Der Begriff der emotionalen Intelligenz wird oft missverstanden. Emotionale Intelligenz ist nicht die Fähigkeit auf eine Weise zu agieren, dass Sie sich nie wieder schlecht fühlen. Es bedeutet auch nicht, sich selbst so zu disziplinieren, dass Sie generell nie wieder negative Gefühle erleben. Es ist auch nicht die Fähigkeit, keinerlei Gefühle mehr zuzulassen oder extrem gelassen auf eine Situation zu reagieren. Emotionale Intelligenz ist vielmehr die Fähigkeit, die eigenen Emotionen und die anderer Menschen zu verstehen und darauf passend zu reagieren. Im Grunde geht es bei der emotionalen Intelligenz darum, wie sehr Sie sich auf ein Gefühl einlassen. Denn Gefühle sind Teil des Lebens, die immer ihren Platz haben werden.
Viele Menschen haben im Laufe des Lebens gelernt, unangenehme Gefühle so gut es geht zu unterdrücken. Sie sind mit dem Glauben aufgewachsen, dass Gefühle etwas sind, das sie nicht kontrollieren können und das ihnen das Leben erschwert. Gefühle existieren willkürlich und unabhängig von einer Person. Es scheint, als wären die Menschen ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Während Trauer oder Depression tage-, wochen- und auch monatelang anhalten können, verschwinden Angst oder Freude normalerweise wieder nach recht kurzer Zeit. Der Grund ist, dass ersteres keine echten Gefühle, sondern Symptome bzw. Auswirkungen von lang unterdrückten Gefühlen sind. Sie entstehen, wenn Menschen nicht akzeptieren, was ist.
Statt Schmerzen, Peinlichkeiten und Verluste sichtbar zu machen, aufzudecken und anzusprechen, um dadurch die entstandenen Traumata zu bearbeiten, schieben die meisten Menschen ihre Emotionen weg und lassen sie nicht zu. Die Angst, sie könnten ihr Leben nicht wie bisher weiterleben, sondern würden von den Gefühle überwältigt werden, ist einfach zu groß. Vielleicht ist es auch tatsächlich so, allerdings ist das Ergebnis der Nichtakzeptanz der Gefühle, dass die Erlebnisse nicht verarbeiten werden können. Erlebtes verschwindet aber nicht einfach so, wenn man nicht mehr hinsieht - es wird lediglich unterdrückt und existiert bzw. arbeitet an einem Ort weiter, bis es eines Tages scheinbar unerwartet an die Oberfläche gelangt und Bestehendes hinterfragt.
Vielleicht kennen Sie von sich selbst die Sorge, dass Gefühle einen im unangebrachtesten Moment einfach überkommen. Damit die Umgebung das nicht wahrnehmen kann und so eine vermeintliche Schwäche entdeckt, gilt es, Emotionen, die spontan auftauchen, zu überspielen. Mir wurde zum Beispiel beigebracht, dass ich immer freundlich lächeln sollte, auch wenn ich tief verletzt war und meine Seele innerlich weinte. Oder dass ich niemanden meine Angst zeigen sollte, um nicht verwundbar zu sein. Oder dass ich nur dann gemocht werde, wenn ich immer lieb und nett zu allen bin – egal, wie es mir dabei geht. Das eigene Überleben ist bei den meisten damit verbunden, Gefühle nicht zuzulassen, sondern das zu zeigen und zu repräsentieren, was andere sehen wollen. Die emotionale Erfahrung muss für das eigene Überleben der Bequemlichkeit der Umgebung weichen.
Die Sache ist allerdings folgende: Nicht Sie haben ein Problem. Nicht Sie sind die Person, die Angst davor hat, zu viel zu fühlen. Es sind vielmehr die Menschen in Ihrer Umgebung, die nicht mit Ihren Gefühlen umgehen können. Es sind die Menschen in Ihrer Umgebung, die nicht wollen, dass Sie etwas fühlen, weil sie nicht wissen, wie sie darauf reagieren sollen.
Wenn Sie jetzt in sich hineinfühlen und zum Beispiel Müdigkeit spüren, dann überlegen Sie kurz, ob Sie dieses Gefühl vielleicht haben, weil Sie sich nicht erlauben die Person zu sein, die Sie wirklich sind. Wenn Sie Ärger spüren, dann vielleicht deswegen, weil sich Ihre Wut meldet, die Sie so lange unterdrücken mussten. Wenn Sie dann aber das Gefühl bekommen, dass Sie etwas an sich ändern müssen, dann stoppen Sie bitte für einen Moment und denken Sie daran, dass es nicht Ihre Gefühle sind, sondern Ihr Umgang mit Ihren Gefühlen, den Sie überdenken sollten.
Wenn Sie beginnen, sich selbst ernst zu nehmen, sich wieder zuzuhören, auf Ihre Gefühle zu achten und zu verstehen, was sie Ihnen wirklich sagen wollen, dann werden Sie sich mit einem Male viel freier fühlen. Die ultimative Freiheit werden Sie dann erleben, wenn Sie aufhören Emotionen zu unterdrücken, sondern sie zulassen und akzeptieren – ohne sie zu be- oder verurteilen. Denn jedes Gefühl ist wertvoll und hat seine Daseins-Berechtigung. Und die Gefühle, die Sie am meisten unterdrücken, zeigen Ihnen den wichtigsten Weg zu Ihrem Selbst.