Viele Menschen teilen ein kleines Geheimnis: Tief in ihrem Inneren fühlen sie sich wie ein Hochstapler. Ihre Leistungen sind ihrem Glauben nach nichts anderes als das Ergebnis eines glücklichen Zufalls. Dieses psychologische Phänomen, das als Hochstapler-Syndrom bekannt ist, spiegelt die Überzeugung wider, ein Versager zu sein – trotz zahlreicher Hinweise, die vom Gegenteil erzählen. Vielleicht kennen Sie auch dieses Gefühl, nicht qualifiziert für einen Job zu sein, obwohl es an Ausbildung oder Bildung nicht mangelt? Mir zum Beispiel ist es wohl bekannt und in vielen Gesprächen nehme ich es subtil bei anderen wahr. Der Zweifel an der eigenen Zulänglichkeit nagt an den Menschen und hält sie davon ab, die nächste Stufe zu erreichen geschweige denn anzupeilen.
Die Liste der Menschen, die sich wiederholt Sorgen machen eines Tages als Hochstapler entlarvt zu werden, ist nicht nur lang – sie ist auch sehr beeindruckend. Kaum einer bleibt davon verschont. Sie alle leben mit der quälenden Angst, dass bald jemand entdeckt, dass sie doch nicht so klug oder talentiert sind, wie ihnen nachgesagt wird. Dieses Phänomen wurde bereits in den 1980er Jahren unter dem Namen „Impostor Syndrom“ oder „Hochstapler-Syndrom“ erforscht. Forscher gehen davon aus, dass bis zu 82% der Menschen darunter leiden - vielleicht haben die restlichen 18% einfach nur Angst davor, es zuzugeben.
Einige Psychologen gehen davon aus, dass das Hochstapler-Syndrom mit einer tiefliegenden Angst oder auch Persönlichkeitsmerkmalen wie Neurotizismus zusammenhängt. Andere stützen sich auf familiäre oder verhaltensbedingte Ursachen. Manches Mal sind es Kindheitserinnerungen, wie das Gefühl, dass Ihre Noten nie gut genug waren oder Ihre Geschwister immer den Vorzug erhalten haben, die eine solche Überzeugung hinterlassen. Die Idee, nur dann geliebt zu werden, wenn auch etwas erreicht wurde, wird verinnerlicht - ein fatales, weil sich selbsterhaltendes System.
Das Heimtückische an diesem Syndrom ist, dass die Sorge aufzufliegen Sie keineswegs davor schützt zu versagen, sondern sie hält Sie vielmehr davon ab, Maßnahmen zu ergreifen, um Ihre Ziele zu erreichen. Das Ironische an der Sache ist, dass das Hochstapler-Syndrom meistens gerade bei jenen zu finden ist, die aus Angst ohnehin keine großen Ziele verfolgen und die sich immer bemühen, Ihr Bestes zu geben.
Es gibt allerdings Möglichkeiten, die Unsicherheit, vielleicht doch ein Hochstapler zu sein, zu überwinden. Es beginnt mit der Erkenntnis, dass es mehr als nur ein eingebildetes Gefühl ist.
Um dieses Syndrom zu überwinden, brauchen Sie vor allem eines: Selbstakzeptanz. Es geht dabei nicht darum, die eigene Messlatte zu senken, es geht darum, sie auf ein realistisches Niveau zu geben und Sie dadurch erkennen, wie wertvoll Sie sind – einfach weil Sie Sie sind. Erkennen Sie zunächst Ihre Gedanken als vorhanden an. Erst dann können Sie auch bewusst hinterfragen, ob sie Ihnen in Ihrem Leben weiterhelfen oder Sie behindern.
Hören Sie auf, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Sie schaden damit niemanden außer sich selbst. Denn Vergleiche sind immer subjektiv, oft voreingenommen und selten hilfreich. Die Wahrheit ist, dass fast jeder überfordert ist und genauso kämpft wie Sie. Vielleicht nicht auf die selbe Weise, aber immer auf ihre - mit ihren eigenen einzigartigen Herausforderungen und Unsicherheiten.
Die Angst aufzufliegen kann den Erfolg an mehreren Fronten sabotieren. Zum einen bringt es Sie dazu, dass Sie sich mit weniger zufrieden geben, als Sie eigentlich sollten und wollen. Zum anderen beginnen Sie dadurch einen großen Bogen um Situationen zu machen, die Ihre Unzulänglichkeit aufdecken könnten. Doch während Ihre Ängste Sie dazu drängen, bei dem zu bleiben, das Sie kennen – bei dem also das Risiko, aufzufliegen, gleich null ist – ist es ein todsicheres Rezept für ein Leben in Mittelmäßigkeit und Langeweile.
Zugegeben: Der Aufenthalt in einem sicheren Gebiet beseitigt so gut wie jede Gefahr. Es birgt dafür aber das Risiko, dass Sie nie herausfinden werden, was Sie eigentlich wirklich können. Natürlich erfordert es Mut, Herausforderungen anzunehmen und Ziele zu verfolgen, die dazu führen könnten, das Gesicht zu verlieren und „entlarvt“ zu werden. Aber erst wenn Sie sich weigern, dass Ihre Entscheidungen von Ihren Ängsten und Zweifeln bestimmt werden, können Sie Türen öffnen, hinter denen sich womöglich Ihre wirkliche Größe versteckt. Selbst wenn Sie nie alles erreichen, was Sie wollen, werden Sie nur so viel mehr erreichen, als Sie sonst könnten. Denn der einzige Hochstapler, um den Sie sich wirklich Sorgen machen sollten, ist Ihre Angst, die Sie glauben lässt, dass die Menschen denken könnten, dass Sie einer sind.