Als ich nach der Schule mich für ein Studium entscheiden musste, habe ich von allen möglichen Menschen in meiner Umgebung unzählige Ratschläge bekommen. Die meisten davon waren unaufgefordert, nicht hilfreich und gut gemeint – eine ganz schlechte Kombination. Denn habe ich einen Ratschlag angenommen, ist alles mögliche schief gegangen. Habe ich aber den Ratschlag ignoriert, reagierte der jeweilige Ratgebende beleidigt. Getreu dem Motto: Wie man’s macht, macht man’s falsch.
Damals habe ich mich den Rat anderer folgend für ein betriebswirtschaftliches Studium entschieden. Es hat 5 lange – teilweise schöne, teilweise qualvolle – Jahre gedauert, bis ich dieses Kapitel endlich abgeschlossen habe und das tat, was ich eigentlich wollte: Meine Zeit der Verhaltensforschung zu widmen.
Das Problem an den Empfehlungen meiner Familie und Freunde lag nicht darin, dass sie mir nicht helfen oder mich gar leiden sehen wollten. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, dass sie alle das Beste für mich wollten. Trotzdem oder gerade deswegen waren die Ratschläge schlecht, denn all die Vorschläge hatten einfach wenig mit mir als Person und meinen persönlichen Stärken zu tun.
Schuld daran ist das Ratgebermonster. Es sitzt auf unseren Schultern und wittert bei dem kleinsten Anflug einer Frage sofort seine Chance. Das Ratgebermonster ist nämlich fest davon überzeugt, alles ganz genau und viel besser als jeder andere zu wissen. Während unser Gesprächspartner noch mitten in der Erzählung ist, quatscht es uns schon seine Ideen in die Ohren. Schließlich kennt es ja die ultimative Lösung auf dieses Problem.
Nun ist das Ratgebermonster ständig auf der Suche nach neuen Opfern. Sobald jemand mit einer Erzählung beginnt, flüstert es uns ins Ohr "Oh, ich kenne die richtige Antwort! Wenn du das sagst, dann merkt der andere, wie schlau du bist! Du wirst alle damit begeistern und kannst damit wirklich jemanden weiterhelfen!". Spätestens an dieser Stelle sollten Sie innehalten, skeptisch werden und das Ratgebermonster an die kurze Leine nehmen.
Wir alle lieben es, anderen zu helfen. Wir fühlen uns dadurch wichtig und gebraucht. Wir erzählen gerne von uns selbst und versuchen Parallelen zu unseren eigenen Erfahrungen zu ziehen, um dadurch unsere Kompetenz zu beweisen. In neun von zehn Fällen sagt aber das Bedürfnis, anderen Menschen Ratschläge zu erteilen, weit mehr über den Ratgebenden als über den Erzähler aus. Das Problem ist nicht, dass wir helfen wollen. Das Problem besteht vielmehr darin, dass wir Standardantworten entwickeln und den anderen gar nicht mehr zuhören.
Nun ist aber das Ratgebermonster nur sehr schwer einzufangen. Erst wenn Sie seine Beweggründe verstehen, wissen, wie es tickt und warum es überhaupt mit Ratschlägen um sich schmeißt, können Sie es zähmen.
3 Gründe, warum wir oft mit unserem Rat falsch liegen
Unser Rat ist selten so gut wie wir denken. In vielen Fällen sind wir davon überzeugt, dass wir viel besser als der Gesprächspartner selbst wissen, wie er oder sie mit der Situation umgehen soll. Sich kompetent zu fühlen – vor allem im Vergleich zu anderen – stärkt enorm unser Selbstwertgefühl. Studien beweisen aber, dass wir in Wahrheit gar nicht so gut sind, wie wir glauben. Tatsächlich überschätzen wir in den meisten Fällen unsere eigenen Fähigkeiten. In der Psychologie gibt es auch einen Namen für dieses Phänomen: den Dunning-Kruger-Effekt. Dieser Effekt beschreibt das Blindstellen unseres Ichs für unsere eigenen Schwächen. Benannt nach den zwei Psychologen, die diesen Denkfehler als erstes beschrieben haben, empfinden wir uns in vielen Fällen als kompetenter als andere Personen. So empfinden zum Beispiel 80% der Autofahrer ihre Fahrtechnik als überdurchschnittlich gut. Das Problem dabei ist, dass die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten nicht nur zu Fehlern führt, sondern auch zu schlechten Entscheidungen. Besitzt andererseits jemand tatsächlich mehr Know-how in einem Gebiet als andere, unterschätzt er/sie oft die eigenen Fähigkeiten. Menschen geben meistens ihre Schwächen zu, sobald sie sie als solche erkannt haben. Wir sind aber zu oft in einer Blase falscher Selbstwahrnehmung gefangen und erkennen dadurch unsere eigenen Schwächen nicht als solche.
