Seit Anbeginn der Menschheit sind es drei Worte, über die sich Philosophen, Psychologen, Wissenschaftler, Künstler und Theologen den Kopf zerbrechen “Wer bin ich”. Ihre Annahmen gehen weit auseinander und es mangelt an breitem Konsens. Kein Wunder, denn unter der Flut der Informationen, der SMS, E-Mails, Apps, Erinnerungen und Tweets verlieren wir schnell den eigenen Überblick. Statt uns selbst kennenzulernen, überlegen wir viel öfters, wie wir uns selbst in der Welt am besten darstellen können.
Um mit den Augen zu sehen, bezieht sich unser Gehirn u.a. auf unser konzeptionelles Weltverständnis, unsere Erinnerungen, Meinungen, Emotionen. Das Gesehene beeinflusst wiederum, wie wir uns fühlen. Und wie wir uns fühlen, verändert das, was wir sehen. So wurde bereits in zahlreichen Studien nachgewiesen, dass Menschen zum Beispiel die Schrittgeschwindigkeit einer Person unterschiedlich einschätzen – je nachdem, ob sie vorher gebeten wurden, an einen Geparden oder an eine Schildkröten zu denken. Was wir sehen, ist also im Grunde nichts anderes als eine komplexe, selbsterschaffene Konstruktion, die wir als real erleben. Und an die wir glauben. Wir sind der Schöpfer unserer Realität. Mit dieser Befähigung kommt auch die komplette Verantwortung.
Eine Studie untersuchte den Einfluss des Selbstgesprächs auf das Widerstehen von Versuchungen bzw. wie dadurch Menschen reagieren, wenn sie mit Versuchungen konfrontiert werden. Während des Experiments wurde eine Gruppe angewiesen, die Worte „Ich tue nicht“ (I do not) zu verwenden, wenn sie über ungesunde Ernährungsgewohnheiten nachdachte, während die andere Gruppe „Ich kann nicht“ (I can not) anwenden sollte. Am Ende der Studie wurde den Teilnehmenden für ihre Mühe entweder ein Schokoriegel oder ein Müsliriegel angeboten. Fast doppelt so viele Probanden der „Ich tue nicht“-Gruppe wählten die gesündere Option. Die Ergebnisse zeigten, welchen Einfluss unsere Selbstbeschreibung und unser Selbstbild auf unser Verhalten hat. Oder anders gesagt: So wie wir denken, so verhalten wir uns.
Nun ist die Sache die: Um in dieser Welt gut durchzukommen, haben wir gelernt Prämissen aufzustellen und schnell (falsche) Schlüsse daraus zu ziehen. Wir haben Vorurteile. Wir glauben, dass wir Recht und andere Unrecht haben. Wir fürchten das Schlimmste. Wir streben nach unerreichbarer Perfektion. Wir reden uns ein, was wir können und was nicht.
Furcht ersetzt allerdings das Ungewisse durch das Schreckliche und die Angst verwirklicht sich. Werden wir nun gezwungen kritisch zu denken, tritt die Angst den Rückzug tief ins Innerste an, verkleinert und verzerrt die Sicht. Kritisches Denken wird dann durch eine Flut störender Emotionen unmöglich. Bei einer einmaligen Gelegenheit etwas zu unternehmen, verleitet die Angst zur Untätigkeit und dazu, passiv zuzusehen, wie sich diese Prophezeiungen erfüllen.
Die Art und Weise, wie wir über uns selbst denken, hat also einen immensen Einfluss darauf, wie wir mit Ablenkungen und unerwünschten Verhalten umgehen. Wenn Sie Ihr Verhalten ändern wollen, müssen Sie demnach Ihr Verständnis über sich selbst ändern. Das hilft Ihnen, das zu verfolgen, was Sie wirklich wollen. Indem Sie Ihr Verhalten an Ihrer Identität ausrichten, treffen Sie Entscheidungen, die darauf basieren, wer Sie wirklich sein wollen.
Dazu ist es zunächst wichtig, dass Sie als erstes das Verhalten identifizieren, das Sie ändern möchten. Wenn Sie zum Beispiel weniger Süßigkeiten essen wollen, aber sich selbst als "Süßigkeitensüchtiger" betrachten, wird das Aufgeben des Naschens zur Herkul'schen Aufgabe. Sie werden sich vermutlich sehr bald schon sagen hören "Ich kann einfach nicht aufhören, Süßes zu essen."
Wenn Sie sich allerdings selbst als jemand sehen, der problemlos auf Süßigkeiten verzichten kann, weil Sie Süßes nicht mögen, dann fühlen Sie sich nicht eingeschränkt. Süßes nicht zu mögen, ist dann mehr ein Ausdruck dessen, wer Sie sind. Um erfolgreich Süßes aus Ihrer Ernährung zu streichen, liegt der Schlüssel zum Erfolg dann darin, sich selbst und anderen zu sagen, dass Sie Süßes nicht mögen und es so zum Teil Ihrer Identität zu machen.
Wenn wir realisieren, dass es niemals nur eine einzige Geschichte über uns gibt, sondern dass wir alles sagen und alles sein können, das wir denken, dann erobern wir ein Stück vom Paradies zurück.
Viele Menschen gehen davon aus, dass ihre Identität starr ist und von Geburt an feststeht. Tatsächlich ist unser Selbstbild flexibel. Auf eine bestimmte Weise über sich selbst zu denken, ist nichts anderes als eine Gewohnheit. Und das Schöne an Gewohnheiten ist, dass wir sie ändern können. Sie müssen dazu nur ein wenig mutig sein. Wenn wir jung sind, sind wir zumeist bereits sehr mutig und träumen davon, wie das Leben aussehen könnte. Die Sache mit Mut ist allerdings die: Er erscheint nicht einfach, wenn wir ihn brauchen. Er ist das Ergebnis von Arbeit und ständiger Reflexion. Ohne Angst tun wir dumme Dinge. Aber ohne Mut werden wir niemals ins Unbekannte vordringen. In der Balance der beiden liegt die Magie versteckt.