Über den Mut etwas nicht zu wissen und es auch zugeben zu können

Wir leben in einer Welt, in der Wissen gleich Macht ist. Wissen leistet uns zweifellos wertvolle Dienste. Nichtwissen hingegen führt oft zu Fehlern, die leicht zu vermeiden gewesen werden. Die Wurzeln, die hinter dem Wunsch des Wissens stecken, sind meistens Scham und frühere Traumata, die ausgelöst wurden, weil wir in der Vergangenheit etwas nicht wussten und deswegen bloßgestellt wurden.

Wenn wir etwas nicht wissen, richten wir unsere Aufmerksamkeit und Hoffnung zu den vermeintlich Wissenden wie Autoritätspersonen und Experten, der uns vor weiteren Schaden schützt. Von anderen als der „Allwissende“ gesehen zu werden oder immer Recht haben zu müssen, ist aber eine große Last und schadet vor allem dem vermeintlich Allwissenden selbst. Dieser Glaube führt zu Überheblichkeit, Betriebsblindheit und in weiterer Folge zu Misstrauen, schlechten Entscheidungen und unnötigen und unproduktiven Konflikten. Denn wenn wir etwas wissen, dann, dass kein Mensch alles wissen kann. So hat mir ein Vorstandsvorsitzender einmal im Vertrauen erzählt, dass er nicht wüsste, wohin das Projekt führen soll und was passiert, sollte es nicht klappen. Nun nagten diese Ängste an ihm, aber er hatte das Gefühl, dass er mit niemanden darüber reden könnte - denn sonst würde er riskieren, dass sein Nichtwissen gegen ihn verwendet werden würde. Er würde im besten Fall seine Autorität, im schlimmsten Fall aber seinen Job verlieren. Die vier gefährlichsten Wörter, die eine Führungskraft sagen kann, lauten: "Ich weiß es nicht".

Was wir wissen, ist immer Vergangenheitsform. Daher müssen wir unser Wissen mit unserem Nichtwissen in Einklang bringen. Nichts anderes mache ich zum Beispiel in meiner Funktion als Design-Thinking-Beraterin. Ich gehe von dem aus, was so offensichtlich zu sein scheint - und hinterfrage genau das.

Der Mensch identifiziert sich gemeinhin mit dem, was er oder sie zu wissen und zu kennen glaubt. Wenn wir nun einer neuartigen Situation gegenüberstehen, müssen wir uns vielen Unbekannten stellen. Und das ist beängstigend. Schon in der Römerzeit wurden die unerforschten Gebiete mit „Hier sind Drachen“ gekennzeichnet. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass dieser Teil der Welt noch nicht erforscht und damit voller böser Überraschungen ist. Selbst in der heutigen Finanzwelt wird mit "t.b.d." (there be dragons) auf Risiken hingedeutet, die zurzeit nicht absehbar sind.

Wir brauchen aber für diese extrem komplexen Herausforderungen, denen wir zurzeit gegenüberstehen, ein vollkommen neues Denken und Verhalten. Vertrauen in das, was in der Vergangenheit funktioniert hat, schränkt uns nicht nur ein, sondern ist vor allem gefährlich, da sich die Spielregeln ständig ändern. Wir müssen flexibel agieren können und Lösungen für vollkommen neuartige Probleme finden, die nicht einfach zu definieren sind. Als wäre das nicht herausfordernd genug, müssen wir zeitgleich auch zukünftige Probleme antizipieren, die noch gar nicht bekannt sind. Wir stoßen mit unserem Wissen automatisch an Grenzen.

In diesem Raum, zwischen Nichtwissen und Wissen, verbergen sich aber großartige Chancen. Dort leben Neugier, Fantasie und Gelegenheit. Es lohnt sich, dieses Gebiet zu betreten.

An diesen Ort kommen Sie, wenn Sie drei Dinge tun:

  1. Geben Sie zu, wenn Sie es nicht wissen: So zu tun, als würde man alles wissen, ist nicht nur stressig und macht Angst - es nervt Ihre Mitmenschen schnell. Sie müssen auch nicht alles wissen, das verlangt niemand von Ihnen. Je früher Sie zuzugeben, etwas nicht zu wissen, desto schneller können Sie unangenehme Gefühle entweder loslassen, um Hilfe bitten oder Ihren Frieden damit finden. Ein wunderschönes Nebenprodukt davon ist die Entwicklung von Selbstakzeptanz und Selbstachtung.

  2. Suchen Sie gezielt nach Dingen, die Sie nicht kennen, die Sie nicht verstehen, über die Sie nichts wissen oder die Sie nicht tun können. Neues zu lernen, andere zu fragen, die Welt zu erkunden, stärkt das Selbstvertrauen, fordert Sie heraus und gibt Ihnen die Möglichkeit zu wachsen.

  3. Erkennen und belohnen Sie Fragen der Menschen um Sie herum. Wenn Sie Aussagen hören wie "Ich weiß nicht, aber ich möchte es herausfinden" zeugt das von wirklicher Größe und sollte unbedingt beachtet und belohnt werden. Denn wir müssen in unserer Gesellschaft ein Umdenken schaffen. Das geht, in dem wir einerseits mit gutem Beispiel vorangehen, aber auch, indem wir Potenzial zum Wachstum erkennen und andere dabei fördern.

Ein Mensch alleine kann einfach nicht alles wissen

Wir brauchen einander, denn wir gelangen nur gemeinsam über ganz unerwartete Wege zu den besten Lösungen und großartig neuen Erfahrungen. Der Gedanke, dass wir stets präzise wissen müssen, wann und wie wir etwas erleben oder erreichen werden, macht nicht nur krank, sondern es schließt andere, vielleicht sogar bessere Möglichkeiten aus.

Fachwissen ist zweifellos enorm hilfreich. Aber es bleibt eines von vielen Werkzeugen in einer sehr großen Toolbox. Nichtwissen ist auch nicht nur ein Zustand, sondern es ist vor allem eine Chance zu wachsen. Das Akzeptieren von Nichtwissen ist eine großartige Möglichkeit über das hinauszugehen, was wir über uns selbst zu wissen glauben, und so mehr darüber herauszufinden, wer wir wirklich sind und sein möchten.