Warum wir uns oft mehr einbilden zu wissen, als wir tatsächlich wissen

Meine Arbeit als Design-Thinking-Beraterin ist eigentlich einfach erklärt: Ich unterstütze große und mittelständische Unternehmen dabei, nachhaltig funktionierende Lösungen zu finden, in dem sie zunächst die wirklichen Bedürfnisse der Zielgruppe verstehen und so neue Visionen entstehen können. Ich sehe meine Aufgabe darin, einseitige Perspektiven zu bekämpfen, die eigenen Annahmen zu hinterfragen und aufgeschlossen gegenüber anderen Welten zu sein. Dazu nutze ich meine langjährige Erfahrung in diesem Bereich und meine akademischen Ausbildungen. In meiner Arbeit erlebe ich sehr oft, dass selbsternannte Experten einen enormen Schaden anrichten, weil sie nicht erkennen, wie unendlich komplex der Mensch, seine Gewohnheiten und seine Kultur sind.

Das Internet ist voll von selbsternannten Experten, die behaupten, den einen Trick zu kennen, der Sie sofort reich und erfolgreich machen wird. Und das nicht nur in meinem Bereich. Das Internet ist fraglos ein riesiges Reservoir an guten Informationen, aber auch eine Quelle der unsinnigsten Erklärungen: Von Ernährungsratschläge über ein neues Wundermittel, das im Schlaf das Fett auffrisst, über zweifelhafte Investitionstipps und methodischen Anleitungen, die so interpretiert werden, dass die Entwickler selbst sie nicht wiedererkennen. Mein Hausarzt hat mir einmal erzählt, dass seine größte Herausforderung darin liegt, die Arbeit von Dr. Google rückgängig zu machen.

Manches davon, was diese Menschen im Internet verbreiten, sind nichts weiter als Versuche, aus den Internetnutzern Kapital zu schlagen. Aber vieles davon sind schlechte Ratschläge, die dem psychologischen Phänomen „Illusion der Erklärungstiefe“ zugrunde liegen: Im Jahr 2002 stellten Psychologen in Experimenten fest, dass Personen, wenn sie zum ersten Mal mit technischen Informationen in Berührung kommen, meist überschätzen, wie gut sie diese tatsächlich verstehen. Die Forscher baten dabei die Probanden, grundlegende Beschreibungen der mechanischen Funktionsweise von acht gängigen Gegenständen im Detail zu lesen: ein Tachometer, einen Reißverschluss, eine Klaviertaste, eine Toilette, ein Zylinderschloss, einen Hubschrauber, eine Quarzuhr und eine Nähmaschine. Nachdem sie die Anleitung gelesen hatten, sollten die Probanden ihr Verständnis auf einer Skala von 1 bis 7 bewerten. Die durchschnittliche Selbstbewertung lag bei etwa 4.

Als nächstes forderten die Forscher die Teilnehmenden auf, in ihren eigenen Worten zu erklären, wie nun die einzelnen Elemente der Anleitung zufolge funktionieren. Dazu mussten sie auch Fragen beantworten und danach ihr eigenes Verständnis mit dem eines echten Experten zu vergleichen. Die Selbsteinschätzung der meisten Teilnehmenden sank nach diesen Phasen auf mindestens 3 und niedriger.

Das Phänomen der Illusion erklärender Tiefe ähnelt sehr dem sogenannten Dunning-Kruger-Effekt. Dieses beschreibt, wie Menschen mit geringen Fähigkeiten in einem Fachgebiet dazu neigen, ihre Kompetenz vollkommen zu überschätzen. Psychologen erklären sich dieses Phänomen, dass Menschen einfach nicht wissen, was sie nicht wissen.

