Mein Alltag ist gekennzeichnet von Veränderung, Dynamik und Schnelligkeit. Das ist mitunter ein Grund, warum mein Mann und ich unseren Lebensmittelpunkt aus der Stadt an den Rand von Wien verlegt haben. Neben meinem bunten Unternehmensalltag brauche ich die Ruhe, die Stille und das Alleinsein, um Energie zu tanken. Das Besondere an der Gasse, in der wir wohnen, ist, dass wir einen direkten Zugang zu einem riesigen Waldgebiet haben. Seit einem halben Jahr haben wir auch wieder eine Fellnase als Begleiter, die uns regelmäßig bei jedem Wetter zwingt, hinauszugehen.
Wann immer ich diesen naturbelassenen Wald betrete, ertappe ich mich dabei, hoch auf die Bäume zu schauen und mich zu fragen, was mir diese Bäume alles erzählen würden, wenn sie reden könnten. Ich frage mich, was sie wohl alles im Laufe der langen Zeit, seitdem sie dastehen, schon gesehen und gehört haben. Von welchen Geheimnissen, Sorgen und Hoffnungen sie stille Zeugen geworden sind.
Am Boden liegen umgestürzte Bäume und Äste und unseren Weg müssen wir uns durch wilde Brombeersträucher bahnen. Der Wald besteht aus solchen Trampelpfaden, bei denen Sie erst einen Weg durch ein Labyrinth aus Brennnesseln, Dornen und Stacheln finden müssen. Diese wilden Wälder erinnern mich auf faszinierende Weise daran, wie die Natur vor der Menschheit war: eine verworrene, stachelige und giftige Dunkelheit, oft feindselig und finster, aber gleichzeitig geheimnisvoll und irgendwie schön. Die wildesten Dinge sind die lebendigsten, und es ist irgendwie belebend, sich inmitten des Chaos zu befinden, in einer Zeit, in der der Mensch jeden anderen Teil des Lebens überwunden hat.
Alleine im Laufe des letzten Jahres müssen wir an die hunderte Male dieselbe Route gegangen sein, aber ich werde ihrer Reize nie müde. Jeder Spaziergang ist eine Gelegenheit, neue Dinge zu entdecken, neue Geräusche zu hören, neue Pflanzen zu sehen.
Die eigentliche Faszination aber findet sich für mich im Gehen. Bei jedem Spaziergang, jeder Reise, verlassen wir uns auf unseren Instinkt, gehen ohne Plan los und lassen uns treiben. Und dann, während des Gehens und Redens, in all diesem Fluß, kommen ganz plötzlich Ideen. Geschichten entfalten sich. Sinn und Zweck unserer Arbeit werden wiederhergestellt. Es finden sich Antworten auf Fragen, die wir uns sonst nicht stellen. Und all dies geschieht in blitzschnellen Augenblicken, während wir in diesem Gehen vertieft sind.
Auch Beethoven machte jeden Morgen einen Spaziergang, bevor er sich hinsetzte, um an seiner Musik zu arbeiten. Einstein ging spazieren, um komplexe Probleme zu lösen und Steve Jobs zog es vor, Besprechungen während des Gehens durchzuführen. Diese und viele weitere Persönlichkeiten machten das Gehen zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Lebens und ihrer Arbeit. 2014 lieferte eine Studie aus Stanford einige Ergebnisse, die möglicherweise das Warum erklären.
Gehen ist viel kraftvoller als Sitzen, um kreative Ideen zu generieren
Die Teilnehmer wurden gebeten, entweder zu sitzen oder auf einem Laufband zu gehen. In beiden Fällen waren sie gegenüber einer weißen Wand platziert. Die Kontrollgruppe ging nach draußen an die frische Luft. Die Forscher stellten fest, dass die kreative Leistung beim Gehen im Vergleich zum Sitzen durchschnittlich um 60% stieg.Die kreative Wirkung des Gehens geht über die Bewegung hinaus
Die Menschen waren aber nicht nur während, sondern auch nach dem Spaziergang kreativer. Es reicht also, wenn Sie einen kurzen Spaziergang machen und sich danach hinsetzen.Sie müssen nicht ins Schwitzen kommen, um von der Bewegung zu profitieren
Viele Studien zuvor haben schon bewiesen, wie sehr ein Herz-Kreislauf-Training das Gehirn stimuliert. Es reduziert Stress, verbessert das Gedächtnis, verbessert den Fokus und die Konzentration ... die Liste der Vorteile ist lang. Die oben erwähnte Studie zeigt, dass ein schöner Spaziergang bereits alles ist, was Ihr Gehirn braucht, um kreativer zu werden. Sie müssen sich nicht unbedingt körperlich auspowern. Und Sie müssen dafür auch nicht viel Zeit aufwenden: Schon kurze Spaziergänge von 5 bis 16 Minuten wirken sich laut der Studie bereits positiv auf die Kreativität aus.
Fazit
Spaziergänge sind per se Starthilfen für den kreativen Motor in Ihnen. Aber wenn Sie die Chance haben, öfters in der Natur zu sein, dann sollten Sie das unbedingt nutzen. Denn in der Natur lassen Sie die Sorgen zurück. In der Natur müssen Sie niemand bestimmter sein.
Wenn Sie sich also das nächste Mal festgefahren fühlen oder ein Problem haben, das Sie nicht lösen können, stehen Sie auf und machen Sie einen kurzen Spaziergang. Dann setzen Sie sich und bearbeiten Sie dann nochmals das Problem. Selbst wenn Sie es danach nicht lösen können, haben Sie zumindest Ihre Beine gestreckt und eine erfrischende, kurze Pause eingelegt.
Wenn Sie mit einem besonders kniffligen Problem konfrontiert sind, versuchen Sie einfach mal spazieren zu gehen - ohne eine Antwort suchen zu wollen. Durch den Rhythmus des Gehens machen Sie sich frei, lösen sich von Meinung und Erwartung und verkörpern wieder den eigentlichen Charakter. In diesem Zustand des Ursprungs beginnt sich Ihr Geist zu klären - und dann kommen die Ideen, um diese Leere zu füllen.