Häufig schießen wir uns auf das falsche Problem ein. Es ist verführerisch zu denken, dass das erste Problem, das auftaucht, auch das wirkliche Problem ist, das es zu lösen gilt. Tatsächlich ist das aber in den seltensten Fällen wirklich der Fall. Viel öfters liegt das eigentliche Problem ganz woanders versteckt. Die Herausforderung, die sich so aufdrängt, ist lediglich ein Symptom davon.
Wir haben die Verbindung zum anderen verloren. Wenn wir Ratschläge geben, vermitteln wir dem anderen das unangenehme Gefühl, dass wir besser, schlauer und kompetenter sind als die Person selbst. In solchen Momenten haben wir keine Verbindung zu unserem Gegenüber. Wir sprechen nicht nur dem Gesprächspartner die eigene Kompetenz ab, sondern wir geben ihm auch das Gefühl, dass er/sie unselbstständig und unfähig ist und dass wir besser als jeder andere die Antwort kennen. Der Grund ist, dass Menschen Kontrolle lieben – es vermittelt uns Sicherheit. Deswegen tun wir alles, um dem anderen das Gefühl zu geben, überlegen zu sein und so die Kontrolle zu übernehmen.
Es gibt aber eine gute Nachricht: Mit einer einfachen Gewohnheit können Sie Ihr inneres Ratgebermonster zähmen: Stellen Sie Fragen und bleiben Sie neugierig.
Meine zwei Lieblingsfragen, um mit dem Ratgebermonster zusammenzuarbeiten
Wenn Menschen zu mir kommen und mit einer Erzählung starten, stoppe ich sie schnell und frage, ob er/sie am Ende einen Rat bekommen will oder ob sie einfach jemanden braucht, der zuhört. Oft verwechseln Menschen diese beiden Wünsche und können deswegen auch den besten Ratschlag nicht annehmen.
Wenn Sie also fragen “Willst du, dass ich dir nur zuhöre oder willst du wirklich wissen, was ich an deiner Stelle machen würde?”, helfen Sie Ihrem Gegenüber damit, sich selbst bewusst zu werden, worum es eigentlich geht. Das Ergebnis ist, dass Sie sich beide nach dem Gespräch wohler fühlen: Der Gesprächspartner, weil er/sie sich bewusst machen konnte, was er/sie eigentlich will und der Ratgebende, weil er/sie der anderen Person dadurch tatsächlich weiterhelfen konnte.
Die zweite Frage zeigt, dass Sie die Person ernst nehmen, aber nicht in die Falle tappen, das Offensichtliche mit dem Eigentlichen verwechseln. Wenn Sie fragen "Was meinst du, ist das wirkliche Problem? Was steckt dahinter?" zeigen Sie, dass Sie erst am Anfang stehen und selbst noch nicht wissen, was eigentlich los ist. Es positioniert Sie neu. Sie können so der anderen Person helfen, das wirklich wichtige Problem zu finden. Und Sie zeigen auch, dass Sie die andere Person wertschätzen und keine schnelle und damit vielleicht falsche Antwort geben wollen.
Neugierig zu bleiben ist nicht nur der Türöffner zu einer wunderbaren Welt voller neuer Erfahrungen und Begegnungen. Sie schenken damit auch andere Menschen gute Gefühle, indem Sie ihnen nicht die Antwort vorkauen, sondern ihnen helfen, ihre eigene Antwort zu finden. Verpassen Sie Ihrem Ratgebermonster einen Maulkorb, nehmen Sie es an die kurze Leine und helfen Sie anderen dabei, ihren eigenen Weg zu finden.
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