Neulich erfuhr ich durch Zufall, dass eine meiner besten Freundinnen eine zusätzliche Karte für eine moderne Inszenierung eines Theater-Stücks hatte. Sie lud statt mir einen gemeinsamen Bekannten ein. Verletzt von dieser Kleinigkeit, dachte ich sofort, dass ich vielleicht etwas getan hätte, das meine Freundin verärgert hat. So sehr ich darüber nachdachte, fand ich allerdings keine Erklärung. Also fragte ich mich, ob mich meine Freundin als langweilige Begleitung empfand, mit der es einfach keinen Spaß macht, auszugehen. Ich beschäftigte mich stundenlang damit und sprach die Sache schließlich an. Sie sah mich erstaunt an, lachte dann und sagte, dass sie sogar darüber nachgedacht hatte, mich zu fragen. Aber sie wusste, dass ich keine modernen Inszenierungen mag und nur aus Pflichtgefühl mitkommen würde, deswegen hat sie jemand anderen gefragt. Sofort schämte ich mich, weil ich nicht einmal an die wahrscheinlichste Erklärung gedacht habe.
Wenn wir Dinge persönlich nehmen, reagiert in erster Linie unser Ego. Unser Ego will immer von allen bestätigt und anerkannt werden. Es ist ein sozialer Perfektionist, der den Gedanken nicht erträgt, dass andere Fehler sehen könnten. Daher machen wir uns ständig Gedanken darüber, was andere über uns denken könnten.
In der Psychologie wird die Neigung, Dinge persönlich zu nehmen, Personalisierung genannt. Bei dieser kognitiven Verzerrung glaubt man, selbst die Ursache eines negativen Ereignisses zu sein, obwohl man wenig oder gar keine Belege dafür hat. Personalisierung kann nach jedem unerwünschten Ereignis entstehen, aber meistens passiert es dann, wenn andere Personen beteiligt sind.
Es gibt mehrere Probleme bei der Personalisierung: Zum einen wird dieser Denkfehler vor allem von Gefühlen, Erfahrungen, Mehrdeutigkeiten und auffällig negativen Informationen - und nicht von Objektivität - getrieben. Wenn Sie auf diese voreingenommenen Überzeugungen beharren, beschränken Sie Ihre emotionalen Optionen. Sie sind dann zum Beispiel traurig über einen Fehler, besorgt darüber, dass Sie sozialen Herausforderungen nicht gewachsen sind, oder Sie ärgern sich über andere, weil diese Sie nicht respektvoller behandeln. Wenn Sie diese Gedanken und Gefühle als Tatsachen annehmen, wird es schwierig, sie aufzugeben, sie zu vermeiden oder sich ihnen bewusst zu stellen. Die Tendenz, Dinge persönlich zu nehmen, schränkt aber nicht nur Ihre emotionalen Verhaltensmöglichkeiten ein, sondern sie erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass Sie viel Stress erleben werden.
Soziale Situationen sind meistens unklar, nicht selbsterklärend und führen zu Unsicherheiten. Daher haben Menschen einen natürlichen Drang, sie zu verstehen. Wenn Sie nicht genau begreifen, warum eine Person auf eine bestimmte Weise handelt, springt im Regelfall das Selbstbewusstsein ein, klärt die Situation und korrigiert sie gegebenenfalls. Kommt Personalisierung allerdings ins Spiel, tauchen lang einstudierten Annahmen automatisch auf – auch wenn Sie keinerlei Beweis dafür haben, dass Ihre Vorstellungen in diesem Fall zutreffen könnten.
Diese automatischen Gedanken sind erlernte Verhaltensweisen, die auf Ihren bisherigen Erfahrungen basieren. Sie können mit einer Geschichte von Verantwortungsübernahme oder Grenzüberschreitung verbunden sein. Oder vielleicht haben Ihre Eltern Sie früher für alle möglichen Probleme verantwortlich gemacht – auch wenn Sie diese nicht verursacht haben – und Sie haben begonnen ihnen zu glauben. All das bedeutet aber nicht, dass Ihre Gedanken oder Gefühle wahr sind. Es bedeutet nur, dass sie durch einen Vorfall getriggert dorthin wandern.
Die Sache bei der Personalisierung ist vor allem die: Es geht nicht immer um uns. Wenn Sie die Perspektive ändern und sich überlegen, warum eine Person so handelt, wie sie es tut, werden Sie unterschiedliche Antworten erkennen können. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass während eines Vortrags von mir, jemand auf sein Handy schaut, kann es sein, dass er oder sie gerade eine wichtige Nachricht erhalten hat, auf die diese Person schon lange gewartet hat. Vielleicht interessiert sich die Person auch wirklich nicht für das, was ich sage, oder im Gegenteil sie findet es so interessant, dass sie sich Notizen auf dem Handy machen will. Die Möglichkeiten sind schier unendlich und ich werden erst erfahren, was wirklich das Thema ist, wenn ich nachfrage.
