Wie wir uns selbst hinters Licht führen

Folgende Situation: Nehmen wir an, Sie sind ein glühender Fußballfan und Ihre Lieblingsmannschaft wurde gerade abgestraft, weil ein Spieler ein Foul begangen hat. Als Fan würden Sie die Beurteilung des Schiedsrichters mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nachvollziehen können, sondern Sie würden eher nach Gründen suchen, die gegen das Foul sprechen (z.B. dass der Gegner selbst schuld ist, schließlich wäre er in den anderen „hineingelaufen“). Sie würden alle Anstrengungen dafür einsetzen, um sich und anderen zu beweisen, dass das Foul kein Foul war. Nehmen wir aber nun an, dass die Gegenmannschaft die rote Karte für ein Foul erhalten hat. In diesem Fall fänden Sie die Entscheidung des Schiedsrichters vermutlich fair und würden das Foul nicht Frage stellen.

Der Grund dafür ist, dass Menschen das Bedürfnis erfüllt wissen wollen, dass ihre Welt grundlegend in Ordnung ist. Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, die Kontrolle über das eigene Leben zu haben und mit Sicherheit zu wissen, dass wir mit allem, was auf uns zukommt, irgendwie umgehen können. Keiner will bewusst ein Versager oder ein Außenseiter sein.

Nun ist das Schöne an der Realität, dass sie flexibel ist. Menschen sind demnach so gut wie nie einer Meinung. Das führt schnell zu voreiligen Kritiken und gegenseitigen Anschuldigungen. Um mit dieser Flut an negativen Emotionen gut umzugehen, verzerren manche Aussagen so lange, bis sie positiv ins Bild passen. Dieser Vorgang, der der Verleugnung oder dem Wunschdenken ähnelt, wird motiviertes Denken bzw. motiviertes Schlussfolgern genannt. Wenn Sie eine negative Emotion empfinden, setzen Sie die erste Bewältigungsstrategie ein, die Ihnen in den Sinn kommt, mit dem Ziel sich schnellstmöglich wieder besser zu fühlen. Das ist ein ganz normaler, menschlicher Vorgang. Das Ergebnis ist dann allerdings, dass Menschen entweder nach einem Sündenbock suchen, das Problem verleugnen oder einfach versuchen, Sachen unter den Teppich zu kehren oder zu verharmlosen.

Ich kenne das aus meiner eigenen Erfahrung. Früher wurde ich sehr unruhig, sobald jemand meine Arbeit in Frage gestellt hat. Ich habe dann sofort nach Gründen gesucht, die dessen Behauptungen in Zweifel ziehen - entweder, in dem ich dessen Kompetenz in Frage gestellt habe, oder ich wie besessen nach Hinweisen gesucht habe, warum er oder sie nicht Recht haben kann.

Ich bin grundsätzlich jemand, der sich schwer damit tut Unrecht zu haben. Allerdings ist es mir wichtiger, mich weiterzuentwickeln und mich nicht selbst zu belügen. Deswegen nehme ich Feedback sehr ernst und versuche auch nicht bewusst die Augen vor Kritik zu verschließen. Natürlich ist das nicht immer leicht und manches Mal tut es richtig weh, wenn ich für etwas kritisiert werde, das mir sehr wichtig ist. Ich höre mir aber trotzdem die Argumente an. Allerdings mache ich mir vorher bewusst, dass ich weiß, dass ich immer mein Bestes gebe. Ich habe alles getan, was ich zu diesem Zeitpunkt tun konnte – wenn das nicht gereicht hat, dann tut es mir leid, aber dann kann ich es auch nicht ändern. Dieses Denken gibt mir Trost und Kraft mich mit Kritik auseinanderzusetzen.

Bitte missverstehen Sie mich an dieser Stelle nicht: Es geht mir nicht darum, Ihnen zu erklären, dass Sie aus jeder Zitrone, die Ihnen über den Weg läuft, sofort Limonade machen sollen. Es geht mir vielmehr darum zu zeigen, dass Gefühle wie Angst, Unsicherheit oder Verzweiflung schnell zu einem verzerrten, motivierten Denken führen. Und dieses Denken führt Menschen wiederum dazu, Bewältigungsstrategien auszuwählen, die die Genauigkeit ihres Urteils beeinträchtigen.

