Seit Wochen schon schiebe ich einen Abgabetermin für einen Artikel vor mich her. Eigentlich gibt es keinen Grund, den Artikel nicht fertigzustellen: Das Thema, zu dem ich schreiben soll, interessiert mich brennend, ich habe sämtliche aktuelle Studien gelesen und alle relevanten Informationen recherchiert. Trotzdem finde ich irgendwie nicht den passenden Abschluss. Anstatt mich hinzusetzen und noch ein oder zwei Stunden zu investieren, ertappe ich mich dabei, sinnlos im Internet herumzusurfen. Ich weiß, dass ich am Artikel arbeiten sollte – so, was um alles in der Welt mache ich da eigentlich?
Normalerweise habe ich den Drang, anstehende Aufgaben sofort zu bearbeiten. Psychologen nennen diesen Zustand Prekrastination. Bei der Prekrastination wird jede Verschiebung als Qual empfunden. Sie brauchen den Fortschritt wie die Luft zum Atmen – es gibt Ihnen das sichere Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Bei der Prokrastination wiederum schieben Sie eine Tätigkeit immer wieder auf, obwohl Sie wissen, dass dieser Aufschub mit Kosten für Sie verbunden ist. Statt also zum Beispiel das Projekt endlich abzuschließen, beginnen Sie zum Beispiel damit die Wäsche zu waschen, den Schreibtisch aufzuräumen oder Katzenvideos zu schauen.
Prokrastination bzw. Aufschieberitis ist ein Fluch. Wenn es eine Weltmeisterschaft im Hinauszögern von Aufgaben gäbe, wären vermutlich Studenten in den oberen Top-Rängen vertreten. Untersuchungen nach sind 80 Prozent der Studenten Opfer der Prokrastination. Statt die Arbeit fertig zu schreiben oder für die Klausur zu lernen, werden unliebsame Aufgaben bis in die letzte Sekunde hinausgezögert. Aber nicht nur Studenten sind von der Aufschieberitis betroffen: Bis zu 20% der Arbeitnehmenden geben auf Nachfrage an, chronische Aufschieber zu sein (die Dunkelziffer ist sicher um ein Vielfaches höher).
Ein Mythos über die Aufschieberitis lautet, dass die Ursache immer in schlechtem Zeitmanagement, Faulheit oder Lustlosigkeit zu finden ist. In vielen Fällen ist aber nichts davon der eigentliche Grund. Eine aktuelle Studie hat eine andere Möglichkeit aufgedeckt. Demnach wollen Menschen durch das Aufschieben nicht die Tätigkeit selbst vermeiden. Vielmehr versuchen sie so, der negativen Emotion, die sie mit dieser Aufgabe verbinden, aus dem Weg zu gehen.
Menschen zögern, wenn eine Tätigkeit Gefühle wie Angst oder Langeweile in ihnen auslöst. Durch den Aufschub fühlen sie sich im Moment besser. Der Haken an der Sache ist, dass dasselbe Spiel am nächsten Tag wieder von neuem beginnt. Dazu kommt noch das schlechte Gewissen und das Gefühl nichts getan zu haben. Aufschub ist also eine fehlgeleitete Strategie zur emotionalen Regulierung - es verschiebt das Problem lediglich auf später. In meinem Fall fühle ich mich durch das Hinauszögern meiner Arbeit gestresster, schuldiger und frustrierter.
Wenn Sie sich selbst als chronischen Aufschieber bezeichnen, bringt Ihnen die Arbeit an Ihrer Arbeitsmoral oder Ihrem Zeitmanagement nur bedingt etwas. Vielmehr müssen Sie zuerst die Emotion, die hinter dieser Verzögerung versteckt liegt, aufdecken, um sie dann aufarbeiten zu können.
Eines der häufigsten Gefühle, das mit Prokrastination einhergeht, ist die Angst, nicht gut genug zu sein. Perfektionisten neigen dazu, sich selbst zu zerfleischen und die eigene Arbeit bereits während der Entstehung und auf Basis der eigenen, viel zu hohen Erwartung zu beurteilen. Wenn Sie sich in diesem Verhalten wiedererkennen, dann sollten Sie zu diesem Gegenmittel greifen: Selbstmitgefühl. Besinnen Sie sich darauf, dass Sie ein Mensch aus Fleisch und Blut sind, der Fehler machen darf. Es ist in Ordnung, nicht immer perfekte Arbeit zu leisten und Sie dürfen auch ab und an Dinge aufschieben. Dass dieser Umgang mit sich selbst zu besseren Leistungen führt als Selbstkritik, zeigen auch Untersuchungen.
Wenn Sie nicht perfektionistisch veranlagt sind, sondern öfters Dinge aufschieben, weil Sie vielleicht den Stress eines Abgabetermins brauchen, sich nicht motiviert fühlen oder die Aufgabe zu abstrakt ist, gibt es zwei verschiedene Strategien: Einerseits können Sie nicht dringende Arbeiten später erledigen: Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie noch Zeit brauchen, weil Sie nicht inspiriert sind, sich gehetzt oder nicht bereit fühlen, dann überlegen Sie, ob das grundlegende Gefühl umgewandelt werden muss oder ob Sie in diesem Fall die Arbeit einfach später erledigen sollten. Wenn letzteres der Fall ist, dann verschieben Sie die Arbeit auf später – aber bitte ohne schlechtem Gewissen.
Andererseits können Sie auch dem Rat von Psychologen folgen: Beginnen Sie einfach. Überlegen Sie sich, was der erste Schritt ist, wenn Sie gleich jetzt anfangen. Wenn Sie mit der Arbeit einfach starten, werden Ihre Gedanken von Ihren Gefühlen abgelenkt und Sie kommen schneller ins Tun. Wenn Sie erst einmal mit einer Arbeit angefangen haben, sind die folgenden Schritte in der Regel immer einfacher.
Ich habe für mich beschlossen, eine Pause einzulegen und den Artikel eine Zeit lang liegen zu lassen. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit noch nicht reif ist und ich ein bestimmtes Puzzleteil noch brauche. Ich könnte mich zwar weiterhin selbst quälen, beleidigen oder zerfleischen, aber das würde ziemlich sicher weder die Qualität des Artikels steigern noch meinen eigenen Anspruch erfüllen.
Egal, ob oder was Sie gerade aufschieben, denken Sie bitte daran: Auch wenn es vielleicht so klingt, ist Prokrastination keine unheilbare Krankheit. Vielmehr ist es eine Herausforderung, vor der jeder Mensch immer wieder im Laufe seines Lebens steht. Es wird immer unangenehme Aufgaben geben, die unerwünschte Emotionen hervorrufen. Entdecken Sie die Chance, die darin liegt, die versteckte Emotion aufzudecken und gezielt daran zu arbeiten. Das wird Ihren zukünftigen Arbeiten wesentlich mehr bringen, als wenn Sie mit Zwang diese eine Tätigkeit jetzt irgendwie durchziehen, nur um Sie abhaken zu können.