In dieser Welt, die von Instagram-Fotos und sich selbst feiernden YouTube-Helden dominiert ist, fühlen sich viele nicht mehr wohl in ihrer eigenen Haut. Der Wunsch, sich besonders zu fühlen, ist allzu verständlich und auch menschlich. Das Problem dabei ist, dass unmöglich alle gleichzeitig überdurchschnittlich gut, klug, hübsch und erfolgreich sein können. Es wird immer jemanden geben, der klüger, hübscher und erfolgreicher ist.
Niemand versagt gerne. Aber wenn uns dann doch ein Fehler passiert, nützt es nichts, uns deswegen zu beleidigen oder uns selbst schlecht zu behandeln. Wenn wir uns niedermachen, bleibt die Motivation, etwas Neues auszuprobieren oder Risiken einzugehen, auf der Strecke. Wir können nur wachsen und uns weiterentwickeln, wenn wir unsere eigenen Schwächen anerkennen.
Nun ist es aber so, dass sich manche Menschen vorübergehend besser fühlen, wenn sie die eigenen Fehler ignorieren oder glauben, dass die Probleme und Schwierigkeiten die Schuld eines anderen sind. Auf lange Sicht schaden sie sich aber mit diesem Glauben. Denn so bleiben sie in der Stagnation verhaftet und kommen nicht vom Fleck. Viel schlimmer noch: Wer ständig dem Bedürfnis nach positiver Selbsteinschätzung nachgibt, dem passiert dasselbe wie bei der Befriedigung seines Heißhungers: Kurz nach dem Verzehr der verführerischen Schokolade kommt ein Zuckerhoch, bis der Blutzuckerspiegel dann brutal sinkt und Sie mitreißt. Gleich nach dem Absturz warten schon die ersten schlechten Gewissensbisse – bis hin zur puren Verzweiflung und zum Selbsthass.
Der Haken ist, dass sich der Mensch einfach nicht immer besonders gut fühlen kann. Das Leben besteht nun mal aus Höhen und Tiefen und negative Emotionen sind ein wichtiger Teil für den Lernprozess. Die meisten Menschen gehen allerdings sehr hart mit sich ins Gericht und verprügeln sich förmlich dafür, nicht besser zu sein. Sie schimpfen dann mit sich und sagen sich in der Dauerschleife, dass sie nicht gut genug und wertlos sind. Es fehlt ihnen an Selbstmitgefühl.
Ein Grund, warum viele Menschen mit dem Wort Selbstmitgefühl scheinbar ein Problem haben, ist, dass sie es mit Selbstmitleid verwechseln. Einfach ausgedrückt ist Selbstmitgefühl die Fähigkeit, dieselbe Perspektive für sich selbst einzunehmen, die Sie bei einer anderen Person einnehmen würden, und aus den Herausforderungen zu lernen. Diese Fähigkeit klingt vielleicht einfach, aber in Wahrheit ist es extrem schwierig.
Viele verweigern sich selbst Mitgefühl zu geben, weil sie es gedanklich mit Misserfolg und Faulheit verknüpfen. Sie glauben, dass sie sich so nur schonen und selbstgefällig sind. Selbstmitgefühl ist jedoch die Grundlage, um belastbar zu sein und überhaupt erst den Mut zu finden, sich der Realität zu stellen. Es hilft Ihnen dabei, die Herausforderungen und Unvorhersehbarkeiten des Lebens zu meistern. Bei Selbstmitgefühl geht es keineswegs darum, egoistisch zu sein, für sich selbst Situationen zu beschönigen und zu hoffen, dass sich alles schon irgendwie zum Positiven wendet. Selbstmitgefühl erfordert vor allem Selbstbewusstsein und Sensibilität für die eigenen Herausforderungen. Im Grunde ist Selbstmitgefühl die Anerkennung, dass Sie wie jeder andere Mensch auch Verständnis und Liebe verdienen. Oder anders gesagt: Die Art und Weise, wie Sie sich selbst behandeln, spiegelt die Art und Weise wider, wie Sie andere behandeln.
