Ein paar meiner engsten Freunde denken, dass einige meiner tief verwurzelten Überzeugungen zu wichtigen Themen falsch oder sogar Unsinn sind. Und trotzdem sind wir immer noch befreundet – wie kann das sein? Ein Teil der Antwort liegt darin, wie wir Argumente austauschen: Zunächst teile ich eine Ansicht und begründe danach eine These. In der Zwischenzeit hören sie geduldig zu und antworten nach meinen Erklärungen. Durch die Art und Weise, wie Sie Argumente austauschen, zollen wir uns nicht nur gegenseitig Respekt, sondern wir lernen uns sogar noch besser kennen.
Wenn Menschen einander nicht so gut kennen, passiert es sehr leicht, dass Gesagtes missverstanden wird. Dadurch kommt es zu persönlichen Verletzungen, die im Grunde gar nicht beabsichtigt waren. Die Argumente, die danach folgen, sind dann nicht selten von Wut und Verachtung begleitet. Dieser Kreislauf ist nicht nur giftig, er kann vor allem nur schwer durchbrochen werden. Es sei denn, dass eine der Parteien ernsthaftes Interesse an der Sichtweise des anderen zeigt.
Ist das der Fall, passiert oft Folgendes: Der, der mit Wut reagiert hat, ist verwirrt von der unerwarteten Reaktion. Diese Verwirrung macht dann Platz für ein Gespräch voller echter Neugierde – auf beiden Seiten. Und irgendwann beginnen die Grenzen zwischen Freund und Feind zu verschwimmen, auch wenn die individuellen Standpunkte klar sind und auch bleiben. Der andere wird plötzlich als Mensch wahrgenommen – und das ändert die gesamte Art der Unterhaltung. Die beiden Parteien sind dann keine Verteidiger der Wahrheit mehr, sondern Menschen mit Fehlern.
Die Sache ist die: Keine Wahrheit kann ohne irgendeine Form von Irrtum existieren und kein Irrtum besitzt nicht irgendwo ein Stückchen Wahrheit in sich. Argumentieren ist lediglich ein Prozess, bei dem man sich gegenseitig hilft, einander besser zu sehen. Aber dazu müssen wir lernen zuzuhören.
Untersuchungen zeigen, dass Streit vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet ist: 1. durch die Stimmfunktion, also das Sprechen in einer höheren Tonlage, das als lauter und schneller wahrgenommen wird. 2. verkörperte Merkmale wie aggressive Gesten und vermeidende Haltungen wie sich von jemandem abzuwenden. Und 3. Interaktionsfunktionen wie jemanden reinreden, Nicht-Zuhören oder Kommentare zum laufenden Gespräch. Auch Gefühlsäußerungen sind bei einem Streitgespräch wie Unmut oder Wut sind üblich.
Unsere Gesellschaft feiert Toleranz und Diversität mehr als je zuvor und doch driften wir immer weiter auseinander. Wir fordern Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Freiheit und Respekt, aber tun uns selbst damit schwer, den eigenen Weg zu verlassen. Es fällt uns schwer, Fehler in der eigenen Position oder den Verdienst einer Gegenposition anzuerkennen. Die Welt wird eingeteilt in Schwarz und Weiß. Nuancen, Komplexität oder Menschlichkeit haben aber in einer solchen Welt gar keinen Platz. Wenn andere den eigenen Weg hinterfragen, mutieren sie fast automatisch zu Feinden. Aber all das bringt uns nicht ans Ziel.
Um zu einer lebenswerten Gegenwart und Zukunft zu gelangen, müssen wir beginnen mit Menschen, die anderer Meinung sind, zu reden. Es reicht nicht nur zu erkennen, wie wichtig es ist, anderen aufmerksam und aufrichtig zuzuhören, sondern wir müssen uns auch die Mühe machen, uns auf den anderen auch wirklich einzulassen. Das bedeutet auch, die eigene, bequeme Komfortzone zu verlassen. Das ist nicht so leicht wie es klingt, denn wir wissen oft nicht, wie die jeweils andere Seite zu dieser Sichtweise kam. Die Sicherheit und der Glaube, dass wir selbst auf der richtigen Seite, auf der Seite der Wahrheit, stehen, ist so unglaublich verführerisch. Dazu kommt, dass es nicht einfach ist Empathie und Mitgefühl für Menschen aufzubauen, die uns mit Feindseligkeit und Hass entgegenkommen. Der Impuls, genauso zu reagieren, ist verlockend – aber Sie müssen und können dem widerstehen.
Sie schaffen das, indem Sie beginnen Fragen zu stellen. Wenn Sie keine Fragen stellen, werden Sie nie erfahren, was den anderen wirklich am Herzen liegt. Nur so können Sie gemeinsame Werte und Ziele entdecken und Missverständnisse vermeiden. Dazu brauchen Sie Geduld, um die Tendenz zu bekämpfen, konkurrierende Ansichten sofort zu unterbrechen und den anderen überzeugen zu wollen. Vergessen Sie bei all dem aber nicht, auch Ihre Sichtweise und Argumente zu teilen. Bei kontroversen Themen ist keine Sicht so offensichtlich, dass sie sich den Forderungen nach Beweisen und Gründen entziehen könnte. Es braucht Argumente, damit beide Seiten wirklich voneinander lernen können.
Ich glaube fest daran, dass wir nur gemeinsam Konflikte und Missstände lösen können. Es geht nicht darum, dass Sie Ihren Glauben, Ihre Werte oder Ihre Prinzipien aufgeben. Es geht darum, der Verachtung und Feindseligkeit keinen Platz mehr zu geben. Hören Sie zu, stellen Sie gezielt Fragen und nähern Sie sich dem anderen als Mensch. Ich weiß, dass es schwierig sein kann, mit jemanden zu reden, der auf der anderen Seite Ihrer Meinung steht. Aber es ist immer eine Chance, um zu lernen und zu wachsen - für beide Seiten. Das Ende eines Teufelskreises aus Hass und Schuldzuweisung beginnt mit demjenigen, der sich weigert, diesem Impuls nachzugeben. Seien Sie dieser Mensch.
P.S. Die 5 Regeln der Argumentation finden Sie in diesem Video.