Menschen belügen sich selbst, oft sogar unbewusst. Sie lügen sich vor allem dann an, wenn es um Fortschritte geht, die sie auf dem Weg zu einem Ziel machen. Sie sagen zum Beispiel, dass sie alles versuchen, um kreativer zu sein. Stattdessen tun sie alles, um ihre liebgewonnenen Pfade zu rechtfertigen und keine Routine loslassen zu müssen. Oder sie sagen Sätze wie „Ich habe mir in letzter Zeit wirklich viel Mühe gegeben“, aber sie verlassen sich auf das momentane subjektive Gefühl, das sie dabeihaben. Selten beinhalten solche Aussagen irgendeine Art von objektiver Messung. Das alles sind Ausreden, die einen Zweck erfüllen: Sie geben den Menschen ein besseres Gefühl – selbst wenn keine Fortschritte sichtbar sind.
Ich erzähle Ihnen deswegen über diese kleinen Lügen, weil ich sie gut von mir selbst und aus zahlreichen Coachings mit Führungskräften kenne. Sie sind stete Begleiter auf unserem Lebensweg, die uns bei der Veränderung hinderlich sind. Sie hindern den Menschen daran, sich selbst wahrzunehmen und zu verstehen. So genannte Wohlfühl-Aussagen gaukeln einen falschen Fortschritt.
Wenn es Ziele gibt, die Sie erreichen wollen, führt kein Weg daran vorbei, als sicher zu wissen, was in Ihrem Leben wirklich passiert und wo Sie sich gerade befinden. Sie müssen sich selbst in Ihrer Ganzheit wahrnehmen.
Bei der Selbstwahrnehmung geht es darum, besser zu verstehen, warum Sie fühlen, was Sie fühlen, und warum Sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten. Sobald Sie anfangen, dieses Konzept ernst zu nehmen und zu verfolgen, haben Sie die Möglichkeit, Dinge an sich selbst zu ändern. Es ist unmöglich, sich zu ändern und sich selbst zu akzeptieren, wenn Sie nicht wissen, wer Sie sind. Erst die Klarheit über Ihr Können, Ihre Stärken und Ihr Schwächen, hilft Ihnen dabei, Veränderungen aktiv vorzunehmen.
Die meisten Menschen sind davon überzeugt eine gute Selbstwahrnehmung zu haben und ihr Leben zu reflektieren. Tatsächlich ist das aber eine seltene Eigenschaft: Forscher schätzen, dass nur 10 bis 15% der Menschen tatsächlich eine gute Selbstwahrnehmung haben. Viel zu oft nehmen blinde Flecken die Sicht und der Hang sich selbst zu belügen, lädt dazu ein, sich besser zu fühlen. Die meisten agieren im Autopilot-Modus, ohne auch nur einen Moment kurz anzuhalten und zu überprüfen, ob ihr Verhalten mit ihren Gedanken und Werten übereinstimmen.
Ich bin ein großer Fan der Selbstreflexion, allerdings mit Abstrichen. Denn genau hier liegt eine große Falle gut versteckt: Selbstreflexion berichtet nämlich nicht immer von der reinen Wahrheit, sondern es zeigt Ihnen vielmehr einen von vielen Standpunkten auf.
Wenn Sie wirklich etwas ändern wollen, wenn Sie zum Beispiel besser in einer Fähigkeit sein möchten, dann sollten Sie Menschen, die es gut mit Ihnen meinen, um ehrliches Feedback bitten und mehr nach dem Was als nach dem Warum fragen. Auf diese Weise können Sie wirklich lernen, sich selbst klarer zu sehen. Das Leben bietet so viel zu lernen und sich selbst ständig zu verbessern. Es zahlt sich also aus die blinden Flecken aufzudecken und bewusst an der Veränderung zu arbeiten.
Eine Übung hat mir und meinen Coachees geholfen, sich besser wahrzunehmen und ich lade Sie ein, diese mal auszuprobieren. Dazu setzen Sie sich einfach gerade hin, atmen tief ein und aus und nehmen etwas zur Hand, in dem Sie Ihr Antlitz erkennen. Das kann ein Spiegel oder auch die Kamera Ihres Smartphones oder ein Glas sein. Blicken Sie in Ihre Spiegelung und betrachten Sie ganz neutral, was Sie dort sehen. Wie sieht Ihr Gesicht aus? Lächeln Sie? Strahlen Ihre Augen? Oder sehen Sie müde aus? Blicken Sie mürrisch drein? Welchen Ausdruck auch immer Ihr Gesicht in diesem Moment hat, es ist der Ausdruck, den Sie die meiste Zeit tragen.
Dieser Ausdruck, den Sie in diesem Moment sehen, sehen auch die Menschen, die Ihnen im Laufe des Tages begegnen. Es ist derselbe Ausdruck, den Sie haben, wenn Sie auf der Straße gehen. Es ist derselbe Ausdruck, den Sie haben, wenn Sie an Ihrem Schreibtisch sitzen und konzentriert arbeiten. Es ist derselbe Ausdruck, den Sie haben, wenn Sie telefonieren. Es ist der Ausdruck, den Sie haben, wenn Sie das erste Mal neue Menschen treffen. Ist das der Ausdruck, von dem Sie wollen, dass andere ihn sehen und mit Ihnen assoziieren? Wenn Sie damit zufrieden sind, dann ist es gut, dann behalten Sie ihn.
Aber: Wenn Sie nicht lächeln, wird niemand Ihr Lächeln sehen und erwidern. Wenn Sie kein Strahlen in den Augen haben, wird niemand sehen, dass es Ihnen gut geht und Sie glücklich sind. Wenn Sie nicht konzentriert dreinblicken, wird niemand wissen, dass Sie nicht gestört werden wollen, weil Sie an etwas arbeiten. Gesichtsausdrücke sind wichtig und Sie sind der Anfang der Selbstwahrnehmung.
Es ist Ihre Verantwortung, sich selbst zu kennen, und das beginnt im Spiegelbild. Es ist die Botschaft, die Sie jeden Tag in die Welt tragen. Und wenn Sie diese Botschaft ändern möchten, müssen Sie zuerst wissen, was Sie eigentlich aussenden.
Wenn Sie sich nicht bewusst sind, was Sie tatsächlich tun, ist es unmöglich, etwas in Ihrem Leben zu ändern. Der Versuch, ohne Selbstwahrnehmung bessere Gewohnheiten aufzubauen, ist wie das Abschießen eines Pfeils in der Dunkelheit. Sie können nicht erwarten ins Schwarze zu treffen, wenn Sie sich nicht einmal wissen, wo sich das Ziel befindet und in welche Richtung Sie zielen müssen. Selbsterkenntnis ist eine Fähigkeit, die Übung und Zeit braucht. Sich im Spiegel zu betrachten, wird nicht alles ändern, aber es ist ein guter erster Schritt auf einem neuen Weg.