Es gibt einen anderen Weg, wie Sie ohne Selbsttäuschung mit negativen Emotionen umgehen können: Sie müssen nach dem, was ich “das Licht am Ende des Tunnels” nenne, Ausschau halten.

Manchmal, wenn ich mitten in einem Streit stecke, bekomme ich den schleichenden Verdacht, dass ich vielleicht eventuell möglicherweise doch nicht ganz Recht habe. Das ist nicht gerade sehr angenehm, deswegen habe ich früher versucht, schnell diesen Gedanken aus meinem Kopf zu bekommen. Der Fokus lag dann darauf, aus der Diskussion als Gewinner hervorzugehen bzw. alles zu tun, um das Gesicht zu wahren. Das ist eine anstrengende Strategie, deren Erfolg selten garantiert ist. Deswegen habe ich mir eine neue Strategie zugelegt: Ich versuche das Licht am Ende des Tunnels zu sehen und mir dabei zu sagen, dass das nicht der Zug ist, der mir entgegenkommt, sondern der Ausgang. Das Schöne ist die Einfachheit und Wirkung dieser Strategie: Ich muss dafür lediglich zugeben, dass sich das Argument der anderen Person logisch und richtig anhört und ich meines daher überdenken möchte. Ich hatte immer Angst, dass ich mich dadurch lächerlich mache. Aber das Gegenteil ist der Fall: Es bringt mir Anerkennung und lässt mich in den Augen meines Gegenübers als glaubwürdiger und kompetenter erscheinen. Ich investiere damit sogar in meine Vertrauenswürdigkeit.

Das Licht am Ende des Tunnels ist für mich wie der Ausblick in die strahlende Zukunft: Am Ende der Strecke liegt eine Lektion bereit, die mir dabei hilft, aus der Erfahrung dieses Weges zu lernen und dadurch ähnliche Fehler zu vermeiden.

Nehmen wir an, Sie haben Ihren Job verloren: Sie könnten nun sagen, dass Sie der Grund dafür ist, dass Ihr Chef Sie nicht mag. Oder Sie sehen das Licht am Ende des Tunnels und lenken Ihren Fokus darauf, dass Sie sich ab nun nicht mehr mit Ihrem cholerischen Chef herumstreiten müssen. Oder vielleicht haben Sie bei einer Kundenpräsentation technische Probleme gehabt, wodurch Sie die mühsam erarbeitete Präsentation doch nicht zeigen konnten und der Kunde enttäuscht ist. Sie könnten entweder damit beginnen sich einzureden, dass es nicht Ihre Schuld war. Oder Sie sehen das Licht am Ende des Tunnels und erkennen, dass es einerseits eine unterhaltsame Anekdote ist, die in neuen Begegnungen das Eis bricht, und andererseits Sie immer ein Backup mitnehmen.

Es geht mir nicht darum, dass Sie sich selbst davon überzeugen sollen, dass Ihr Unglück in Wahrheit eine großartige Sache ist. Es geht auch nicht darum, die Dinge zu rationalisieren. Ich will Sie auch nicht dazu ermutigen, blind in das Licht zu laufen und dabei zu übersehen, dass es doch ein entgegenkommender Zug ist. Vielmehr will ich Ihnen zeigen, wie Sie das Licht als solches erkennen und sich bereit machen können, die Realität zu akzeptieren.

Diese Fähigkeit, die Dinge klar zu sehen und Fakten nicht einfach beliebig zu verzerren, ist kostbar. Tauschen Sie sie nicht gegen emotionalen Komfort ein! Das Schöne ist, dass das auch gar nicht notwendig ist. Wenn Sie merken, dass Sie einen Fehler gemacht haben, dann schämen Sie sich nicht dafür, sondern lernen Sie daraus und seien Sie stolz darauf. Anstatt Überzeugungen, die den Ihrigen widersprechen, sofort abzulehnen, beginnen Sie eine Faszination und Offenheit für die Gegensätze anzunehmen. Versuchen Sie es aus und lassen Sie sich überraschen. Sie werden erstaunt sein, was alles möglich ist, wenn Sie beginnen, die Dinge zu sehen, wie sie sind.