Vor ein paar Jahren saß ich bei einem Geschäftsessen neben einem Geschäftsführer, der sichtlich frustriert war. Wir kamen ins Gespräch über Führung und Veränderung, als er plötzlich seiner Frustration Luft machte: „Ich verstehe es einfach nicht“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Meine Präsentationen sind wirklich gut. Meine Ideen sind durchdacht. Ich erkläre alles genau, klar und überzeugend – aber nichts passiert. Die Leute nicken höflich und machen dann weiter wie bisher.“
In meinen Coachings höre ich solche Klagen häufig: Intelligente, gut ausgebildete Menschen, die davon überzeugt sind, dass gute Ideen für sich selbst sprechen. Ich hörte eine Weile zu, bevor ich ihm eine Frage stellte, die ihn sichtlich überraschte: „Wie oft wiederholen Sie sich?“
Seine Antwort war so typisch, dass ich sie schon im Voraus hätte vorhersagen können: „Warum sollte ich? Ich habe es doch schon gesagt. Einmal sollte reichen.“
Genau da liegt das Problem und der Schlüssel zu einer der mächtigsten psychologischen Kräfte, die unser Verhalten steuern.
1968 führte der Psychologe Robert Zajonc an der University of Michigan ein Experiment durch, das unser Verständnis menschlicher Präferenzen revolutionierte. Er zeigte Studenten chinesische Schriftzeichen, die völlig bedeutungslos für sie waren. Einige Zeichen tauchten häufiger auf als andere.
Das Spannende war, dass die Studenten die häufiger gezeigten Symbole durchweg als „angenehmer“ und „besser“ bezeichneten. Sie verstanden kein Chinesisch und kannten die Bedeutung nicht, aber sie fühlten sich wohler mit dem Vertrauten.
Zajonc nannte dieses Phänomen den „Mere-Exposure-Effekt“: die bloße Wiederholung erzeugt Sympathie. Und das funktioniert selbst dann, wenn wir die Wiederholung gar nicht bewusst wahrnehmen.
Mich persönlich fasziniert sehr, wie tief dieser Mechanismus in unserem evolutionären Betriebssystem verankert ist. Unsere Vorfahren, die Neues mit Vorsicht begegneten, überlebten eher als die, die jeden fremden Schatten unbekümmert erkundeten. Vertrautheit signalisierte Sicherheit.
Heute wirkt diese Heuristik subtiler, aber nicht weniger mächtig. Wir vertrauen dem Kollegen, der regelmäßig in Meetings spricht, mehr als dem brillanten Schweiger. Wir wählen die Marke, deren Logo wir oft sehen, auch wenn die Konkurrenz objektiv gesehen besser ist. Wir folgen Menschen, deren Namen uns vertraut vorkommen.
Das ist nicht Schwäche oder Oberflächlichkeit, sondern es ist effiziente Informationsverarbeitung in einer überreizten Welt.
Durch Jahre der Forschung habe ich gelernt, dass Vertrautheit auf drei Ebenen wirkt:
Kognitive Vertrautheit: Wiederholte Aussagen werden eher für wahr gehalten. Propagandaforscher nennen das den „Wahrheitseffekt“. Nicht, weil wiederholte Behauptungen faktisch korrekter sind, sondern weil sie sich richtiger anfühlen.
Emotionale Vertrautheit: Menschen erinnern sich weniger an Ihre Worte als an die Gefühle, die Sie bei ihnen auslösen. Konsistente emotionale Signale schaffen Bindung, selbst wenn die Inhalte variieren.
Soziale Vertrautheit: In Gruppen setzen sich oft nicht die besten Ideen durch, sondern die von den vertrautesten Personen vorgetragenen. Unfair? Vielleicht. Menschlich? Absolut.
Aber hier kommt der wichtige Schlüssel: Wiederholung bedeutet nicht Penetranz. Es bedeutet Präsenz mit Variation.
Der Geschäftsführer, den ich erwähnte, lernte dies erst nach Monaten der Frustration und verschenkter Gelegenheiten. Wichtige Initiativen versandeten, Budgets wurden gekürzt, Kollegen begannen seine Expertise zu hinterfragen – alles weil seine wirklich guten Ideen einfach nicht ankamen. Erst als er begann, seine Kernbotschaften strategisch in verschiedenen Kontexten zu wiederholen – einmal als Geschichte, dann als Metapher, dann untermauert mit Daten – begannen seine Ideen endlich zu fruchten. Seine Inhalte blieben dieselben, aber seine Herangehensweise hatte sich fundamental verändert.
