Der versteckte Einfluss unserer Sprache

Neulich saß ich in meinem Büro und telefonierte mit einem Klienten über ein schwieriges Projekt. Mitten im Gespräch hörte ich mich sagen: „Die in der IT machen das leider oft kompliziert“. Ein Moment später fiel mir auf, was ich gerade getan hatte. Ich hatte eine Mauer gebaut - nicht mit Absicht, sondern mit einem einzigen, kleinen Wort.

„Die“.

Nicht „Ihr IT-Team“. Nicht „die Kollegen aus der IT“. Nur „die“.

Warten Sie – dachte ich – warum sage ich „die“? Ich kenne diese Menschen nicht einmal. Aber mit diesem einen Wort hatte ich sie bereits zu Fremden gemacht, zu einem Problem, das „da drüben“ liegt. Dabei wollte ich meinem Klienten eigentlich helfen.

In diesem Moment wurde mir klar: Wir alle erschaffen mit unserer Sprache unbewusst Gräben – oft genau dort, wo wir eigentlich Brücken bauen wollen.

Am selben Tag erzählte mir ein anderer Klient von seinen Herausforderungen: „Ich muss alles selbst erledigen. Die kriegen einfach nichts auf die Reihe“. Er war frustriert, überarbeitet – und völlig ahnungslos, dass er mit seiner Sprache genau die Distanz schuf, die sein Problem verstärkte.

Hier ist, was uns jahrzehntelange psychologische Forschung gelehrt hat: Wir denken nicht erst und sprechen dann. Wir sprechen und enthüllen dabei, was wir wirklich denken – oft bevor wir es selbst verstehen.

James Pennebaker, ein Psychologe an der University of Texas, hat seine Karriere damit verbracht, die verborgenen Muster in unserer Alltagssprache zu analysieren. Seine Entdeckung ist bemerkenswert: Es sind nicht die großen, bedeutungsschweren Wörter wie „Vision“ oder „Exzellenz“, die uns verraten. Es sind die kleinen Funktionswörter – „ich“, „wir“, „aber“, „immer“, „die“ – die unsere wahre psychische Verfassung preisgeben.

Pennebakers Forschung zeigt uns noch etwas Paradoxes: Menschen in Machtpositionen sprechen tatsächlich seltener über sich selbst. Unsichere Menschen sagen häufiger „ich denke“ statt „ich weiß“. Sprache funktioniert wie ein emotionaler Seismograf – sie registriert die Beben unserer Seele, bevor sie an die Oberfläche dringen.

Denken Sie an den Unterschied zwischen „meine Leute“ und „unser Team“. Der erste Ausdruck verrät Besitzdenken, der zweite Verbundenheit. Diese winzigen Unterschiede entscheiden darüber, ob sich Menschen wertgeschätzt oder instrumentalisiert fühlen.

In der Geschäftswelt behandeln wir Sprache oft wie ein neutrales Werkzeug – etwas, womit wir Informationen übertragen oder Menschen überzeugen. Das ist eine gefährliche Selbsttäuschung. Sprache ist nicht nur ein Werkzeug, das wir benutzen. Sprache formt, wer wir sind.

Betrachten Sie diese beiden Aussagen: „Wir befinden uns in einer Übergangsphase“ versus „Wir müssen Stellen abbauen“. Beide Sätze könnten zur Beschreibung derselben Situation verwendet worden sein, aber sie erschaffen völlig unterschiedliche Welten. Die erste erzeugt nebulöse Angst ohne Konturen. Die zweite, so schmerzhaft sie auch ist, schafft Klarheit und ermöglicht echte Gespräche über echte Probleme.

Das führt uns zu einer unbequemen Wahrheit: Wir sind alle unwissentliche Konstruktivisten. Jeder Satz, den wir sprechen, ist ein Baustein in der Architektur unserer erlebten Realität.

Die moderne Hirnforschung bestätigt, was Philosophen seit Jahrhunderten sagen: Wenn wir unsere Sprache ändern, verändern wir buchstäblich die neuronalen Pfade in unserem Gehirn. Die Plastizität unseres Denkorgans bedeutet, dass jeder bewusst gewählte Satz ein kleiner Akt der Selbsterschaffung ist.

Forscher haben entdeckt, dass Menschen, die regelmäßig Perspektivwechsel in ihrer Sprache vollziehen – die also statt „Warum passiert mir das?“ fragen „Was könnte dahinterstecken?“ –, langfristig weniger depressive Symptome zeigen. Der Schlüssel liegt nicht nur im Inhalt, sondern in der grammatikalischen Struktur unserer Gedanken.

Es macht einen fundamentalen Unterschied, ob Sie sagen „Ich bin überfordert“ oder „Ich fühle mich überfordert“. Die erste Version macht Sie zum Gefangenen der Umstände – Überforderung wird zu einem unveränderlichen Zustand Ihres Seins. Die zweite öffnet Handlungsspielräume – Gefühle sind vorübergehend, veränderbar, beeinflussbar.

