Konsistenz als Problem

„Zu viele Köche verderben den Brei”, aber „Viele Hände machen leichte Arbeit“. Die Welt ist voller Widersprüche, entgegengesetzter Ratschläge und Anschauungen. Bereits erworbenes Wissen oder Know-how in Zweifel zu ziehen und plötzlich das Gegenteil als richtig zu empfinden, setzen viele Menschen mit einer Schwäche gleich, die vor allem eines macht: unsicher.

Konsistenz kann aber schnell zu einem Hindernis werden, wenn Sie sich verbessern oder wachsen wollen. Wenn Sie mit Zwang versuchen zu bleiben wer Sie sind, dann können Sie gar nicht wachsen und sich verändern. Der Versuch, in den Augen von Familie und Kollegen in Ihrem Denken, Handeln und Tun konsistent zu sein, verlangsamt vielmehr Ihr Wachstum, da Sie dann Herausforderungen vermeiden, die nicht genau in Ihre vordefinierte Persönlichkeit passen.

Wenn sich einmal ein Vorgehen etabliert hat, Sie sich eine Meinung gebildet oder eine Arbeitsweise perfektioniert haben, müssen Sie auch dranbleiben – komme, was wolle. Das zeugt doch von Stärke – heißt es zumindest immer. Wenn Sie allerdings zwei oder mehrere gegensätzliche Ideen im Kopf haben und zu verschiedenen Zeiten die eine vor der anderen bevorzugen, bedeutet das nicht, dass Sie wankelmütig sind. Im Gegenteil: Wenn Sie wissen, dass Dualität nebeneinander völlig in Gleichklang existieren kann, gibt Ihnen das eine ungeheure Macht über Ihr Leben.

Zwei gegensätzliche Ansichten zu vertreten zeigt vielmehr, dass Sie um die Komplexität unserer Welt wissen. Ihre Ideen und Beobachtungen oder Ihr Feedback auf eine einzige Sichtweise zu beschränken, mag zwar wegen ihrer Einfachheit verlockend sein, Sie schließen dadurch allerdings viele andere und womöglich bessere Problemlösungen aus. Und: Dieses Denken entspricht vor allem einfach nicht der Realität.

Ich erlebe das oft in Unternehmen, die ich begleite. Die gute Führungskraft ist die, die Widersprüche entsprechend den sich ändernden Umständen einer Aufgabe oder eines Projekts einsetzt. Eine großartige Führungskraft aber schafft Lernmöglichkeiten für das Team, indem er oder sie die Verantwortung delegiert. Trotzdem achtet dieselbe Führungskraft darauf, dass die delegierten Aufgaben auch wirklich umgesetzt werden. Es scheint ein widersprüchlicher Tanz zu sein, aber letztlich hilft dieses Vorgehen den betroffenen Menschen, Probleme viel effektiver zu lösen, als sie es sonst getan hätten.

Menschen dürfen ihre Meinung ändern und sie dürfen auch altes Denken loslassen. So kann eine Idee, die vor drei Jahren gescheitert ist, heute die richtige Idee sein. Die Zeit ändert nun mal die Dinge. Denken Sie an die mobilen Geräte wie aus den 1990er Jahren. Dieselben Funktionsweisen, die damals gescheitert sind, sind in der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken.

Und auch das, was sich für mich richtig und sinnvoll anhört, muss nicht notwendigerweise auch für Sie richtig und sinnvoll sein. Keine Idee kann jeden Menschen zu 100% überzeugen. Wir brauchen Anpassungen an die eigene Realität. Dazu müssen wir aber zulassen, dass mehrere Arbeits- und Denkweisen gleichzeitig nebeneinander existieren dürfen.

Manche Dinge sind widersprüchlich und können trotzdem beide richtig sein. Wenn Sie nun so tun, als wüssten Sie, wie der Hase wirklich läuft, wird sich der Widerspruch nicht einfach in Luft auflösen. Probieren Sie es doch mal aus: Wenn Sie glauben, dass etwas wahr ist, dann stellen Sie Ihr Denken bewusst auf die Probe und fragen Sie sich, ob nicht auch das Gegenteil wahr sein kann. Diese Art des Denkens macht Sie aufgeschlossen gegenüber neuen Lösungswegen und unterstützt Sie zeitgleich mögliche Risiken zu minimieren, wenn Sie trotzdem bei Ihrer bevorzugten Vorgehensweise bleiben wollen.

Ich weiß, es hört sich einfach an, Widersprüche einfach so zu akzeptieren und Inkonsistenz dann noch auszuhalten. Jeder, der sich schon einmal ein Ziel gesetzt hat, kennt den dazugehörigen sozialen Widerstand, sobald die Dinge sich als unbeständig erweisen. Menschen beginnen Ihre Ideen offen anzuzweifeln und geben dann “gut gemeinte Ratschläge“. Je mehr Ihr Ziel oder Ihr Vorgehen nicht in eine Gesellschaft passt, desto größer wird der Widerstand. Gerade unkonventionelle Ziele erfordern einen zusätzlichen Aufwand – nicht nur um sie zu verfolgen, sondern auch um die Neinsager zurückzudrängen.

Der soziale Widerstand wird durch den Zwang, konsistent zu sein, nur verschlimmert. Wenn Sie eine Person sind, die stolz darauf ist, zuverlässig zu sein und eine unveränderliche soziale Meinung zu vertreten, wird dieser Widerstand sogar noch viel stärker. Der Versuch, vor allem im Außen konsistent zu sein, ist meiner Erfahrung nach aber der sicherste Weg, ein stagnierendes Leben zu führen. Denn Menschen und die Probleme, die sie schaffen und die sie später zu lösen versuchen, kommen oft auf ganz unerwartete Art und Weise. Wenn Ihr Denken aber starr ist, wird alles viel schwieriger, als es eigentlich sein muss.

Inkonsistenz ist ein notwendiger Teil des Lebens, wenn Sie wachsen wollen. Es führt zwar mit Sicherheit zu Gegenreaktionen von einigen Menschen, die mit der neuen Richtung, die Sie einschlagen, nicht einverstanden sein werden. Das ist aber der Preis, den Sie zahlen müssen, wenn Sie weiterkommen wollen.

Tappen Sie nicht in die Falle und leugnen Sie die Existenz von Widerspruch, weil es sich einfacher anfühlt. Zu sagen, dass die Dinge nur so und nicht anders sein können, lässt andere Denkweisen und Möglichkeiten verschwinden. Das Schlimmste daran ist, dass es zeigt, wie eingeschränkt Ihr Denken und Handeln ist.

Wir setzen so viel Energie ein, in der Hoffnung konsistent zu sein und keinen Widerspruch zuzulassen. Dabei könnten wir so viel Energie sparen, wenn wir die Realität des Widerspruchs in dieser herausfordernden und sich schnell ändernden Welt einfach annehmen und nicht mehr dagegen arbeiten.

Auch wenn es schwer ist zu akzeptieren, dass eine Person gleichzeitig zwei gegensätzlichen Ansichten haben kann – es ist gut, dass sie es tut und kann. Das menschliche Gehirn hat die Fähigkeit, sich gleichzeitig auf zwei gegensätzliche Ansichten einzulassen. Wenn das kein Grund zur Hoffnung ist, weiß ich auch nicht, was sonst.