Wir alle denken in Kategorien und Schematas. Sie helfen uns, die Welt in gut und böse einzuteilen, zu einem Urteil zu kommen und schnell Entscheidungen zu treffen. Wenn wir allerdings eine Person einmal einer Kategorie zugewiesen haben, findet diese dort nur schwer wieder raus. Dabei ist Veränderung immer möglich. Es ist Teil des Lebens, dass wir alle ständig im Wandel sind. Das bedeutet, dass selbst Menschen, die mit mangelndem Einfühlungsvermögen und einem großen Maß an Eitelkeit ausgestattet sind, nicht zwingend so bleiben müssen.
Narzissten sind dem allgemeinen Verständnis nach das genaue Gegenteil von Empathen: Sie sind emotional isoliert, äußerst misstrauisch, schlechte Zuhörer und besitzen keinerlei Einfühlungsvermögen. Wahrgenommene Bedrohungen führen schnell zu einem Wutausbruch. Es fällt ihnen schwer, andere zu motivieren geschweige denn aktiv zu deren beruflichen Wachstum und Aufstieg beizutragen. Unsere modernen Welt feiert aber nun mal die Macher und Gestalter als Persönlichkeiten.
Generation Ich?
Es ist fast schon zu einem beliebten Konzept mutiert, dass wir bei Begegnungen andere Personen als erstes auf den Grad an Narzissmus, den diese Person aufweist, abscannen. Dabei ist es ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Narzissten sich nur selbst lieben würden. In Wahrheit mögen sie sich eigentlich nicht besonders. Ihre aufgeblasene Selbstverliebtheit, ihr Perfektionismus und ihre Arroganz sind nur Deckmantel für den Selbsthass, den sie sich und anderen nicht eingestehen wollen. Stattdessen projizieren sie die Verachtung und Kritik nach außen. Emotional sind sie innerlich tot. Sie hungern danach, dass andere sie mit Bestätigungen füttern. Nun ist das eigentliche Problem, dass sie die Liebe, die sie bekommen, nicht wertschätzen können.
Das Zeitalter der sozialen Medien trägt dazu bei, dass vor allem Jugendliche als potentielle Narzissten erkannt werden. So zeigt eine Studie, dass es im Vergleich zu früheren Generationen scheinbar noch keine andere Generation gab wie die nach 1980 Geborenen, die so eitel und so Ich-bezogen agiert und denkt. Die Jugendlichen von heute werden per se als fordernder und unsozialer wahrgenommen.
Dabei bewies eine andere Studie, dass Narzissmus bei jungen Erwachsenen heute nicht häufiger auftritt als dies bei früheren Generationen der Fall war. Die Jugend von heute scheint sich lediglich mehr ihrer Individualität bewusst zu sein. Sie verstecken sich nicht mehr, sondern sie leben offen und selbstbewusst ihre Werte und Vorstellungen. Angespornt werden sie durch die endlosen Möglichkeiten der Eigenwerbung in den sozialen Medien. Kombiniert mit einer Kultur, die die Bedeutung des Selbstwertgefühls stärker betont als alles andere, wirft das ein schlechtes Licht auf sie.
Aber ist die neue Generation wirklich arroganter geworden? Oder sind sie sich einfach mehr ihres Selbst bewusst und haben Einblicke in die Welt, wie sie vorher nicht möglich war? Unsere Gesellschaft wird pro Jahrzehnt insgesamt gesehen um etwa drei IQ-Punkte klüger. Der Grund ist, dass wir unser Leben jahrelang inkrementell verbessert haben. Die Erklärungen reichen von einem Rückgang der Infektionskrankheiten bis hin zu einer besseren Schulbildung und neuen technologischen Möglichkeiten. Diese Änderungen ermöglichen neue Perspektiven auf die Welt und eröffnen den Menschen auch vollkommen andere Möglichkeiten, als es vorher der Fall war.
Grund zur Hoffnung
Narzissten brauchen andere Menschen, um ihren Narzissmus zu leben. Wer jemals mit einem wirklichen Narzissten zusammenarbeiten oder gar zusammenleben musste, weiß, wie viel Kraft und Leid das für die Beteiligten bedeuten kann. Narzissten dominieren das Gespräch. Sie werden unangenehm, wenn Sie widersprechen. Sie stellen unangemessen Anforderungen, sind aber nicht für Sie da, wenn Sie sie brauchen. Sie machen sich über Sie lustig und greifen an, was Sie sagen und tun. Das alles macht es schwer, Sympathie für Narzissten aufzubringen.
