Von der Angst, die 90 Prozent der CEOs nachts wach hält

Seit der Erscheinung meiner ersten Bücher vor ein paar Jahren halte ich oft Keynotes. Nachdem es Keynote-Speaker wie Sand am Meer gibt, haben Sie als Neuling gefühlt nur eine Chance, um zu überzeugen. Ist Ihr erster Vortrag schlecht, werden Sie wohl nicht mehr so schnell für einen zweiten gebucht. Nun bin ich einfach nicht der Typ, der gerne Standard-Texte auswendig lernt. Mir ist es wichtig, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind und mich mit ihnen zu verbinden. Das hat den Nachteil, dass jeder Auftritt zu einem Drahtseilakt wird, da jeder Auftritt ganz individuell und trotz aller Vorbereitung nicht immer vorhersehbar ist. Mit wenigen Aussetzern kann ich vom Helden zum Esel mutieren. Anfangs lebte ich deswegen vor jedem Auftritt in ständiger Angst – und das machte mein Leben und meine Arbeit zur Qual.

Versagensängste sind nicht nur für Keynote-Speaker ein Problem. Zu scheitern und sich zu blamieren (in der Fachsprache Atychiphobie genannt), ist wohl die häufigste Angst, mit der Menschen seit jeher konfrontiert sind. Einige Forscher behaupten sogar, dass eine öffentliche Rede zu halten von den meisten Menschen sogar mehr gefürchtet wird als der Tod. Die Angst vor dem Scheitern macht auch nicht vor dem Alter oder den Jahren der Erfahrung halt: Laut Umfragen hält die Angst vor dem Versagen 90% der Führungskräfte nachts wach.

Damit aber nicht genug: Alleine aus der Angst heraus scheitern zu können werden Unternehmen erst gar nicht gegründet, Jobs trotz miserabler Konditionen nicht gewechselt und ungesunde Beziehungen nicht beendet. Bei manchen Menschen führt diese Angst zu schweren Depressionen. So weit muss es aber erst gar nicht kommen: Es reicht, dass uns die Angst vor dem Versagen davon abhält, ein freudvolles, erfülltes Leben zu führen und die Abenteuern des Lebens zu erfahren. Wir versäumen dadurch, neue Dinge auszuprobieren und Risiken einzugehen, hinter denen oft Schätze verborgen liegen.

Nicht immer ist die Befürchtung, dass etwas schlecht ausgeht, wir uns blamieren oder gar die Karriere riskieren die Ursache für diese Angst. Soziale Medien führen uns täglich vor Augen, wie scheinbar erfolgreich andere sind. Überfürsorgliche Eltern schützen ihre Kinder vor den kleinen Risiken und Misserfolgen im Kindesalter, was dazu führt, dass sie die emotionale Stärke nicht aufbauen können, die allerdings notwendig ist, um die unvermeidlichen Misserfolge im Erwachsenenalter zu meistern.

Studien zeigen, dass Menschen, die große Angst vor dem Scheitern haben, vor allem zwei Persönlichkeitsmerkmale aufweisen: Einerseits haben sie nicht viel Freude am Erreichen von Zielen und sind daher wenig Leistungsorientiert, andererseits sind sie sehr perfektionistisch veranlagt. Perfektionismus und die Angst vor dem Scheitern gehen Hand in Hand: Bei beidem wird nicht der als erfolgreich gesehen, der etwas Großes erreicht, sondern der, der etwas Schlechtes vermeidet.

Die gute Nachricht ist, dass Sie sich von der Angst vor dem Scheitern befreien können. Die schlechte Nachricht lautet: Sie müssen sich dieser Angst dazu allerdings stellen.

Konzentrieren Sie sich auf die Gegenwart. Mein persönliches Mantra ist, dass ich jeden Tag in diesem Leben als etwas Besonderes sehe. Ich weiß nie, was morgen, nächste Woche oder nächstes Jahr passieren wird. Aber ich weiß, dass ich diesen einen Tag habe und den gilt es nicht zu verschwenden. Leben Sie den Tag ganz bewusst und seien Sie dankbar für das, was kommt.

Gehen Sie gedanklich die schlimmsten Szenarien durch. Wenn Sie von einer speziellen Angst geplagt werden, stellen Sie sich vor, wie Sie dieser Angst mutig entgegentreten. Ich habe das zu Beginn meiner Beraterkarriere ausgiebig getan und mir alles vorgestellt, was kommen könnte: vom Prosaischen (Vergessen meiner Termine) bis zum Absurden (nach einem Workshop wird mir klar, dass ich das komplett falsche Thema mit den falschen Personen behandelt habe). Diese Vorstellungen allein haben mir bereits geholfen, mutiger zu werden – weil ich jedes Mal schon gedanklich für den Fall der Fälle eine Lösung parat hatte.

Wenn all das nichts hilft, bleibt nur noch eines: Scheitern Sie. Sie werden sehen, dass Sie auch das schlimmste Szenario überleben werden und so das Unbekannte und Unsichere sichtbar machen.

Ich glaube fest daran, dass unser ganzes Leben eine Geschichte über den Triumph von Schwierigkeiten sein sollte. Jedes Leben ist im Grunde unbegrenzt, unterliegt einer Million Zufälligkeiten und ständigem Wandel. Das bedeutet nicht, dass Sie keine Pläne machen sollten. Aber es bedeutet, dass Sie auf alle Veränderungen in der Welt und in sich selbst achten müssen, die Ihre Pläne plötzlich obsolet oder uninteressant machen. Scheitern und daraus zu lernen ist einfach Teil dieser Reise.

Am Anfang waren meine Vorträge wirklich nicht gut: Ich habe gestammelt und teilweise ganze Passagen und Gedanken ausgelassen. Aber ich bin weder auf der Bühne gestorben, noch wurde ich mit Tomaten oder faulen Eiern beworfen. Vielmehr wurde ich wieder gebucht und bin wieder auf die Bühne gegangen. Dabei habe ich gelernt, mich auf meine Stärken – mich mit dem Publikum zu verbinden und es zur Interaktion zu bewegen – zu konzentrieren und bin dadurch so gut geworden, dass meine Aufträge nur mehr aus Weiterempfehlungen stammen.

Unsere Aufgabe in diesem Leben liegt meiner Auffassung nach darin, es zu unserem eigenen zu machen. Fangen Sie an. Fangen Sie damit an, indem Sie sich Ihren Ängsten stellen. Fangen Sie an zu tun, was Sie können, mit dem, was Ihnen jetzt zur Verfügung steht und zwar dort, wo Sie momentan sind – und das auf Ihre eigene Art und Weise. Es liegt viel Schönheit in dem verborgen, was uns zunächst Angst einjagt.