Waren Sie schon einmal so frustriert in Ihrem Arbeitsalltag, dass Sie am Ende eines anstrengenden Tages Ihre Kinder grundlos angeschrien haben? Oder sind Sie jemals unsicher und unruhig gewesen, weil ein Kunde nicht auf Ihre Nachricht reagiert hat und haben ungewohnt fahrig auf eine harmlose Aussage Ihrer Kollegin reagiert? Im Laufe eines Tages erleben wir eine ganze Reihe unterschiedlichster Emotionen.
Wir können nun die Gefühle, von denen wir uns im Moment überwältigt fühlen, wie den Wasserball unter die Oberfläche drücken und weiterarbeiten. Nur wird dies nicht auf Dauer funktionieren, denn das Vermeiden von Emotionen lässt diese nicht einfach verschwinden. Vielmehr verschwenden Sie so wertvolle mentale Ressourcen, die Sie auf andere Weise verwenden könnten. Nicht nur werden so auch negative Gefühle stärker, sondern Sie verlieren auch den Zugang zu Ihren positiven Emotionen wie Freude und Verbindung.
Unsere Emotionen sind Boten. Sie sind die wichtigsten Informanten über unsere Bedürfnisse oder Maßnahmen, die wir ergreifen können. Auf der anderen Seite des Spektrums kann es ebenso anstrengend sein, wenn Sie Ihr Leben von einem sich ständig ändernden Strom von Gefühlen abhängig machen. Wenn Ihre Gefühle besonders stark sind, wie es oft am Arbeitsplatz der Fall ist, können diese Ihre Fähigkeit verzerren, die Situation klar zu sehen und sich auf objektive Fakten über die Situation zu verlassen. Ihre Emotionen sind zwar Hinweise, aber sie sind keine Tatsachen. Sie beeinflussen sicher unser Verhalten, aber sie sind immer nur ein Teil der ganzen Geschichte.
Wie finden Sie das Gleichgewicht zwischen dem Versuch, Ihre Emotionen zu ignorieren und sie Ihr Leben dirigieren zu lassen? Die Antwort besteht darin, zu lernen, Ihre inneren Reaktionen zu akzeptieren, Ihre Gefühle objektiv einzuschätzen und so die Neigung zu negativen Gedankensprüngen zu vermeiden. Das Annehmen kann sogar ein Wettbewerbsvorteil sein – wenn Sie wissen, wie man es effektiv macht.
Unsere Emotionen zu benennen – was Psychologen Etikettierung nennen – ist ein wichtiger erster Schritt, um effektiv mit ihnen umzugehen. Das ist allerdings schwieriger als es klingt, denn viele von uns haben Probleme damit zu erkennen, was wir wirklich fühlen. Dazu kommt, dass das offensichtlichste Etikett oft nicht das richtige ist.
Dass das so schwierig ist, hat verschiedene Gründe: Uns wurde bereits früh beigebracht zu glauben, dass Emotionen unterdrückt werden sollten. Wir haben bestimmte (manchmal unausgesprochene) gesellschaftliche und organisatorische Regeln, die dagegensprechen, Emotionen auszudrücken. Oder wir haben nie eine Sprache gelernt, um unsere Gefühle detailliert zu beschreiben.
Ein Beispiel: Sie haben einen Kollegen, der im Meeting ständig alle unterbricht und alles besser weiß. Die Meetings mit ihm sind anstrengend, Sie werden dabei jedes Mal wütend. Und so kommen Sie nach einem langen Tag nachhause und lassen sich müde auf das Sofa fallen. Auf die Frage Ihres Lebensgefährten, was denn los sei, antworten Sie, dass Sie einfach nur müde sind.
Gerade Wut und Stress sind zwei der Emotionen, die am Arbeitsplatz am häufigsten vorkommen. In Wahrheit sind es aber oft nur Masken für tiefere Gefühle. Vielleicht sind Sie wütend in dem Meeting, aber wenn Sie es näher betrachten, fühlen Sie sich eventuell doch nur unsicher, weil Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kollege auf alles eine passende Antwort hat und die Sachen einfach auf den Punkt bringt. Oder Sie fühlen sich deswegen müde und gestresst, weil Ihnen der Job aktuell keine Freude macht.
Das Erforschen dieser Fragen eröffnet Ihnen plötzlich eine Welt voller neuer Antworten. Um die Emotionen richtig zu interpretieren und zielführender darauf zu reagieren, braucht es ein differenzierteres Vokabular für Emotionen. Bei Wut agieren wir anders, als wenn es sich um Angst handelt. Das richtige Vokabular führt nicht nur zu mehr Wohlbefinden, sondern Sie können das eigentliche Problem besser erkennen und Probleme effektiver lösen.
Hier sind ein paar Ideen, wie Sie ein genaueres und präziseres Gefühl für Ihre Emotionen bekommen:
Worte sind wichtig. Sie haben Macht. Wenn Sie eine starke Emotion erleben, nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken, wie Sie sie nennen sollen. Wenn Sie das geschafft haben, bleiben Sie aber nicht stehen, sondern versuchen Sie, zwei weitere Wörter zu finden, die beschreiben, wie Sie sich fühlen. Oft versteckt sich hinter dem ersten offensichtlichen Etikett die wahre Bedeutung.
Wir neigen dazu, die erstbesten Beschreibungen zu nehmen, die uns in den Sinn kommen, wie „wütend“ oder „gestresst“, auch wenn unsere Gefühle in diesem Moment vielleicht weitaus weniger extrem sind. Wenn Sie zum Beispiel statt wütend nur genervt sind, kann alleine dieses Wissen Ihre komplette Einstellung und damit Ihr Verhalten ändern. Wenn Sie Ihre Emotionen benannt haben, bewerten Sie sie auf einer Skala von 1 bis 10. Wie sehr spüren Sie die Emotion wirklich?
Versuchen Sie beim nächsten Mal, wenn Sie eine starke Emotion aufkommen spüren, sich zu überlegen, was Sie genau fühlen. Fühlen Sie sich aufgedreht? Oder sind Sie aufgeregt? Vielleicht auch beflügelt oder begeistert? Sind Sie energiegeladen oder entschlossen? Vielleicht fühlen Sie sich auch angespannt, ängstlich oder bedrückt? (Hinweis: Die gewaltfreie Kommunikation bietet eine Liste unterschiedlichster Wörter für Gefühle und Bedürfnisse.)
Sobald Sie begreifen, was Sie wirklich unter der Oberfläche fühlen, können Sie die genau beschriebene Emotion besser ansprechen und Ihre Schlüsse ziehen. Wenn Sie Ihre Unsicherheit und Ihre Angst im Meeting analysieren, ist das produktiver als zu überlegen, wie Sie den Redeschwall Ihres Kollegen stoppen sollen. Und wenn Sie Ihre Frustration bezüglich Ihrer Karriere erkennen, können Sie anfangen, bewusst einen Plan zu schmieden.
Emotionen sind das, was uns Menschen ausmacht. Was Sie zu einer großartigen Person macht, ist, wie Sie reagieren, wenn diese emotionalen Reaktionen auftreten. Sobald viele Menschen anfangen offen über ihre Emotionen zu sprechen, wird es plötzlich in Ordnung. Es wird in Ordnung, darüber zu reden, wie es ist, am Leben zu sein. Wenn Sie Verantwortung für Ihre persönlichen Gefühle und Reaktionen übernehmen, vermitteln Sie dadurch anderen Stärke und Zuversicht. Und das wird andere Menschen motivieren und sie inspirieren.