Mir persönlich geht es gerade so: Ich bin einerseits sehr froh und dankbar, dass ich helfen kann und von der Couch aus zum Lebensretter mutiert bin - ganz einfach weil ich Zuhause bleibe. Andererseits macht mich diese gezwungene, physische Distanz nervös. Ich bin diesen Zustand nicht gewohnt, das Leben bei mir ist ansonsten immer laut und steckt voller Veränderung. Dass dem gerade nicht so ist und wohl auch nie wieder sein wird, macht etwas mit mir. Die Stille und diese Ungewissheit bedrücken mich. Ich spüre stärker die Ängste und Sorgen der Menschen, auch wenn ich sie nicht sehe, sondern nur höre oder von ihnen lese. Und ich frage mich vermehrt, ob es mir wirklich so gut damit geht, wie ich mir selbst immer wieder sage.
Wir haben genau jetzt die Chance etwas zu tun, wozu wir sonst nur wenig Zeit haben: Nämlich uns um uns selbst zu kümmern und so die beste Version von uns selbst zu werden. Das ist wichtig, denn der Mensch, der Sie gerade am dringendsten braucht, sind Sie selbst. Wenn es plötzlich leise um uns herum wird und die Ablenkungen von außen wegfallen, kommen die Geister der Vergangenheit, die wir so gut eingeschlossen dachten.
Das Leben ist voller Unsicherheiten, Auf und Abs und Stresssituationen. Nicht nur im Moment, sondern ständig. Um in die Gesellschaft zu passen und nicht negativ aufzufallen, haben wir gelernt, negative Gefühle wie Ängste, Wut oder Frust zu unterdrücken. Das müssen wir plötzlich nicht mehr, weil wir mit uns und unserer engsten Familie alleine sind. Und darin liegt eine echte Chance.
Wir alle haben unsere eigene Strategie mit negativen Emotionen umzugehen. Während der eine sich mit Arbeit eindeckt, reagiert der andere, in dem er/sie versucht, die Leere mit Essen, Drogen oder Einkäufe zu füllen. Je lauter die Umgebung wird, je schneller wir uns bewegen, desto weniger fühlen wir uns. Wenn wir eine Pause einlegen und beginnen, unsere Gefühle wahrzunehmen, erkennen wir, was eigentlich passiert. Wir haben dann einen besseren Zugang zu unseren Erfahrungen und können auf Lösungen zurückgreifen, die bereits in der Vergangenheit funktioniert haben. Wir können uns um und selbst kümmern und beginnen, alte Wunden zu verarzten.
Etliche Studien zeigen, dass das Verstecken und Unterdrücken unserer Gefühle extrem schädlich für unsere geistige und körperliche Gesundheit ist. Das liegt ganz einfach daran, dass je öfter Sie Gefühle zurückhalten und hinunterschlucken, desto stärker werden sie. Menschen, die nicht gelernt haben, mit ihren Emotionen konstruktiv umzugehen oder sie erst gar nicht zulassen, zahlen einen sehr hohen Preis.
Die Forschung spricht vom "Ego-Depletion-Effekt". Es kostet einfach sehr viel Energie, wenn wir uns selbstkontrollieren und aktiv zurückhalten - und genau diese Energie fehlt uns dann. Wenn Sie zum Beispiel auf eine ungerecht empfundene Behandlung bei der Arbeit nicht reagieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie zu einem späteren Zeitpunkt viel früher und extremer handeln werden. Es fehlt Ihnen dann einfach die Energie ihre Emotionen weiterhin zu unterdrücken und die ansonsten kleine Maus wird dann ganz schnell zum riesigen Elefanten. Damit schaden Sie sich selbst am meisten, weil Sie so einst gesunde Beziehungen nach und nach zerstören und den Zugang zu sich selbst verlieren.
Wir sollten akzeptieren, dass negative Gefühle ein ganz natürlicher Teil von uns sind und zum Menschsein einfach dazugehören. Je eher wir das tun, desto früher lernen wir mit Ängsten, Wut oder Frust umzugehen. Dadurch werden wir uns auch viel schneller besser fühlen - einfach, weil wir wieder mehr Energie zur Verfügung haben.
Nutzen Sie diese besondere Zeit und stellen Sie sich der Herausforderung, mehr über sich selbst und Ihre Ängste zu erfahren. Das ermöglicht Ihnen, Ihre Energie in eine Wachstumsrichtung zu lenken und sich schließlich vollständiger und freier zu fühlen.
Es gibt auch noch einen zweiten positiven Effekt, warum Sie das unbedingt tun sollten. Wenn wir unsere Verletzlichkeit und unsere Ängste nämlich nicht mehr unterdrücken, sondern diese zeigen, werden wir positiver von anderen wahrgenommen. Forscher nennen das den Pratfall-Effekt: Wir beeindrucken andere und schaffen Vertrauen, indem wir dazu stehen, dass nicht immer alles eitel Sonnenschein ist und wir letztlich auch nur Menschen sind.
Indem wir unsere Emotionen in allen Schattierungen leben und offen mit ihnen umgehen, werden wir zu dem, wer wir sind und was uns ausmacht.
Keine Frage: Negative Gefühle zuzulassen, kann wirklich unangenehm sein. Aber wenn Sie es schaffen und ehrlich mit sich sind, wird sich Ihre gesamte Lebensqualität verbessern. Drücken Sie Ihre Gefühle aus, indem Sie über sie sprechen oder über sie schreiben. Es geht letztlich darum, zu sein wer wir sind, wenn niemand hinschaut.
Ich will wirklich nicht damit sagen, dass es verkehrt ist. positiv zu denken - nur ist das Leben nicht einfach schwarz oder weiß. Wir sind keine Roboter. Wir sind Menschen aus Fleisch und Blut und es ist nicht nur nichts Falsches daran, Emotionen zuzulassen. Es ist vielmehr ein wichtiger Teil in einem großen Puzzle, um glücklicher und erfolgreicher zu sein.