Gespräche über Grenzen hinweg

Wenn ich die aktuellen Diskussionen rund um den Umgang mit der Pandemie beobachte, sehe ich einen erschreckenden Anstieg von Zwietracht, Gemeinheiten und Beschimpfungen. Als wäre die Zeit nicht für alle anstrengend genug, nehmen die gegenseitigen Beschuldigungen massiv an Fahrt auf. Das beunruhigt mich. Anstatt Informationen zu überprüfen, neugierig und offen für die Meinung anderer zu sein und zum Wohl der Allgemeinheit zu agieren, zerschlagen wir uns scheinbar lieber die Köpfe. Selbst Ehepartner, Geschwister, Tanten und Onkel halten sich in ganz unterschiedlichen und voneinander getrennten Nachrichtenökosystemen auf, die in jeweils anderen Sprachen kommunizieren. Das Ergebnis ist eine fast schon gewohnheitsmäßige Verleugnung derjenigen, die nicht unserer Meinung sind. Was können wir tun, um mit Menschen konstruktiv zu reden, die vielleicht vollkommen anderer Meinung sind als wir?

Soziale Medien, digitale Kommunikation, Online-Unterhaltung – diese Dinge sind nicht per se schlecht, aber unser Umgang damit ist es zumindest zum Teil. Viele von uns fixieren sich auf die Geräte und vergessen dabei, worum es eigentlich geht, nämlich um eine tiefere Verbindung mit anderen Menschen. Dabei haben weder Facebook, noch Twitter, noch unsere Smartphones die Antworten auf all die dringenden Fragen, die uns gerade so quälen.

Das ständige Greifen nach unseren Handys passiert in den seltensten Fällen aus dem Bedürfnis heraus, ein Gespräch mit einer anderen Person zu beginnen. Wir tun es vielmehr, weil wir das Gefühl der Leere nicht ertragen, weil wir uns langweilen oder wir uns ablenken wollen. Wir chatten auch nicht primär, um mehr von einer anderen Person zu erfahren – wir chatten, um uns selbst weniger unwohl oder alleine zu fühlen.

Nun sind die wichtigsten Eigenschaften, um sich wirklich mit anderen Menschen zu verbinden, Neugier und Offenheit für andere Perspektiven. Wenn Sie neugierig und bereit sind, Ihre eigenen Grenzen zu verlassen, bauen Sie stabile Beziehungen auf und unterstützen Ihren persönlichen Wachstum. Sie helfen damit auch Ihrem Gegenüber die von Ihnen gelieferten Fakten und Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.

Damit andere zuhören, nutzen wir gerne Dramen und Übertreibungen. Wir glauben, dass uns nur so zugehört wird. Statt der großen Bühne für den Auftritt des Erzählers zu bekommen, erschweren wir aber dadurch nur anderen das Zuhören. Denn wer will sich schon Zeit nehmen, einer Person zuzuhören, Fragen zu beantworten oder seinen Standpunkt zu erklären, die scheinbar nur Augen und Ohren für sich selbst hat?

Auch wenn es einiges an Selbstüberredung kostet, bin ich davon überzeugt, dass wir unsere Motive und Weltanschauungen in jedem Gespräch transparent machen sollten. Nicht, um jemanden von der eigenen Meinung zu überzeugen oder zu erklären, dass dessen Erfahrung falsch oder gar unwichtig ist. Sondern um echte Gespräche zu führen und wieder zueinander zu finden.

Statt zu sagen "Wie kannst du nur X glauben?" stellen wir uns doch lieber gegenseitig Fragen, die auch zeigen, dass wir uns für den anderen wirklich interessieren. Ein Gespräch zwischen zwei Menschen sollte niemals eine Debatte oder gar ein Kampf mit verhärteten Fronten sein. Echte Gespräche sind auch kein Ersatz für Talkshows am Montagnachmittag oder ein Herumschleudern verschiedenster Aussagen. All diese Dinge bringen uns keinen Schritt näher. Ein permanenter Zustand der Zwietracht ist für jeden schlecht.

Ich weiß, dass es herausfordernd sein kann, Menschen mit vollkommen anderen Überzeugungen ruhig zuzuhören und zu unterstützen. Aber unsere gemeinsame Zukunft und die unserer Kinder hängt von unserer Fähigkeit ab, gemeinsame Probleme gemeinsam anzugehen. Dazu muss die Gemeinschaft in den Mittelpunkt gestellt und die Egos beiseitegelegt werden. Das schaffen wir, indem wir zunächst wirklich zuhören, um dann durch unsere eigenen Vorurteile und unsere persönlichen Denkmuster zu gehen und andere zu unterstützen, das Gleiche zu tun.

Das große Geschenk, das Sie am Ende solcher Gespräche bekommen, ist die Erkenntnis, dass auf der anderen Seite der eigenen Meinung Menschen stehen, die nicht anders oder gar verrückt sind, sondern die vielleicht nur eine andere Sprache sprechen, die Ängste und auch Sorgen haben, die sie womöglich gar nicht anders auszudrücken wissen.

Gute Gespräche zu führen ist keine Raketenwissenschaft. Aber wenn Sie Menschen auslachen, beleidigen oder von oben auf sie herabschauen, werden sie Ihnen nicht zuhören. Auch Scham zu erzeugen hilft niemanden weiter. Gute Kommunikation erfordert viel Übung, Willen, Zurückhaltung und Selbstbewusstsein. Denn echte menschliche Verbindung entsteht über Grenzen und Unterschiede hinweg.

P.S. Hier finden Sie ein Video über “aktives Zuhören”. Vielleicht inspiriert Sie dieses zu dem einen oder anderen Gespräch.