Ich liebe meine Arbeit vom ganzen Herzen. Es macht mir Spaß und gibt mir Energie, wenn ich das Gefühl habe, Menschen in Unternehmen zu helfen. Sei es durch einen Vortrag, der sie motiviert und inspiriert, sei es durch das gemeinsame Lösen von Problemen oder sei es durch das Kreieren eines Umfelds, in dem Kreativität erst möglich wird. Aber an einem Freitagabend im März kam ich von einer Beratung total erschöpft nach Hause. Mein Mann und ich lebten damals in einer Dachgeschosswohnung in Wien und da ich zu müde zum Stiegen steigen war, nahm ich den Aufzug. Plötzlich ruckelte es und der Aufzug blieb stecken. Die Dame, die mit mir im Aufzug stand, drückte zunächst kopflos alle möglichen Knöpfe, dann begann sie zu schreien und schließlich verfiel sie in Panik. Statt zu reagieren, blieb ich einfach ruhig und wartete.
Nachdem wir nach gefühlten Stunden endlich den Aufzug verlassen konnten, fühlte ich mich schrecklich. Ich wusste, wie ich der Dame hätte helfen können, aber ich war einfach zu müde. Das verwirrte mich und ich fragte mich tagelang fragte, ob ich den falschen Beruf gewählt habe. Irgendwann verstand ich, dass mein Problem nicht die Arbeit beim Kunden war, sondern vielmehr die Stunden Zuhause, in denen ich über die Arbeit nachdachte. Zwar verließ ich jeden Abend ein Unternehmen Richtung Heimat, allerdings blieb ich gefühlt bei meinem Kunden und ließ die Dinge ohne Unterbrechung weiterhin auf mich einprasseln.
Das ist das Fatale am Stress: Die meisten Menschen sind zu beschäftigt, um ihn während der Arbeit zu bemerken. Erst während der Freizeit, im Auto, auf dem Weg von der Arbeit oder beim Zähneputzen bemerken sie ihn. Die Freizeit gehört aber der Erholung und den Dingen außerhalb der Arbeit, die Spaß machen. Genau davon hält das Grübeln die Menschen aber davon ab.
Viel zu oft und zu lange denken sie über unerledigte Aufgaben oder Fragen nach. Das führt nicht selten zu Verärgerung, Verunsicherung, Zukunftsängsten und dem Hinterfragen bereits getroffener Entscheidungen. Nun beeinträchtigt die Gewohnheit, dieselben Gedanken und Sorgen immer wieder durchzukauen, stark die Fähigkeit, sich in der Freizeit zu erholen. Je mehr Sie zu Hause an die Arbeit denken, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie an Schlafstörungen leiden, sich ungesund ernähren oder schlechte Laune zu haben. Abgesehen davon belastet es auch die Beziehungen zu anderen enorm. Grübeln hält Sie oft davon ab, die schönsten Augenblicke im Leben überhaupt zu erkennen geschweige denn zu erleben.
Als ich mich so müde fühlte, beschloss ich, Buch zu führen und zu dokumentieren, wie viel Zeit ich tatsächlich mit dem Grübeln verbrachte. Ich war vom Ergebnis schockiert: Vor dem Einschlafen waren es rund 60 Minuten, auf dem Weg zu und von der Arbeit waren es je 30 Minuten, selbst beim Fernsehen am Abend dachte ich über die Probleme nach. Insgesamt verlor ich in dieser Woche fast 17 Stunden an die Arbeit, die eigentlich der Erholung gehörten.
Keine Frage, Gewohnheiten zu ändern, ist viel Arbeit, vor allem, wenn es sich um etwas so Hartnäckiges handelt wie Probleme wiederzukäuen. Aber dranzubleiben zahlt sich wirklich aus. Zunächst geht es darum zu erkennen, wie groß der Schaden tatsächlich ist, den Sie mit dem Grübeln in der Freizeit anrichten. Erst dann können Sie eine neue Gewohnheit etablieren. Stellen Sie dazu zum Beispiel feste Regeln auf wie wann Sie abends mit dem Arbeiten Schluss machen. Das bedeutet, dass Sie auch keine Mails ab beispielsweise 19:00 Uhr mehr lesen.
Die Pandemie hat ein weiteres Problem aufgezeigt: Viele arbeiten nach wie vor von Zuhause aus und dadurch verwischen auch noch mehr die physische Grenze zwischen Arbeit und Privatleben. Die Arbeit kann Sie zu Hause jederzeit einholen. Wenn die physische Grenze zwischen Arbeit und Zuhause fehlt, brauchen Sie eine psychologische. Wenn Sie zu Hause arbeiten, tragen Sie zum Beispiel bewusst andere Kleidung. Ziehen Sie sich um und wandeln Sie so Ihre Freizeit in Arbeit und umgekehrt. Machen Sie ein Ritual daraus (in diesem Video finden Sie weitere Tipps).
Das Gedankenkarussell zu stoppen ist ein langer, harter Kampf, aber es zahlt sich aus, dranzubleiben. Denn Sie werden nicht nur mit mehr Freizeit, besserer Erholung und schöneren Beziehungen belohnt, sondern auch die Arbeit selbst bekommt eine neue Qualität.
Machen Sie sich bewusst: Das Problem am Arbeitsstress finden Sie nicht draußen in der Welt, sondern direkt in Ihrem Kopf. Wenn Sie Stress reduzieren und Ihre Lebensqualität wirklich steigern wollen, müssen Sie nicht die Arbeitszeit ändern oder den Job wechseln. Sie müssen Ihre Denkweise verändern.