Tatsächlich aber entscheidet sich niemand bewusst dafür ein Narzisst zu sein. Die natürliche Entwicklung eines Narzissten wurde aufgrund einer fehlerhaften Elternschaft gestoppt. Nicht selten ist es die fehlende Liebe einer Mutter oder zu viel Gelegenheiten zur Idealisierung, die den Nährboden für Narzissmus schaffen.
Die gute Nachricht ist, dass es Grund zur Hoffnung auf Besserung gibt: Im Rahmen einer Studie wurden die Probanden gebeten, wichtige Entscheidungen, die sie im Laufe des Lebens getroffen haben, in drei Kategorien einzuteilen: 1. Eitelkeit („Ich betrachte mich gerne im Spiegel“), 2. Führung („Die Leute scheinen meine Autorität zu akzeptieren“) und 3. Zufriedenheit („Ich werde nie zufrieden sein, bis ich es bekomme alles was ich verdiene”). Die Forscher analysierten die gesammelten Daten vor allem in Hinsicht darauf, welche dieser Ereignisse in welchem Lebensabschnitt auftraten (Heirat, Krankheit, Job etc.). Diese Ereignisse wurden wiederum in eine Skala von „äußerst positiv“ bis „äußerst negativ“ innerhalb der drei Kategorien eingeteilt.
Die ausgewerteten Daten deuten daraufhin, dass Narzissmus seinen Höhepunkt im Alter zwischen 20 und 30 Jahren erreicht. Je älter Menschen werden, desto weniger groß scheint ihr Verlangen zu sein, selbst im Rampenlicht zu stehen und desto mehr achten sie auf die Bedürfnisse anderer.
Das Problem bei den meisten Studien rund um Narzissmus ist, dass nicht dem Verlauf einzelner Menschen gefolgt wurde. Erst neuere Studien betrachten die Schlüsseljahre 13 bis 77 genauer und verfolgen den Verlauf einzelner Personen über einen langen Zeitraum. Diese Beobachtungen führen zu dem überraschende Fazit, dass der Grad an Narzissmus sich im Laufe des Lebens verändern kann.
Warum ist das so? Wir alle leben und agieren nun mal nicht im luftleeren Raum. Gerade Narzissten agieren in einem permanenten Zustand der Selbstdeutung. Wir treffen zwar die wichtigsten Entscheidungen in unserem Leben wie die Wahl des Studiums, Partners und Jobs entsprechend unserer Persönlichkeit – aber wir verändern uns auch aufgrund dieser Lebensentscheidungen und dessen, was wir dabei erleben. Höhepunkte in unserem Leben wie die Geburt eines Kindes oder Krankheit sind wichtige Einschnitte im Leben jedes Menschen. Je nach Persönlichkeit reagieren wir darauf und verändern uns entsprechend.
Sich seines Selbst bewusst zu sein als wichtigster Auslöser
Bevor Sie jetzt aber zu viel Hoffnung schöpfen, seien Sie gewarnt: Die Studien machen aber auch deutlich, dass sich eine narzisstische Person niemals für eine andere Person oder irgendeinen externen Auslöser ändern wird. Er oder sie verändert sich nur dann, wenn es dem persönlichen Zweck auch wirklich dient. Nur solange die Absicht, das Verhalten zu ändern, tatsächlich von innen heraus kommt, ist es auch möglich, dass sich der Grad an Narzissmus den Lebensumständen anpasst.
Wie wir auf Herausforderungen reagieren und welche Entscheidungen wir im Laufe unseres Lebens treffen, wird von unserer Persönlichkeit beeinflusst. Aber mindestens genauso wichtig ist, wie Sie auf eine Person reagieren. Ob Sie nun glauben, dass Narzissten sich ändern können oder nicht, hängt weitgehend davon ab, wie Sie selbst Veränderungen definieren. Ich persönlich entscheide mich dafür an die Menschen zu glauben. Ich weiß, dass jeder alles erreichen kann, wenn er/sie nur will und erkennt, was dann alles möglich ist.