Wut in mir hochkroch als ich das Gemurmel vernahm und noch ehe ich es stoppen konnte, sprudelten die Worte nur so aus mir hinaus und ich schrie sie an, warum sie mir nicht direkt ins Gesicht sagen kann, was denn ihr Problem ist.
Vielleicht kennen Sie solche Situationen: Sie werden wütend und noch ehe Sie sich versehen, fangen Sie einen Streit an, schreien andere offline laut und online in Großbuchstaben an oder werfen mit Gegenständen um sich. Wut ist eine universelle Emotion, die jeder von uns kennt und die uns unser ganzes Leben lang begleitet. Sie ist in unseren schwersten Momenten als ein natürlicher Teil unserer Trauer bei uns. Und sie begleitet uns auch in den schönsten Momenten, zu besonderen Gelegenheiten wie Hochzeiten oder Urlaube, die oft von alltäglichen Ärgernissen gekennzeichnet sind wie schlechtes Wetter oder Verspätungen, die sich kurzzeitig schrecklich anfühlen, aber letztlich schnell wieder vergessen sind, wenn die Dinge gut laufen.
Wut wird als Problem gesehen, wenn sie in unser Leben eingreift und Beziehungen schadet. Dabei ist diese Emotion an sich sehr gut und sehr wichtig. In der Forschung zeigt sich, dass sich Wut in verschiedenen und wiederkehrenden Motiven sichtbar macht: Wir werden in Situationen wütend, die für uns unangenehm sind, in denen wir uns hilflos oder unfair behandelt fühlen oder die wir hätten vermeiden können. In all diesen Situationen fühlen wir aber nicht nur Wut. Und das ist der Punkt: Wut entsteht nicht im Vakuum. Wir sind wütend und gleichzeitig fühlen wir uns hilflos, ängstlich oder traurig.
Das Problem ist nicht, was unsere Wut auslöst, sondern unsere Deutung und Einordnung der Situation. Denn wenn etwas passiert, fragen wir uns zunächst immer, ob die Situation für uns gut oder schlecht ist, oder ob das Verhalten fair oder unfair war. Wir bewerten die gesamte Situation und überlegen, wie wir damit umgehen sollen. Dieser Prozess der Bewertung wird Katastrophisieren genannt - eine kognitive Verzerrung, bei der jemand überzeugt ist, dass ein bestimmtes unglückliches Ereignis mit großer Sicherheit eintreten und für uns vernichtend sein wird.
Unsere Wut existiert deswegen, weil wir dadurch einen evolutionären Vorteil hatten. Wut weist uns auf Ungerechtigkeit hin und gibt uns zeitgleich die Kraft sich gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren: Das Herz beginnt schneller zu schlagen, der Atem wird schneller und das Kampf-oder-Flucht-System schaltet sich ein. Gleichzeitig verlangsamt sich der Stoffwechsel, um Energie zu sparen.
Nun leben wir aber nicht mehr in einer Zeit, in der es notwendig ist, den Knüppel zu holen und um sich körperlich gegen Feinde zu schützen. Deswegen ist wichtig, dass wir unsere Emotionen regulieren können. Selbst wenn Sie wütend sind und zuschlagen möchten, haben Sie die Möglichkeit rechtzeitig innezuhalten und Ihre Wut in etwas Produktives zu verwandeln. Wut ist somit ein Antreiben, um konstruktiv auf Ungerechtigkeit zu reagieren.
Ich habe nach dem Aufeinandertreffen mit der Läuferin noch lange mit meinem Mann überlegt, warum mich diese Situation so wütend gemacht hat: Ich bin überzeugt davon, dass passiv-aggressives Verhalten sehr gefährlich ist und schnell zu einer feindseligen Atmosphäre führen kann. Deswegen ist es mir wichtig, dieses Verhalten, sobald ich es erkenne, anzusprechen und es irgendwie zu verhindern. Zu erkennen, warum ich so wütend geworden bin, hilft mir hoffentlich das nächste Mal konstruktiv auf eine solche Situation zu reagieren, um dann die betreffende Person nicht anzuschreien, sondern stattdessen ein lösungsorientiertes Gespräch zu suchen.
Es gibt viele Wege, Wut auszudrücken. Sie können demonstrieren, für eine Sache spenden, Ihre Gefühle in Musik oder Gedichten ausdrücken, sich um jemanden kümmern, etc. Wenn Sie also das nächste Mal merken, dass Sie wütend werden, versuchen Sie nicht, die Wut einfach hinunterzuschlucken oder sie zu übergehen. Hören Sie stattdessen hin, was Ihnen Ihre Wut Ihnen sagen will, und verwandeln Sie sie in etwas Positives und Produktives. Entgegen der Vorstellung, dass Wut das Denken trübt, ist Wut, richtig verstanden, ein erstaunlich klärendes und hilfreiches Gefühl.