Von “Mädchen sind schlecht in Mathe” über “Frauen können nicht einparken” oder “alte Menschen sind senil” bis hin zu “Männer können nicht weinen” ist jede soziale Gruppe vertreten. Stereotypen sind ein bisschen wie die Luft, die uns umgibt: unsichtbar und trotzdem immer präsent. Ob wir an diese Aussagen glauben oder nicht: Die Wissenschaft unterstützt all diese Hypothesen im Großen und Ganzen nicht. Männer und Frauen sind hinsichtlich ihrer Neigungen, Einstellungen und Fähigkeiten weitaus ähnlicher, als die meisten denken.
Natürlich gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in verschiedenen Umgebungen wie am Arbeitsplatz. Bei unterschiedlichen Umständen reagieren Menschen einfach ganz unterschiedlich - nicht aufgrund ihres Geschlechts, sondern aufgrund ihrer Situation. Diese Unterschiede beruhen auf den vorhandenen Organisationsstrukturen und Interaktionsmustern, die Männer und Frauen jeweils anders positionieren und dadurch verschiedene Kontexte und Erfahrungen erst möglich machen.
Noch dazu werden solche Erzählungen oft übertrieben und etwaige Unterschiede so verzerrt dargestellt, dass sie unser stereotypisches Denken nur noch weiter füttern. Dabei vergessen wir dann, den Kontext zu betrachten, in dem all diese Dinge passieren.
Wenn Unternehmen erkennen, dass die Verhaltensweisen von Frauen und Männern abhängig von dem jeweiligen Kontext ist – der eigentlich die Effizienz und den Erfolg beeinflusst –, können sie die verantwortlichen Situationen erkennen, verstehen und sie dann ändern. Sonst bleibt es bei den gut gemeinten, aber dennoch nutzlosen Interventionen, die sich letztlich darauf konzentrieren, scheinbar angenehmere Ausgangssituationen für Frauen zu entwickeln. Dabei sollte es zunächst darum gehen, die Umstände als gesamtes zu betrachten und zu ändern, denn die sind es, die überhaupt zu unterschiedlichen Verhaltensweisen führen.
Über den Umgang mit vorherrschenden Rollenbildern
In jedem System, in dem Sie agieren, nehmen Sie in ein bestimmtes Rollenverhalten ein: Sie sind vielleicht ein Elternteil, Freund, Bekannter, Kollege, usw. Jede diese Rolle unterliegt einem bestimmten Stigma, also einer Zuschreibung der Werte und Vorstellungen, mit der wir diese Rolle in der Gesellschaft betrachten. Zwar wollen die wenigsten bewusst in vorherrschenden Stereotypen und Schubladen denken, aber sie helfen uns im Leben schneller Entscheidungen zu treffen und Energie zu sparen. Sie nehmen uns in gewisser Weise das Denken ab. Das Fatale aber ist, dass – wie Studien festgestellt haben – Stereotypen unsere eigenen Leistungen in den uns selbst zugeschriebenen Rollen negativ beeinflussen.
In der Psychologie wird dieses Phänomen als „stereotype Bedrohung“ bezeichnet. Damit ist die Angst gemeint, dass wir etwas tun, das die negative Wahrnehmung einer stigmatisierten Gruppe, der wir angehören, bestätigt. Männer schnitten bei einer Studie über die Entschlüsselung nonverbaler Hinweise schlechter ab, wenn der Test so beschrieben wurde, dass er die „soziale Sensibilität“ messen würde - eine stereotypisch weibliche Fähigkeit. Als die gleiche Aufgabe jedoch unter dem Deckmantel „Informationsverarbeitungstest“ durchgeführt wurde, schnitten Männer viel besser als die weiblichen Teilnehmer ab.
Es reichen auch schon subtile Hinweise: Im Rahmen einer anderen Studie wurde Frauen typische Geschlechterstereotypen vorgeführt. Auch wenn die in den Werbespots gezeigten Dinge nichts mit Führung zu tun hatten, haben die Zuseherinnen nach dem Betrachten der Werbungen keinerlei – typisch männliche – Führungsambitionen bei einer nachfolgenden Aufgabe gezeigt.
Stereotypen werden früh vermittelt
Forscher haben diesbezüglich zwei miteinander verbundene Mechanismen identifiziert, die für diesen Effekt verantwortlich sein könnten:
Stigmatisierte Personen erleben einerseits schnell Angstzustände, die ihre kognitiven Ressourcen erschöpfen und zu schlechterer Leistung führen. Dadurch bestätigen sie wiederum den negativen Stereotyp und verstärken so wiederum die Angst und ihre Minderwertigkeitskomplexe. Ein Teufelskreis.
Wir alle haben andererseits ein bestimmtes Maß an Ressourcen frei, um uns auf Aufgaben zu konzentrieren und Ablenkungen zu ignorieren. Wenn wir nun Situationen erleben, die für uns sehr stressig sind oder die uns zwingen Denkmuster zu unterdrücken, erleben wir Stress. Unsere Ressourcen sind dann auch schneller erschöpft. Das führt dazu, dass wir zu stereotypischen Thesen zurückgreifen, um unsere Energie zu schonen.
Es gibt jedoch Hoffnung unser Denken in Bezug auf Stereotypen zu ändern.
