Immer wieder werde ich gefragt, welche Techniken aus dem Design Thinking ich speziell bei introvertierten und welche bei extrovertierten Personen einsetze. Es scheint, dass es für manch einen eine ganz einfache Entscheidung zwischen zwei Seiten ist. Nach dem Motto „Wollen Sie lieber Kuchen oder Kaffee zum Nachtisch?" wird gefragt "Wollen Sie lieber extrovertiert oder introvertiert sein?“ Entweder – oder. Dabei gibt es doch so viele Farben zwischen schwarz und weiß. So auch bei den Persönlichkeitsmerkmalen. Auch dort sollte es meiner Meinung nach doch vielmehr sowohl-als auch und nicht entweder-oder heißen.
Die Persönlichkeit eines Menschen ist nicht nur eine Frage der Gene. Zwar gilt die Persönlichkeit im Allgemeinen von Geburt an als relativ stabil, allerdings kann sie sich auch durch einschneidende Lebensereignisse ändern. So werden Jugendliche mit dem Einstieg in die Berufswelt oft gewissenhafter oder die Offenheit für Erfahrungen sinkt bei vielen Menschen, wenn sie heiraten. Kommt es später zu einer Trennung, geht es laut Untersuchungen zumindest in der Männerwelt wieder „offener“ zu.
Das Kontinuum zwischen Introvertiertheit und Extraversion zählt zu einem der wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale. Zu jedem Typen gibt es verschiedene Stärken und Schwächen. Ist es dann nicht beunruhigend, dass wir uns zu der einen oder der anderen Seite bekennen sollen und dadurch gewisse Eigenschaften per se ausschließen?
Ein vergessener Persönlichkeitstyp?
Wenn Sie Menschen um sich herumfragen, werden Sie vermutlich schnell herausfinden, dass die meisten Schwierigkeiten haben, sich für die eine oder die andere Seite stark zu machen. Persönlichkeitsmerkmale existieren immer entlang eines eigenen Kontinuums. So ist die Mehrheit von uns weder introvertiert noch extrovertiert - sondern schlichtweg irgendwo in der Mitte angesiedelt.
Eine neuere Studie zeigt, dass die zwei Drittel der Befragten sich weder als introvertiert noch als extrovertiert identifizieren, sondern sich vielmehr in der Mitte einordnen. Menschen, die Tendenzen in beide Richtungen haben, sind demnach ambivertiert. Ob jemand ambivertiert ist, hängt stark von der jeweiligen Situation ab. Je nach Situation und Ereignis neigen Ambivertierte dazu, sich mal als introvertiert und dann wieder als extrovertiert wahrzunehmen.
Ambivertierte Menschen haben den großen Vorteil, dass sie sich an die verschiedenen Situationen anpassen können. Da ihre Persönlichkeit weder introvertiert noch extrovertiert ist, steht ihnen eine größere Vielfalt von Eigenschaften zur Verfügung. So können sie sich auch einfacher in verschiedene Menschen hineinversetzen.
Unser soziales Verhalten wird maßgeblich vom Wohlfühlhormon Dopamin gesteuert. Das wird auch im Gehirn sichtbar, wo sich ein Unterschied zwischen den Gehirnen von introvertierten und extrovertierten Menschen zeigt - vor allem in Bezug darauf, wie sie Belohnungen verarbeiten. So reagiert das Gehirn von Extrovertierten beispielsweise stärker auf den Gewinn bei einem Glücksspiel.
Auch wie Stimulationen generell verarbeitet werden, ist abhängig von unserer Persönlichkeit. So ist der Weg der Stimulation bei Extravertierten viel kürzer. Deren Stimulation bahnt sich durch jene Areale, in denen der Geschmacks- und Tastsinn, aber auch das Sehen und Hören verarbeitet wird. Bei Introvertierten bahnt sich der Impuls einen längeren und komplizierteren Weg durch die Areale, die mit Erinnerung, Planen und Problemlösung verbunden sind. Menschen, die nun ein höheres Maß an Stimulation erleben, gelten demnach als introvertierter. Sie wollen jene soziale Stimulationen vermeiden, die sie ängstlich oder überfordert fühlen lässt. Personen, deren Stimulation gering ist, lässt sie sich langweilen, sodass diese Menschen, extrovertierte Personen, gerade solche sozialen Stimulationen suchen, die ihnen dabei helfen, sich gut zu fühlen.
Die natürliche Stimulation der meisten Menschen schwankt allerdings zwischen diesen beiden Polen und erreicht keines der beiden Extreme. So verspüren Sie vielleicht manches Mal den Drang nach Stimulation, während Sie ein anderes Mal genau diese am liebsten vermeiden möchten.
Wie ambivertiert sind Sie?
Trotz all diesem Wissen empfinde ich persönlich es als wichtig, sich und seine Mitmenschen zumindest ungefähr einzuordnen und so ein besseres Gespür für die eigenen Neigungen zu entwickeln, um bewusst mit den eigenen Stärken und Schwächen umzugehen. Hilfestellungen, um herauszufinden, ob Sie selbst ambivertiert sind, können zum Beispiel Fragen sein wie:
- Es ist mir egal, ob ich Aufgaben alleine oder in einer Gruppe ausführen soll.
- Ich stehe gerne im Mittelpunkt, aber das muss nicht dauernd und auch nicht zu lange sein.
- Ich brauch nicht immer Action, aber zu viel Ruhe langweilt mich ebenso.
- Zu viel Zeit alleine langweilt mich, aber zu viel Zeit mit anderen Menschen erschöpft mich wiederum schnell.
Wenn Sie sich bei den meisten dieser Aussagen wiedergefunden haben, zählen Sie wahrscheinlich eher zu den ambivertierten Menschen.
Ein besseres Gefühl dafür zu gewinnen, wo Sie sich auf der Introvertierungs- bzw. Extraversionsskala befinden, hilft Ihnen, ein besseres Verständnis für Ihr eigenes Denken und Handeln zu bekommen. Dieses Wissen wiederum erhöht Ihr Selbstbewusstsein und Ihre emotionale Intelligenz. Und diese wiederum unterstützt sie, sodass sich auf ganz natürliche Weise Ihre Leistungen generell verbessern. Nicht mehr und nicht weniger.