Das bringt uns zu einer tieferen philosophischen Erkenntnis, die an Ludwig Wittgensteins Sprachspiele erinnert: Wir leben nicht in einer Welt und sprechen dann darüber. Wir sprechen uns in eine Welt hinein.

Die erfolgreichsten Menschen, die ich kenne, verstehen das instinktiv. Sie wählen ihre Worte nicht aus strategischem Kalkül, sondern aus einer tiefen Überzeugung heraus: Jeder Satz ist ein Angebot an die Welt. So sehe ich Sie. So sehe ich mich. So konstruieren wir gemeinsam die Realität, in der wir arbeiten und leben.

Nehmen Sie Jeff Bezos, der konsequent von „Day 1“ sprach, um Amazon in einer Startup-Mentalität zu halten. Oder Satya Nadella, der Microsofts Kultur mit einem einzigen Satz veränderte: „Wir wissen nicht alles, aber wir können alles lernen“. Diese Menschen verstehen: Sprache ist nicht nur Kommunikation – sie ist kulturelle DNA.

Hier sind drei konkrete Wege, wie Sie Ihre Sprache – und damit sich selbst – transformieren können:

  1. Das 24-Stunden-Sprachaudit: Führen Sie einen Tag lang ein Sprachtagebuch. Notieren Sie sich drei wichtige Gespräche und schreiben Sie auf, was Sie gesagt haben. Am nächsten Tag lesen Sie es durch und fragen sich: Welche Person zeigt sich hier? Ist das die Person, die ich sein möchte? Diese Übung ist eine Form der existenziellen Archäologie – Sie graben aus, wer Sie unbewusst geworden sind.

  2. Der Verantwortungsshift: Ersetzen Sie eine Woche lang jedes „Ich muss“ durch „Ich entscheide mich dafür zu…“ und jedes „Er oder sie versteht nicht“ durch „Ich habe noch nicht klar genug kommuniziert“. Beobachten Sie, wie sich Ihre Haltung von Opfer zu Akteur wandelt. Dies ist angewandte Existenzphilosophie – die Anerkennung Ihrer radikalen Freiheit und Verantwortung.

  3. Die Möglichkeitssprache: Verwenden Sie häufiger Wörter wie „noch nicht“, „unter bestimmten Bedingungen“, „bisher“ statt „nie“, „unmöglich“, „immer“. Diese kleinen Änderungen öffnen Räume für Wachstum und Veränderung. Sie praktizieren damit eine Form des strukturellen Optimismus – nicht naiv, sondern wissenschaftlich fundiert.

Seitdem achte ich bewusst auf meine eigene Sprache - und bin immer wieder überrascht, was ich entdecke. Wie oft sage ich „ich muss“ statt „ich entscheide mich dafür“? Wie oft baue ich unbewusst Mauern, wenn ich eigentlich Brücken bauen will?

Vor kurzem saß ich in einer schwierigen Unterhaltung mit meinem Mann. Ich merkte, wie ich immer wieder sagte: „Du verstehst das nicht“ statt „Ich erkläre es wahrscheinlich nicht gut genug“. Ein winziger Unterschied. Aber einer, der entschied, ob sie sich gehört oder verurteilt fühlte.

Wir sprechen nicht nur zu anderen. Jedes Gespräch verändert uns – ob wir es merken oder nicht. Jeden Tag. Mit jedem Satz. Wir sind alle in derselben Situation. Wir alle haben diese unbewussten Sprachmuster. Das macht uns menschlich, nicht fehlerhaft.

Das ist beängstigend und befreiend zugleich. Beängstigend, weil es bedeutet, dass wir die volle Verantwortung für jedes Wort tragen – nicht nur für dessen Wirkung auf andere, sondern für dessen Wirkung auf uns selbst. Befreiend, weil es bedeutet, dass jeder bewusst gewählte Satz ein Neuanfang ist.

Die Forschung zur Neuroplastizität zeigt, dass unser Gehirn bis ins hohe Alter veränderbar ist. Jeder bewusst gewählte Satz ist nicht nur ein Kommunikationsakt, sondern ein Akt der Selbstgestaltung. Wir sind die Autoren unserer eigenen Persönlichkeit – Wort für Wort, Satz für Satz.

Die Frage ist nicht, ob unsere Worte uns verändern – sie tun es unweigerlich. Die Frage ist, ob wir bewusst wählen, zu wem wir dabei werden.

Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es einfach wird. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass es sich lohnt – einen Satz nach dem anderen, eine Unterhaltung nach der anderen, ein authentischeres Selbst nach dem anderen.

Denn am Ende ist das vielleicht das größte Geschenk der menschlichen Sprache: Sie gibt uns die Macht, uns jeden Tag neu zu erfinden. Die Frage ist nur, ob wir diese Macht bewusst nutzen oder sie unbewusst über uns walten lassen.

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