Wenn wir uns unseres Selbst bewusst sind und wissen, was wir wirklich wollen, dann treffen wir bessere Entscheidungen, sind glücklicher und produktiver. Soweit die Theorie, die auch von unterschiedlichen Studien unterstützt wird. Aber wie lernen Sie sich selbst besser kennen? Gibt es eine Abkürzung oder müssen Sie dafür den doch meist langwierigen Weg einer Therapie gehen?
Im gewissen Sinne gibt es eine Abkürzung. Allerdings müssen wir dazu eine oft ungewohnte Nähe zu uns selbst herstellen. Die eigene Neugierde zu fördern und tief verwurzelte Glaubenssätze zu hinterfragen, führt dazu, dass wir kurz unser Sicherheitsgefühl verlieren und so realen und imaginären Bedrohungen die Türen öffnen. Wir werden uns so unserer eigenen Grenzen bewusst - dafür erleben wir dann Aha-Momente, die die Augen öffnen.
Ich lade Sie mit den folgenden Fragen ein, sich die Zeit zu nehmen, um kurz den Trampelpfad des Alltags zu verlassen und den Weg aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Auch wenn diese Fragen auf den ersten Blick vielleicht einfach und wenig originell wirken, lassen Sie sich nicht davon abhalten, sie für sich zu beantworten. Denn genau in dieser Einfachheit liegt die Chance für eine Begegnung mit sich selbst.
Fünf Fragen aus einer anderen Perspektive gestellt
Was sehe ich? Worauf ist mein Fokus gerade gerichtet?
In dieser verrückten Welt, in der wir leben, kann sich in nur einer Minute so viel ändern - und das meiste davon liegt außerhalb unserer Kontrolle. Trotzdem liegt unser Fokus meist gerade auf diesen Dingen. Wir können aber steuern, welche Informationen wir im Auge behalten und von welchen wir uns - auch visuell - entfernen. Dadurch schaffen wir eine Distanz, um zu überlegen, ob es die Energie wert ist, diese Sachen zu ändern - ohne Angst haben zu müssen, dabei etwas zu verpassen. Das wiederum gibt uns die Macht, die Dinge, die es wirklich wert sind, anzupacken und von den anderen die Energie abzuziehen.
Was passiert in diesem Moment? Wie lautet dieser Gedanke, den Sie jetzt gerade denken?
Unsere innere Stimme quatscht uns in den meisten Fällen den ganzen Tag zu. Manches Mal beschimpft sie uns, manches Mal muntert sie uns auf. Gehen Sie auf Spurensuche und überlegen Sie, warum Sie gerade in diesem Moment diesen einen bestimmten Gedanken haben. Wenn Sie den Auslöser dafür entdeckt haben, können Sie einer bestimmten Abfolge von Erfahrungen folgen. Sie werden überrascht sein, welche Auswirkungen schon kleine Änderungen im Gedankengang haben können. Das Zuhören der eigenen Stimme ist der Schlüssel, weil wir dadurch das Klangbild unserer eigenen Gedanken erweitern. Manchmal sind die leisesten Stimmen die wichtigsten, denn sie lassen uns über wichtige Informationen stolpern, an denen wir sonst einfach vorbeigehen würden. Das Klären des Geistes erleichtert dieses Zuhören.
Höre ich wirklich zu?
Apropos Zuhören: Durch aktives Zuhören verändern Sie Ihre Einstellung zu sich selbst und zu anderen. Diese Art der Veränderung ist ein dynamischer und lebenslanger Prozess, der Sie dabei unterstützt, wirklich starke Beziehungen aufzubauen. Zuhören steigert das subjektive Wohlbefinden und sorgt für mehr Lebenszufriedenheit. Nicht umsonst hat der Mensch zwei Ohren und nur eine Zunge. Schließlich sollte er lieber doppelt so viel hören, wie er spricht - wie schon Epiktet einst meinte.
Was halte ich für selbstverständlich, für das ich eigentlich dankbar sein sollte?
Dankbarkeit lässt uns kurz innehalten, fördert den eigenen Optimismus und unterstützt uns dabei, einen positiven Blick zu entwickeln. Dankbar zu sein ist etwas, das Sie üben können. Wenn Sie sich auf das konzentrieren, was Sie haben, anstatt dass Sie sich auf die Dinge konzentrieren, die Sie glauben eigentlich verdient zu haben, entwickeln Sie wie von selbst eine Haltung der Dankbarkeit. Und das ist eine der einfachsten Möglichkeiten, die eigene Zufriedenheit zu steigern. Dankbarkeit kultiviert die Wertschätzung für das, was bereits da ist.
Was spüre ich gerade? Welche (subtilen) Hinweise bekomme ich von meinem Körper?
Das Stellen dieser Frage, die entweder leidenschaftslos oder mitfühlend gestellt werden kann, führt unmittelbar n die Gegenwart. Sehen, Riechen, Hören, Fühlen, Schmecken und der Gleichgewichtssinn sind die sechs unstrittigen Sinne des Menschen (die moderne Forschung geht sogar von bis zu 13 verschiedenen Sinne aus. Dazu zählen u.a. die Wahrnehmung von Bewegung, Temperaturen und sich Selbst). Nun erschwert aber das Eintauchen in die digitale Welt die Kultivierung unserer Sinne - wir nutzen unsere audiovisuelle überproportional und fördern deren weitere Entwicklung. Anpassungen an die Cyber-Realität machen es aber schwierig, wirklich präsent im Moment zu sein.
Entwickeln Sie eine Sherlock-Holmes-Mentalität
Wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der wir einander verstehen, zuhören und uns umeinander kümmern, dann ist es höchste Zeit aus der kollektiven Schlafwandlerei aufzuwachen. Je mehr wir aber im Wettbewerb um unsere Aufmerksamkeit feststecken, desto schwieriger wird es, diesen Weckruf wahrzunehmen. Dann müssen wir einen Weg finden, zu uns selbst zu finden.
Wirklich im Moment zu sein, ist anstrengend und kostet unerwartet viel Energie. Wenn wir den Fluss des Lebens kurz anhalten und eine Inventur unseres persönlichen Seins vornehmen, werden wir uns bewusst, wo wir uns eigentlich befinden und vor allem wohin wir wirklich wollen. Dann werden wir auch mehr von dem erfassen, was wir normalerweise gar nicht bemerken. Es bedarf einer gewissen Sherlock-Holmes-Mentalität, um sich zuerst ein Bild von sich selbst zu machen, indem man nach allen verräterischen Hinweisen sucht.
Im Moment präsent, achtsam und mitfühlend zu sein, sind Erfahrungen von unglaublicher Wirksamkeit für Ihr gesamtes Leben. Sie eröffnen Ihnen unerwartete und neue Perspektiven.
Die Jahre vergehen so schnell - in all dem Streben nach Erfolg vergessen wir oft für einen Moment stehenzubleiben und zu schauen, was um uns herum passiert. Vielleicht ist es am Anfang ungewohnt, aber Sie werden sehen, diese Fragen immer wieder zu beantworten, macht Spaß - und zahlt sich auf jeden Fall aus.