Die Forschung bietet drei effektive Strategien an, wie Sie das in Ihrem Alltag nutzen können:
Verschiedene Formate nutzen: Dieselbe Botschaft einmal als Geschichte, einmal als Metapher, einmal mit Daten unterlegt. Jede Variation verstärkt die anderen, ohne langweilig zu werden.
Verschiedene Kanäle nutzen: Einmal per E-Mail, einmal im Meeting, einmal im Flurgespräch. Menschen verarbeiten Informationen unterschiedlich – manche sind visuelle, andere auditive Lerner.
Rhythmische Präsenz: Regelmäßige, vorhersagbare Sichtbarkeit schafft Vertrauen. Nicht aufdringlich, sondern verlässlich – wie ein Leuchtturm, der in gleichmäßigen Abständen sein Signal sendet.
Aber Moment – was ist mit der anderen Seite der Medaille? Wie schützen wir uns vor der unbewussten Manipulation durch diesen Mechanismus?
Hier sind drei Gegenmittel, die uns helfen, bewusster zu entscheiden:
Bewusste Pausenmomente einbauen: Wenn uns eine Idee, Person oder Lösung sofort „richtig“ erscheint, sollten wir innehalten und fragen: „Warum fühlt sich das so vertraut an? Habe ich das schon oft gehört oder gesehen?“ Vertrautheit ist kein Beweis für Richtigkeit.
Aktiv nach dem Fremden suchen: Bewusst neue Perspektiven, ungewohnte Stimmen und andere Informationsquellen aufsuchen. Was uns zunächst fremd oder unbequem erscheint, könnte genau die Wahrheit sein, die wir brauchen.
Den „Warum“-Test anwenden: Wenn wir uns zu einer Person, Idee oder Lösung hingezogen fühlen, fragen wir uns bewusst: „Warum erscheint mir das so überzeugend? Liegt es an der Qualität der Argumente oder daran, dass ich es schon oft gehört habe? Warum fühle ich mich bei dieser Option wohler als bei anderen?“ Diese Selbstreflexion hilft uns, zwischen echter Überzeugung und bloßer Gewöhnung zu unterscheiden.
Eine unbequeme Sache, die uns zu einer tieferen Frage über das Wesen des menschlichen Urteilsvermögens führt, ist die, dass Menschen nicht der objektiv besten Lösung folgen. Sie folgen der vertrautesten. Das ist kein irrationaler Denkfehler oder bedauerliche Schwäche, es ist ein Merkmal unserer menschlichen Natur, das uns vor eine existenzielle Herausforderung stellt.
Die Ironie unserer Zeit liegt darin, dass wir in unserem Streben nach ständiger Originalität oft die Macht der Wiedererkennung übersehen. Wir wechseln permanent Themen, Stile und Botschaften und wundern uns dann, warum nichts hängen bleibt. Dabei liegt die wahre Kunst nicht darin, immer neu zu sein, sondern darin, wiedererkennbar zu bleiben, während man wächst.
Am Ende wählen Menschen nicht das Fremde. Sie wählen das, was sich wie eine gute Entscheidung anfühlt. Und nichts fühlt sich sicherer an als das Vertraute. Das ist die stille Macht der Wiederholung: Sie verwandelt Unbekanntes in Vertrautes. Und Vertrautes in Geliebtes.
Was bedeutet es für unsere Demokratie, wenn wir dem Vertrauten mehr glauben als dem Wahren? Was bedeutet es für unsere Beziehungen, wenn Konsistenz wichtiger wird als Korrektheit?
Der Mere-Exposure-Effekt ist weder gut noch schlecht, er ist einfach menschlich. Aber wie wir damit umgehen, das bestimmt, wer wir sind. Nutzen wir ihn, um anderen zu helfen, wichtige Wahrheiten zu verstehen? Oder um sie zu unserem Vorteil zu manipulieren? Die Forschung zeigt uns, wie unser Geist funktioniert. Was wir daraus machen, liegt an uns.