Gerade in der heutigen Welt ist Selbstmitgefühl eine vollkommen unterschätzte psychologische Kompetenz. Studien zeigen, dass die Persönlichkeitsmerkmale von Menschen mit selbstmitfühlenden Tendenzen stark mit Motivation, Lebensfreude, kreativem Denken korrelieren. Umgekehrt tendieren die Fehlersucher unter uns dazu, bei Persönlichkeitsmerkmalen wie Angst, Feindseligkeit oder Demotivation eine höhere Punktzahl zu erzielen. Wenn Sie sich bei Fehlern also nicht schlecht behandeln, sondern im Gegenteil so etwas wie Mitgefühl für sich selbst aufbringen, dann wissen Sie, dass es menschlich ist, Fehler zu machen – kommt es dennoch zu einem Fehler, verprügeln Sie sich nicht gleich deswegen. Sie lernen vielmehr aus der Erfahrung, passen den Kurs für das nächste Mal an und machen weiter.
Ein weiteres Problem ist, dass viele Menschen es gewohnt sind, gerade die eigenen Gefühle in gut oder schlecht, positiv oder negativ einzuordnen. Es gibt für sie kein Dazwischen, sondern nur schwarz oder weiß. Positive Gefühle werden gefördert, negative werden bestraft. Wenn Menschen nun eine Erfahrung machen, die unangenehme Gefühlen mit sich bringt, wird diese Erfahrung automatisch abgewertet – aus dem einfachen Grund heraus, weil das Gefühl unangenehm ist. Um sich nicht länger schlecht zu fühlen, versuchen sie dann diesem Zustand zu entfliehen und beschimpfen sich, in der Hoffnung, dass sie sich so motivieren.
Dabei sind gerade schwierige Emotionen und Gedanken die wichtigsten Wegweiser, die uns zur Verfügung stehen. Denn genau sie geben Ihnen wertvolle Informationen darüber, wer Sie eigentlich sind und was Ihnen wirklich am Herzen liegt. Erst wenn Sie all Ihre Gefühle – auch die negativen – anerkennen und akzeptieren, können Sie daran wachsen. Wenn Sie zum Beispiel merken, dass Sie sich über eine Person ärgern, dann fragen Sie sich, warum Sie so verärgert sind und was gerade mit Ihnen passiert. Gefühle sind wichtige Leitplanken. Sie machen Sie auf etwas in Ihrem Leben aufmerksam und zeigen Ihnen, was Ihnen wichtig ist. Indem Sie sich selbst Fragen zu Ihren unangenehmen Gefühle und Wahrnehmungen stellen, erfahren Sie mehr über sich selbst. Statt die Gefühle und sich selbst zu verurteilen, nehmen Sie sie nämlich an und beginnen daraus zu lernen. So kann es für eine Person ärgerlich sein, weil sie das Gefühl hat, dass sie fehl am Platz ist. Die andere Person könnte sich missverstanden oder nicht gesehen fühlen.
Die wenigsten sind es gewohnt, nett zu sich zu sein. Gerade der Beginn, wenn es darum geht, sich selbst nicht zu be- oder zu verurteilen, sondern nur wahrzunehmen, was gerade ist, ist schwierig. Viele tappen dann schnell wieder in alte Muster und beginnen sich zu kritisieren. Eine Sache, die helfen kann, ist, sich selbst aus dem Blickwinkel unseres inneren Kinds zu betrachten. Wir alle haben nämlich eine Kinderversion von uns, die in uns lebt.
Nehmen wir folgendes Gedankenexperiment: Wie würden Sie reagieren, wenn ein Kind zu Ihnen kommt und sagt: „Niemand möchte mit mir zusammen sein“ oder „Die machen sich lustig über mich.“ Würden Sie es auslachen oder ihm sagen, dass das ganz klar ist, so furchtbar wie es ist? Natürlich nicht. Vielmehr würden Sie es liebevoll in Ihren Arm nehmen und es trösten. Wenn es Erwachsenen an Selbstmitgefühlt fehlt, kann es ihnen helfen, sich bewusst mit ihrem inneren Kind zu verbinden und herauszufinden, was es braucht.
Letztendlich geht es bei Selbstempathie nur darum, zu erkennen, was es heißt Mensch zu sein. Unbehagen, Stress, Enttäuschung, Verlust und Schmerz sind Teil der menschlichen Reise. Wenn wir nicht in der Lage sind, Platz für die Liebe und das Vertrauen für uns selbst zu machen, haben wir ein Problem. Denn Mensch zu sein heißt auch unvollkommen zu sein und Fehler zu machen. Erkennen Sie, dass Sie das Beste tun, das Sie können, mit dem, was Sie gerade haben und dass das bereits großartig ist.