Wir alle haben diese Tendenz und kaum einer ist davor geschützt. Ich erlebe das gerade selber in einer Ausbildung, in der ich für mich vollkommen neues Terrain betrete. Wann immer ein physikalisches Gesetz erklärt wird, habe ich zunächst das Gefühl, dass mir vollkommen klar ist, wie es funktioniert. Ich erlebe eine Art intellektuellen Schub. Wenn ich allerdings das Phänomen jemanden in meinen Worten erklären soll, ist die Ernüchterung groß, weil mir klar wird, dass ich noch kaum an der Oberfläche gekratzt habe.

Nun kann das Selbstvertrauen mancher Menschen dazu führen, dass sie sich zu sehr der Illusion einer Erklärungstiefe hingeben und Fehlinformationen verbreiten. Wie Forscher gezeigt haben, wirkt eine Person für andere vor allem dann sehr glaubwürdig, wenn sie die Informationen mit Selbstvertrauen weitergibt – selbst wenn ihr tatsächliches Wissen gering ist und die Informationen falsch sind. Dazu kommt, dass je weniger genau ein Mensch ist, desto größer ist seine eigene Selbstüberschätzung und desto mehr neigt er dazu, sich von anderen beeinflussen zu lassen.

Das erklärt, warum man praktisch im ganzen Internet, Informationen von zweifelhafter Genauigkeit findet. Das liegt nicht unbedingt daran, dass wir absichtlich belügen und belogen werden, sondern, dass die Freiheit und Zugänglichkeit des Internets dazu führen, dass noch mehr Menschen der Illusion einer erklärenden Tiefe erliegen und ihr neu erworbenes Fachwissen weitergeben.

Wir fallen der Illusion auf zwei Arten zum Opfer: Wir sind meistens Konsumenten und manches Mal auch selbst Produzenten. Als Konsument ist es nicht immer einfach zu erkennen, ob eine Person wirkliche Expertise besitzt oder nur behauptet sie zu haben. Eine einfache Hilfestellung ist sich die Frage zu stellen, welchen Hintergrund die Person hat, deren Behauptung Sie folgen möchten. Wenn er oder sie keinen entsprechenden Hintergrund hat, der Ihnen einen Hinweis gibt, dass auch genügend Erfahrung hinter der Behauptung steht, sollten Sie vorsichtig sein. Überprüfen Sie dann die Originalquellen, um sicherzustellen, dass die Informationen wirklich zuverlässig sind und nicht ausgewählt werden, um ein Argument vorzubringen, das die Voreingenommenheit der Person begünstigt. Eine gute Regel dazu lautet: Wenn eine Information oder Hilfestellung zu gut erscheint, um wahr zu sein, ist sie es wahrscheinlich auch.

Wenn Sie hingegen selbst Produzent falscher Informationen sind, dann denken Sie daran, dass das Erlernen neuer Gebiete Nervenkitzel bereitet. Studien zufolge sind Neugier und Interesse eine Quelle der Freude. Wenn Sie glauben, dass Sie etwas Kompliziertes nach sehr kurzer Studie bereits vollkommen verstanden haben, dann wenden Sie zunächst das neue Wissen in Ihrem eigenen Leben an. Danach fragen Sie sich ehrlich, ob Sie anderen wirklich damit weiterhelfen können.

Natürlich können auch Experten schlechte Informanten sein, vor allem, wenn es um Vorhersagen von Zukünftigem geht. Letztlich sind Experten auch nur Menschen und daher genauso anfällig für Gruppendenken und kulturellen Modeerscheinungen. Zwar brauchen wir Experten, um die Dinge für uns zu ordnen, trotzdem sollten wir uns auch ihrer Grenzen bewusst sein – mehr aber unserer eigenen.

Ganz gleich, auf welcher Seite Sie stehen, ob als Konsument oder Produzent: Geben Sie niemals Ihre Skepsis auf. Niemand verfügt über alles Wissen, jeder hat Vorurteile und blinde Flecken. Und wenn Sie von Ihrer Expertise überzeugt sind, denken Sie an einen einfachen Trick: Er heißt Demut.