Ihre Pausen machen Sie kaputt – Zeit, das zu ändern — Ingrid Gerstbach - Design Thinking

Ihre Pausen machen Sie kaputt – Zeit, das zu ändern

Im vergangenen Herbst war ich mit einer Führungskraft eines Tech-Unternehmens frühstücken. Er bestellte seinen dritten Espresso, während er mir von seiner wachsenden Unfähigkeit erzählte, strategisch zu denken. „Früher hatte ich täglich Geistesblitze”, sagte er. „Jetzt ertrinke ich in E-Mails und starre stundenlang auf mein Telefon”. Was er beschrieb, war nicht Burnout oder mangelnde Intelligenz – es zeigte ein Problem auf, das uns alle betrifft: mentale Erschöpfung durch falsche Pausen.

Unser Gehirn ist erstaunlich leistungsfähig, aber außerordentlich energiehungrig. Der präfrontale Kortex – zuständig für Entscheidungsfindung und komplexes Denken – nutzt Glukose in einem Tempo, das selbst Leistungssportler beeindrucken würde.

Wenn dieser Bereich ermüdet, geschieht etwas Paradoxes: Wir suchen nach leichter Stimulation – und greifen zum Smartphone. In meinen Gesprächen höre ich immer wieder dieselbe Geschichte: „Nach anstrengenden Workshops oder Meetings scrolle ich zur Entspannung durch X/Instagram/TikTok.“

Aber hier liegt ein fundamentales Missverständnis vor: Social Media bietet keine Erholung für das Gehirn. Es ist wie das Wechseln von anstrengendem Jogging zu leichtem Jogging – während das Gehirn eigentlich hinsetzen, Füße auf hochlegen und ausruhen braucht.

In meiner Arbeit mit Unternehmern jeglicher Branche habe ich ein Muster entdeckt: Die produktivsten unter ihnen praktizieren, was ich „echte Pausen“ nenne. Auch Bill Gates zieht sich zweimal jährlich für „Think Weeks“ zurück – ohne digitale Geräte. Der Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse kultivierte in seinem Garten in Montagnola stundenlang Pflanzen, um seinen Geist zu klären und der Komponist Johannes Brahms unternahm täglich ausgedehnte Spaziergänge durch den Wiener Prater, auf denen viele seiner bedeutendsten musikalischen Ideen entstanden. Was diese Menschen verstanden haben: Wahre kognitive Erholung erfordert nicht passive Unterhaltung, sondern die bewusste Abwesenheit kognitiver Anforderungen.

Eine Studie der University of Michigan hat gezeigt, dass ein 20-minütiger Spaziergang in der Natur die Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit um 20% verbessert. Eine andere Untersuchung des Max-Planck-Instituts fand heraus, dass monotone, manuelle Tätigkeiten die Aktivität in der Region des Gehirns, dem kreativitätsfördernden Default-Mode-Network, erhöhen.

Warum? Wenn wir dadurch unseren präfrontalen Kortex entlasten – durch Naturerlebnisse, monotone Bewegungen oder einfaches Nichtstun – kann unser Gehirn in einen Zustand der „diffusen Aufmerksamkeit“ übergehen. In diesem Zustand werden neue neuronale Verbindungen geknüpft, Ideen verarbeitet und kreative Lösungen gefunden.

Vor einigen Jahren führte ich ein persönliches Experiment durch: Ich ersetzte alle „Smartphone-Pausen“ durch drei alternative Aktivitäten:

  1. Spaziergänge statt Meetings: Wichtige Gespräche führte ich während eines Spaziergangs.

  2. Handarbeit als geistige Erholung: Zwischen Schreibphasen reparierte ich kleine Dinge oder ordnete Bücher.

  3. Bewusstes Fensterstarren: Eine paradox effektive Technik – drei Minuten aus dem Fenster schauen, ohne bewusst an etwas zu denken.

Die Ergebnisse waren bemerkenswert. Meine Schreibproduktivität stieg um etwa 40%, und jene „Aha-Momente“, die früher selten waren, traten nun fast täglich auf.

In unserer Kultur verwechseln wir oft Beschäftigung mit Produktivität und konstante Verfügbarkeit mit Engagement. Wahre Leistungsfähigkeit – besonders bei kreativer und intellektueller Arbeit – entsteht jedoch rhythmisch. Der Philosophieprofessor Cal Newport beschrieb es so: „Produktivität ist wie Atmung – es braucht sowohl Anspannung als auch Entspannung.“

Diese Erkenntnis ist nicht neu. Benjamin Franklin verbrachte täglich Zeit in „Luftbädern“ – nackt vor dem offenen Fenster sitzend, um seinen Geist zu erfrischen. Charles Darwin unterbrach seine wissenschaftliche Arbeit für ausgedehnte Spaziergänge auf seinem „Denkpfad“.

Hier sind drei einfache Praktiken, die ich gerne empfehle:

  1. Die 50-10-Regel: 50 Minuten fokussierte Arbeit, gefolgt von 10 Minuten echter Pause – ohne digitale Geräte.

  2. Monotone Zwischenräume: Integrieren Sie täglich mindestens 20 Minuten monotoner, manueller Tätigkeiten – Abwaschen, Aufräumen, Zeichnen.

  3. Naturkontakt: Selbst wenn Sie in der Stadt leben – suchen Sie täglich grüne Orte auf, und sei es nur für fünf Minuten.

Wir suchen ständig nach der nächsten Produktivitätsmethode, dem neuesten Effizienz-Hack oder der revolutionären Erfolgsformel. Dabei übersehen wir die einfachste und wissenschaftlich fundierteste Methode zur Steigerung unserer kognitiven Leistungsfähigkeit: die bewusste Kunst des Pause-Machens.

Die wahre Meisterschaft im Leben – und in der Arbeit – liegt nicht im ununterbrochenen Vorwärtsdrängen, sondern im rhythmischen Wechsel zwischen intensiver Fokussierung und tiefer Erholung. Nicht im immer Mehr, sondern im bewussten Weniger zu den richtigen Zeiten.

Wenn Sie nur eine Sache aus diesem Artikel mitnehmen, dann bitte diese: Beim nächsten Mal, wenn Ihr Geist ermüdet und Ihre Hand automatisch zum Smartphone greift – halten Sie inne. Stehen Sie auf. Gehen Sie nach draußen. Schauen Sie in den Himmel. Ihre besten Gedanken warten nicht auf dem Bildschirm. Sie warten in den Momenten der Stille.