Drei kognitive Denkfehler, die das stereotype Denken aufrechterhalten
Inwieweit Menschen in ihrem Tun und Agieren erfolgreich sind, hängt nicht von der sozialen Gruppe oder vom Geschlecht ab. Der Erfolg ist vielmehr von den Möglichkeiten, die jemand geboten bekommt und ob er/sie sie ergreift, abhängig. Wenn aber in einer Organisation eine miserable Fehlerkultur herrscht, Informationen intransparent sind oder Feedback fehlt, verhalten sich die meisten Menschen automatisch so, dass sie ihre eigenen Erfolgschancen untergraben. Solche Situationen werden allerdings erst von den Unternehmen selbst geschaffen. Die Art und Weise, wie nun jemand darauf reagiert, wird dann schnell zu einer Umschreibung “wie Frauen/Männer eben sind”. Dabei ist es vollkommen menschlich und absolut unabhängig vom Geschlecht, dass Menschen bei der Androhung von Bestrafung weniger Risiken eingehen und sich deswegen zum Beispiel weniger oft zu Wort melden.
Es gibt drei spezielle Denkfehler, die es uns – vollkommen unabhängig vom Geschlecht – so schwer machen, nicht in Stereotypen zu denken.
Spotlighteffekt: Wenn wir gewisse Überzeugungen und Mythen oft genug wiederholen, machen wir sie alleine deshalb schon glaubhaft. Die bloße Vertrautheit macht es unserem Verstand leichter sie zu glauben und sie unhinterfragt zu übernehmen. Dieses Vorgehen spart wertvolle Energie ein, die wir für das Hinterfragen bräuchten.
Der fundamentale Attributionsfehler: Wenn wir versuchen, das Verhalten anderer zu erklären, konzentrieren wir uns eher auf Erklärungen, die auf Persönlichkeitsmerkmalen beruhen und weniger auf den Kontext. Wenn beispielsweise ein Mann in einer Besprechung häufig und energisch auftritt, schließen wir daraus, dass er selbstbewusst ist - wir suchen erst gar nicht nach einer solchen situativen Erklärung. Wenn eine Frau in einer Besprechung still ist, ist die einfachere Erklärung dafür, dass sie schüchtern ist. Solche schnellen Rückschlüsse sind einfach ressourcenschonender als eine alternative Lösung zu bedenken. (Mehr zum fundamentalen Attributationsfehler finden Sie hier).
Bestätigungsfehler: Wir neigen dazu, Beweise zu suchen (und zu finden), die unsere eigenen Thesen unterstützen und Hinweise zu ignorieren, die unsere Thesen in Frage stellen würden. Wenn wir glauben, dass Stereotypen korrekt sind, erwarten, bemerken und erinnern wir uns eher an Situationen, in denen sich Menschen entsprechend verhalten. Dabei übersehen wir aber die vielen anderen Gelegenheiten, in denen sie dies nicht tun.
Vorbilder helfen, Stereotypen abzubauen
Um Stereotypen abzubauen, müssen wir uns aktiv damit auseinandersetzen. Das ist vielleicht aufwendig und mit Zeit und Energie verbunden, aber es lohnt sich und ist absolut notwendig. Deswegen:
Suchen Sie nach Vorbildern: Wir brauchen zugängliche und auch relevante Vorbilder, die uns zeigen, dass das bisherige Denken so nicht stimmt und hinterfragt werden muss. Eine Studie berichtete über den „Obama-Effekt“ auf Afroamerikaner. Immer dann, wenn Obama aus positiven, für diesen Stereotyp untypischen Gründen die Aufmerksamkeit der Presse auf sich zog, hatte das nachweislich einen positiven Effekt auf die abgefragten Prüfungssituationen schwarzer Amerikaner.
Hinterfragen Sie die Erzählungen und fördern Sie kontinuierliches Lernen: Eine andere Methode besteht darin, die eigene Selbstwahrnehmung bewusst zu stärken. Nachdem jeder von uns in unterschiedlichen Rollen agiert, die mit unterschiedlichen Stereotypen unterlegt sind, können wir unseren Fokus auf die Fähigkeiten und Aufgaben richten, die uns eigentlich die Kraft geben. Wenn Sie dazu noch über den Kontext bewusst nachdenken, können sie bestehende Denkmuster ändern.
Es braucht vor allem Mut und Geduld
Wann immer es darum geht, Lösung für bestehende Stereotypen zu finden, sollte der erste Schritt darin liegen, die eigenen Glaubensmuster zu hinterfragen und sie nicht mehr automatisch zu füttern. Unternehmen können ihren eigenen Beitrag leisten, indem sie die Neugierde der Menschen und auch die aktive Suche nach dem Verhalten der Menschen in verschiedenen Kontexten belohnen.
Es reicht nicht, auf die geschlechtsspezifische Unterschiede aufmerksam zu machen, sondern wir müssen eine allgemeine Kultur entwickeln, die jedem Menschen die Möglichkeit gibt, das eigene Potenzial auszuschöpfen. Wenn wir uns der schädlichen Auswirkungen der Stereotypen erst bewusst sind, können wir die Dinge neu interpretieren. Dazu müssen wir sie aber auch ansprechen und uns unserer eigenen Verantwortung bewusst sein.