In letzter Zeit höre ich immer wieder Diskussionen darüber, ob die Menschen wieder zurück ins Büro kommen oder ob sie doch weiterhin vermehrt remote arbeiten wollen (hier finden Sie dazu eine Podcast-Episode mit zwei Experten). Wenn ich den Argumenten und dem Austausch folge, beschleicht mich allerdings immer wieder das Gefühl, dass diese Diskussion irgendwie zu kurz gedacht wird.
Das Virus hat es geschafft, unser Denken über Arbeit, das bis dahin so eingeengt war, zu weiten. Dinge, die wir vorher für nicht möglich gehalten haben, waren plötzlich notwendig und damit machbar. Die ganze Zeit während der Pandemie hat in gewisser Weise zu einer neuen Freiheit geführt: Anstatt einfach wieder zurück ins Büro zu gehen und dort weiterzumachen, wo wir aufgehört haben, haben wir Lust auf mehr bekommen. Wir haben begonnen darüber nachzudenken, öfters von woanders als vor Ort im Büro die Arbeit zu erledigen. Wir haben begonnen zu hinterfragen, wann wir mit wem und an welchen Projekten arbeiten möchten. Plötzlich waren Perspektiven da, die eine neue Form der Flexibilität und eine andere Wahl der Prioritäten sichtbar gemacht haben.
Durch unsere Erfahrung mit der Arbeit von zu Hause aus während der Pandemie haben wir einiges gelernt, das wir auf die zukünftige Arbeitsweise anwenden können. Und für einige bietet die Arbeit von zu Hause aus etliche Vorteile. Manchen fällt es leichter, sich Zuhause zu konzentrieren und produktiv zu sein. Andere sind froh sich von der Verkehrsfalle oder von der Kakophonie offener Büros befreit zu haben. Wieder andere schätzten vor allem die Zeit, die sie unerwartet mit der Familie verbringen konnten oder die neugewonnene Flexibilität und Autonomie.
Diese neue Form der Freiheit und Selbstbestimmung machte hungrig auf mehr. Statt stehenzubleiben oder gar wieder umzukehren, stellt sich nun die Frage, welche Bedeutung Arbeit tatsächlich in unserem Leben einnehmen soll. Generationen wie die Millennials oder Gen Y oder Z haben bereits aufgezeigt, dass die Bedeutung der Arbeit im eigenen Leben eine andere als die bisherige sein kann. Nun ist es auch an den anderen Generationen nachzuziehen.
Denn Arbeit kann mehr sein als die Wachzeit dazu zu nutzen, den Lebensunterhalt zu verdienen. Arbeit kann dem eigenen Leben Struktur und Sinn geben. Es kann ein Gefühl der Zugehörigkeit verleihen. Das bedeutet aber nicht, dass wir das Leben rund um die Arbeit organisieren sollten. Statt den Job bestimmen zu lassen, wann wir Zuhause sind, mit wem wir zusammen arbeiten und welches Hobby zu unserer freien Zeit passt, ist es an der Zeit umzudenken.
Einer der größten Fehler, die ich bei Unternehmen vor Covid gesehen habe, war, dass sie es versäumt haben, mit neuen Formen der Freiheit am Arbeitsplatz zu experimentieren. Das können sie aber jetzt wieder gut machen: Unternehmen sollten die Mitarbeitenden fragen, welche Experimente sie in den letzten anderthalb Jahren durchgeführt haben. Sie sollten fragen, welche vergangenen Beschränkungen die Mitarbeitenden nicht mehr wollen und zeitgleich offen dafür sein, welche neuen Freiheiten sie testen wollen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Selbstbestimmung am Arbeitsplatz kein einmaliger Hype oder Trend ist. Es ist ein fortlaufender Prozess, der sowohl von den Arbeitnehmenden als auch von den Arbeitgebenden Aufwand und Engagement erfordert. Die Unternehmen sind mehr denn je gefordert, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Menschen ernst genommen, respektiert und frei fühlen. Und die Mitarbeitenden sind gefordert, dieses durch ihr Sagen und Handeln aufrechtzuerhalten.
Unternehmen, die die Zufriedenheit am Arbeitsplatz steigern, sind immer erfolgreich. Es sind die Unternehmen, die die hausgemachte Verkomplizierung verhindern, offen für neue und unbekannte Wege sind und Arbeit generell anders denken. Es sind die Unternehmen, die nicht in der Dichotomie des Schwarz-Weiß-Denkens gefangen sind, sondern die das Sowohl-als auch-Denken fördern. Der wirkliche Kampf ist immer gegen sich selbst, gegen die eigene Bürokratie, gegen die Verkomplizierung. Aber den können wir jederzeit selbst beenden.