Sehen Sie Probleme, wo keine sind?

Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig unwohl gefühlt? So unwohl, dass Sie etwas geändert haben – in Ihrem Job, an Ihrer Ernährung oder in Ihrer Beziehung? Obwohl die wenigsten es gerne zugeben, ist der Standardzustand der meisten Menschen Unzufriedenheit. Im Grunde ist das eine gute Nachricht, denn unsere grundlegende Unzufriedenheit ist das, was uns motiviert und Fortschritt vorantreibt. Das Problem ist, dass wir diese Unzufriedenheit in den meisten Fällen nicht richtig nutzen.

Die Neigung zur Unzufriedenheit half schon unseren Vorfahren, ihr (und damit unser) Überleben zu sichern. Und nicht nur das: Wenn sie wirklich ewige Glückseligkeit gefunden hätten, hätten sie wahrscheinlich nicht daran gearbeitet, die Erfindungen zu erschaffen, die unser heutiges modernes Leben so angenehm machen. Der nie endende Drang nach mehr und besser hat uns überhaupt erst dazu geführt, zu erfinden, zu kreieren und zu verbessern.

Doch während der menschliche Fortschritt das tägliche Leben so beeinflusst, ist der innere Drang, der Unbequemlichkeiten zu entfliehen, ein schwer zu erschütterndes Gefühl. Nichts scheint jemals gut genug zu sein. Und alles wird immer schlechter.

Unsere Erwartung an ein hohes Maß an Komfort hat unsere Unbequemlichkeitstoleranz erheblich reduziert. Wir sehen Probleme, wo keine sind, und sperren uns so selbst in eine immer kleiner werdenden Komfortzone ein. Um uns aus dieser selbstgestellten Komfortfalle zu befreien, sollten wir lernen, die Welt klarer zu sehen und eine gesunde Toleranz für das Eingehen von Risiken aufzubauen. Ein Weg dorthin führt über das Verständnis des Phänomens des prävalenzinduzierten Konzeptwandels.

Der Begriff prävalenzinduzierte Konzeptwandel wurde in einer Reihe verschiedener Studien in Harvard geprägt. Die Forscher baten die Teilnehmenden unter anderem, unter 800 verschiedenen menschlichen Gesichtsausdrücken, die von sehr einschüchternd bis völlig harmlos und sogar freundlich reichten, diejenigen zu identifizieren, die sie als besonders bedrohlich empfanden. Was die Probanden allerdings nicht wussten: Nach dem 200. Gesicht wurden keinerlei bedrohliche Ausdrücke mehr gezeigt. Doch anstatt weniger bedrohliche Gesichter zu sehen, begannen die Teilnehmer, neutrale Gesichter als bedrohlich zu identifizieren. Selbst als sie von den Forschern vor der Wirkung gewarnt und finanzielle Anreize zum Widerstand geboten wurden, blieb die Voreingenommenheit bestehen. Mit anderen Worten: Menschen sehen Bedrohungen, wo keine sind.

Nun erschaffen unsere Erwartungen unsere Realität. Wenn Sie aufgrund Ihrer bisherigen Erfahrungen erwarten, dass Menschen unfreundlich und egoistisch statt freundlich und fürsorglich sind, werden Sie andere wahrscheinlich zunächst entsprechend einstufen. Wenn die Nachrichten, die Sie konsumieren, voller Geschichten über Krieg, Gewalt und Hass sind, führt es meist dazu, dass Sie die Welt auch nur mehr so wahrnehmen.

Prävalenzinduzierter Konzeptwandel bedeutet also, dass wir generell zu Unzufriedenheit neigen. Aber was wäre, wenn wir diese menschliche Tendenz besser nutzen würden? Was wäre, wenn wir uns auf Geschichten über Hoffnung, Fortschritt und Verbesserung konzentrieren würden, anstatt unsere Zeit und Aufmerksamkeit darauf zu verwenden, worüber die traditionellen Nachrichtenmedien uns Sorgen bereiten? Gerade bei Nachrichten geht es um Dinge, die passieren, nicht um Dinge, die nicht passieren.

Probleme sind unvermeidlich und Lösungen schaffen neue Probleme, die wiederum gelöst werden wollen. Die ungelösten Probleme, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, sind riesig, wie Klimawandel, Kriege und Ungerechtigkeiten. Aber wir müssen beginnen, sie als zu lösende Probleme zu sehen, die den Fortschritt aktiv antreiben - und nicht als wartende Apokalypsen.

Wir wurden in eine Welt geboren, die gnadenlos wettbewerbsorientiert ist. Doch die menschliche Natur ist mit Ressourcen ausgestattet, die Raum für viele Lösungen eröffnen. Wir sind in der Lage Ideen zu kombinieren und über unsere Gedanken nachzudenken. Wir haben ein Gespür für Sprache, das uns ermöglicht, die Früchte unseres Einfallsreichtums und unserer Erfahrung zu teilen. Die Fähigkeit zu Mitgefühl, Mitleid und Vorstellungskraft sind in uns vertieft. Probleme und Herausforderungen ermöglichen es erst, dieses umfangreiche Potenzial zu entdecken und die Angst und Besorgnis loszulassen, die wir empfinden, wenn wir in unseren Komfortzonen bleiben.

Indem wir uns selbst herausfordern, erweitern wir die Grenzen unserer Komfortzone und nutzen unser Potenzial. Menschen haben sich entwickelt, um Hindernisse zu überwinden. Es ist gut und wichtig, Unwohlsein wahrnehmen zu können. Indem wir unsere Probleme in die richtige Perspektive rücken und unseren angeborenen Drang nach Verbesserung richtig nutzen, können wir die Art von Leben führen, auf das wir stolz sind.