Wenn Sie dazu neigen, Dinge zu persönlich zu nehmen, ist es wichtig, Ihre Muster der Personalisierung zu erkennen, bevor Sie entscheiden, was Sie damit machen. Das ist allerdings gar nicht so leicht, da die Grenze zwischen Gefühlen und Gedanken oft fließend ist. Es gibt aber einen guten Trick: Gefühle können oft in einem Wort zusammengefasst werden („Ich fühle mich nervös, unglücklich, überrascht, verängstigt“). Gedanken hingegen sind die Ideen, die diese Gefühle antreiben oder ihnen folgen („Ich werde diese Präsentation vermasseln, deswegen bin ich nervös“). Das ist ein wichtiger Unterschied, denn auch es schwierig ist, unangenehme Gefühle zu ändern oder zu kontrollieren, haben Sie doch immer die Möglichkeit zu entscheiden, wie Sie darauf reagieren.
Üben Sie die Verbindungen zwischen Gefühlen und Gedanken zu verstehen und zu trennen, wann immer Sie die Gelegenheit dazu haben. Wenn Ihr Chef zum Beispiel während eines Kunden-Meetings plötzlich still wird und Sie denken, dass Sie etwas Falsches gesagt haben, versuchen Sie zu erkennen, dass Sie mit einem Gedanken arbeiten, der wahr sein kann oder auch nicht. Danach betrachten Sie das Gefühl, das mit diesem Gedanken auftauchte. Sie könnten sich denken: „Als er während des Meetings schwieg, war ich unsicher. Ich dachte, ich hätte etwas Falsches gesagt.“ Denken Sie daran, dass Gefühle in diesem Moment nicht verhandelbar sind – Sie fühlen einfach, wie Sie sich fühlen, auch wenn Sie es sich vielleicht anders wünschen. Ihre Gedanken hingegen können immer in Frage gestellt, überarbeitet oder durch realistischere und nützlichere ersetzt werden.
Ihre Gedanken spiegeln nur Ihre eigenen Vorurteile wider. Das zu erkennen, ist ein wichtiger Ausgangspunkt, denn dadurch haben Sie die Gelegenheit, die Beweise für und gegen Ihre Gedanken zu sammeln. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen verrät, dass Ihre Gedanken vielleicht doch nicht wahr sind (Aber Achtung: Wenn Sie einen inneren Drang spüren, diese Beweise lediglich in Ihrem Kopf zu sammeln und zu analysieren, widerstehen Sie diesem bitte! Denn sonst laufen Sie Gefahr in einer internen Debatte steckenzubleiben und Gedanken, die Sie bereits angesprochen haben, erneut aufzugreifen).
Zum Beispiel: „Er sagte, dass der Kunde es nicht mag, wenn in einem Meeting nur gequatscht wird“ oder „Der Kunde schien zufrieden, weil er lächelte und nickte, dadurch war es nicht notwendig, irgendwie einzugreifen“. Schreiben Sie alle möglichen Erklärungen für das, was passiert ist, auf.
Suchen Sie abschließend die wahrscheinlichste Erklärung für Ihre Erfahrung. Stellen Sie sicher, dass Ihre Erklärung realistisch ist, anstatt auf unglaubwürdige Zusicherungen wie „Das passt schon, es lief eigentlich eh alles super!“ zurückzugreifen. Sehen Sie sich dann Ihre Notizen an und vergleichen Sie Ihre ursprünglichen Gedanken über die Situation mit Ihren neuen Gedanken: Sollten Sie bei Ihrer ersten Einschätzung bleiben oder wäre es besser, sie gegen eine neue, realistischere Erklärung einzutauschen?
Sobald Sie die Gelegenheit hatten, Ihre Gedanken zu erforschen, herauszufordern und zu überarbeiten, überlegen Sie, was Sie jetzt wissen und was Sie tun können. Schreiben Sie wie zuvor Ihre Gedanken und Pläne auf, um sicherzustellen, dass Sie sich später noch an sie erinnern. Versuchen Sie möglichst objektiv über das Geschehene nachzudenken, nicht zu hart zu sich selbst zu sein und dann sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, um ein Problem anzugehen. Letzteres kann bedeuten, dass Sie ein Missverständnis mit jemanden klären, vielleicht Fähigkeiten aufbauen, um sich besser auszudrücken, oder andere Hindernisse für den zukünftigen sozialen Erfolg beseitigen.
Soziale Interaktionen enthalten naturgemäß ein gewisses Maß an Mehrdeutigkeit oder Ungewissheit. Sie können weder kontrollieren, was andere denken, noch deren Gedanken lesen - aber Sie können immer nachfragen, Pläne für Veränderungen schmieden und lernen, die Unsicherheit zu tolerieren. Anstatt die Aufmerksamkeit und Energie auf Ihre eigenen Einschränkungen oder Bedenken hinsichtlich der Gedanken anderer zu lenken, richten Sie Ihren Fokus auf Ihr Verhalten und darauf, wie Sie reagieren möchten, um zu der Person zu werden, die Sie sein möchten.