Was in uns liegt: Job vs. Identität

Neulich war ich auf einem (nicht beruflichen) Event. Small-Talk-Abfänger lauerten an jeder Ecke. Wie es so ist, bin ich mit meinem Steh-Nachbarn ins Gespräch gekommen, und hab mit ihm über das Event geplaudert. Das Gespräch ist nach dem altbekannten Muster abgelaufen: Man plaudert über dieses und jenes. Wenn die Dinge gut laufen, rastet das Gespräch bei einem bestimmten Thema ein: Das Wetter könnte besser sein oder das Event spannender verlaufen - und schon ist eine Diskussion entfacht. Früher oder später folgt dann die Frage “Und was machen Sie?“

Die Antwort wird intuitiv als Aufforderung interpretiert, Ihre Berufsbezeichnung oder das Unternehmen, für das Sie arbeiten, anzugeben. Der Grund für diese reflexartige Reaktion ist, dass Identität bei den meisten Menschen untrennbar mit Ihrem Job und Ihrer Karriere verbunden ist. Es wird zu einem prägenden Charakter, einer Identität und einer Persönlichkeit. Die Berufsbezeichnungen zeigen Ihren sozialen Status und geben mehr oder minder Aufschluss darüber, wie viel Geld Sie verdienen.

Es ist nichts dabei, sich stark mit seiner beruflichen Rolle zu identifizieren und stolz auf die eigene Arbeit zu sein. Nur ist es so sehr leicht, Ihr wahres Selbst in der Vorstellung Ihrer Rolle oder Ihrer beruflichen Verantwortlichkeiten zu verlieren. Sie sind dann nicht Stefan oder Sandra. Sie sind dann Stefan, der Filialleiter, oder Sandra, die Direktorin. Dieses explizite Hervorheben einer bestimmten Rolle und die Integration davon in das eigene Selbst, wird als Selbstobjektivierung bezeichnet.

Die Objektivierung anderer Menschen, bei der diese auf beispielsweise äußere Merkmale reduziert werden, ist zweifellos problematisch und schädlich. Aber auch die Objektivierung am Arbeitsplatz ist nicht weniger gefährlich. So haben Forscher die Auswirkungen der Arbeitsplatzobjektivierung untersucht und festgestellt, dass sie zu Burnout, Unzufriedenheit und Depressionen führen kann. Das geschieht, wenn Arbeitgeber ihre Mitarbeiter lediglich als Arbeitskräfte sehen, die zur Verfügung stehen. Oder auch, wenn Mitarbeiter ihre Vorgesetzten nur als Geldgeber betrachten.

Was jedoch oft übersehen wird, ist die Gefahr, die von der Selbstobjektivierung ausgeht. Dabei ist die Person, die objektiviert wird, und die Person, die objektiviert, ein und dieselbe. Menschen können sich auf verschiedene Weisen selbst objektivieren: Sei es durch die Beurteilung ihres Selbstwertgefühls anhand äußerer Erscheinungen, ihres wirtschaftlichen Erfolgs, ihrer politischen Überzeugungen und vielem mehr.

All diese Verhaltensweisen führen letztendlich dazu, dass wir die eigene Menschlichkeit auf eine einzige Eigenschaft reduzieren. Das führt dazu, dass es auch andere dazu ermutigt, dasselbe zu tun. Im beruflichen Kontext kann das dahin führen, dass Sie Ihren eigenen Selbstwert anhand Ihres Gehaltsschecks oder Ihres beruflichen Prestige messen.

Die Selbstobjektivierung am Arbeitsplatz ufert nicht selten dazu aus, dass Sie zu Ihrem eigenen unbarmherzigen Arbeitgeber werden, der keinerlei Nachsicht oder Liebe kennt. Selbst freie Tage verursachen schwere Schuldgefühle gefolgt von einem Gefühl der Faulheit. Sie beginnen sich gnadenlos selbst zu verurteilen und setzen sich herab. Auf die Frage “Bin ich erfolgreich?” folgt schlagartig und automatisch die Antwort “Nein - Du musst härter arbeiten”. Unweigerlich tritt der berufliche Niedergang einher oder es folgt zumindest ein Rückschlag, der Sie ausgelaugt und ausgebrannt zurücklässt.

Sich selbst am Arbeitsplatz zu objektivieren, führt nur sehr schwer dazu, dass wir uns glücklich fühlen und das Gefühl bekommen, etwas Sinnvolles zu tun. Dabei sollte die Arbeit immer eine Erweiterung von uns sein, nicht umgekehrt. Sie können aber aus dieser Falle ausbrechen.

Schaffen Sie zunächst eine gewisse Distanz zwischen Ihrem Beruf und Ihrem Leben. Bereits eine räumliche Trennung kann Ihnen eine wertvolle Perspektive verschaffen. Machen Sie zum Beispiel bewusst Pause von der Arbeit. Gehen Sie nach Hause und verbringen Sie Zeit mit den Menschen, die Sie lieben. Treffen Sie sich mit Freunden oder gehen Sie in der Natur spazieren und genießen Sie die Umgebung. Das mag zwar alles ganz offensichtlich klingen, aber trotzdem hapert es oft in der Umsetzung. Wenn wir gewohnt sind, ständig zu arbeiten, fällt es uns gerade am Anfang schwer, sich wirklich eine Auszeit zu nehmen und nicht währenddessen zu arbeiten.

Versuchen Sie auch Freunde zu finden, die einen anderen Blick auf Sie haben und nicht nur Ihr berufliches Selbst sehen. Viele Menschen, die sich selbst objektivieren, suchen nach anderen, die ihre beruflichen Erfolge bewundern und schätzen. Echte Freundschaften, die über den Beruf hinausgehen, werden so erschwert. Schaffen Sie Freiraum, damit Sie Ihren Freunden auch die Gelegenheit geben, Sie als das zu sehen, was Sie wirklich sind. Beginnen Sie bewusst Freundschaften außerhalb Ihres beruflichen Umfelds zu schließen, finden Sie andere Gemeinsamkeiten. Auf diese Weise entwickeln Sie Interessen und Fähigkeiten, die letztlich über Ihre berufliche Rolle hinausgehen.

Wenn wir versuchen, etwas Besonderes zu sein, reduzieren wir uns viel zu oft auf eine einzige Qualität. Wir werden zu einem Zahnrad in einer Maschine, die wir selbst erschaffen haben. Machen Sie nicht diesen Fehler. Sie sind viel mehr als nur Ihr Job. Blicken Sie mutig in einen Spiegel und beginnen Sie auf eine spannende Entdeckungsreise Ihres wahren Selbst zu gehen.