Im vorherigen Blogartikel bin ich der Frage nachgegangen, warum es in der Regel einfacher ist, anderen zu sagen, wie sie in einer bestimmten Situation reagieren sollen, als sich selbst dieser Situation zu stellen und dem eigenen Rat zu folgen. In diesem Artikel geht es darum, was das Geben von Ratschlägen einerseits beim Sender und andererseits beim Empfänger auslöst.
Menschen demonstrieren gerne, was sie wissen und können. Wir erleben ein Gefühl der Zufriedenheit, wenn wir anderen mit Ratschlägen weiterhelfen. Aber nicht selten überschätzen wir uns dabei und vergessen, dass das, was für den einen gut ist, nicht automatisch auch für den anderen gilt. Denn jeder Mensch hat seinen eigenen Hintergrund, eigene Erfahrungen und seinen eigenen Charakter.
Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir uns mächtig fühlen können. Das Erteilen von Ratschlägen vermittelt ein besonderes Machtgefühl. Das zeigt auch folgende Studie: Dazu wurden die TeilnehmerInnen gebeten eine Situation zu beschreiben, in der sie - entweder gefragt oder ungefragt - jemanden einen Ratschlag erteilen. Danach füllten sie einen Fragebogen aus, der ihr persönliches Empfinden, wie viel Einfluss sie auf den Beratenden hätten, widerspiegelte. Dabei stellte sich heraus, dass das Machtgefühl stark mit dem Glauben korreliert, wie viel Einfluss der Ratgeber auf eine andere Person hat.
Damit aber nicht genug: Weiters wurde untersucht, ob Menschen, die ihren Machteinfluss ausweiten wollen, tendenziell mehr Ratschläge geben. Um das zu messen, wurden eine Woche vor einer angesetzten Verhandlungen Probanden gebeten, eine Skala auszufüllen, die ihr Interesse an Macht darstellte. Nach den Verhandlungen beschrieben dann die Verhandlungspartner, wie viel Rat sie von ihrem jeweiligen Gesprächspartner erhalten haben. Das Ergebnis: Je mehr jemand an Macht interessiert war, desto eher gab er oder sie Ratschläge. Wenn Menschen also das Gefühl haben, das Verhalten einer anderen Person beeinflussen zu können, erhöht sich automatisch das eigene Machtgefühl um ein Vielfaches. Sogar Menschen, die nicht offensichtlich nach Macht streben, spüren diesen Effekt ganz deutlich.
Ein paar Gedanken für Ratgeber:
Versetzen Sie sich in die andere Person: Wir neigen dazu, Ratschläge oft mit dem Gedanken zu beginnen, wie wir selbst reagieren würden, wenn wir an der Stelle der anderen Person wären. Diese Herangehensweise ist nur leider ineffizient und abschreckend. Denn nur selten kennen wir wirklich das gesamte Bild oder können auch nur ansatzweise nachvollziehen, welche Gedanken und Gefühle den Ratsuchenden tatsächlich begleiten.
Überschreiten Sie nicht Ihre Grenzen: Menschen geben gerne unaufgefordert Ratschläge. Das empfinden die meisten Menschen nicht nur als aufdringlich, sondern befolgen nur in Ausnahmefällen solche Ratschläge. Das Problem ist, dass wir einen Ego-Schub bekommen, wenn wir Ratschläge erteilen - allerdings sind die Kosten dafür erheblich. Menschen, die ungefragt Ratschläge geben, verlieren schnell an Glaubwürdigkeit und Einfluss.
Identifizieren Sie das wirkliche Problem: Sammeln Sie zunächst immer Informationen, um ein klares Bild des Problems zu entwickeln. Das ist aber gar nicht so einfach. Oft passiert es, dass wir einerseits Ähnlichkeiten mit anderen Herausforderungen sehen, mit denen wir selbst konfrontiert sind. Andererseits vergessen wir manchmal, dass Suchende selbst eine (bewusste oder unbewusste) Agenda haben, die sie verfolgen. All dies wird durch eine irrationale, aber starke Angst, inkompetent zu wirken, verstärkt: Dann passiert es, dass wir grundlegende Fragen nicht stellen, um unseren Expertenstatus nicht zu gefährden.
Seien Sie selbst ein gutes Beispiel: Ratgeber geben manches Mal zu vage Empfehlungen ab, die sich auf allgemeine Ziele oder Verhalten beziehen. Oder sie überwältigen den anderen mit ihrem Fachwissen oder überfordern den Ratsuchenden mit viel zu vielen Ideen und Alternativen. Bevor wir anderen Ratschläge geben oder eine Verhaltensänderung bei anderen fördern möchten, müssen wir Abstand von unserer eingeschränkten Perspektive auf deren Problem nehmen und selber leben, was wir predigen. Mit anderen Worten: Seien Sie selber ein gutes Beispiel, an dem sich andere orientieren können, als ihnen zu sagen, was sie tun sollten.
Ein paar Gedanken für Ratsuchende:
Suchen Sie bereits im Vorfeld die passenden Ansprechpartner aus: Jede Beratung ist einzigartig und spiegelt eine unverwechselbare Kombination von Umständen, Persönlichkeiten und Ereignissen wider. Wenn wir nach einem Rat suchen, ist der Zeitfaktor oft von entscheidender Bedeutung. Deswegen stellen Sie sich lieber vorab ein persönliches Board an Beratern zusammen. Dazu sollten Personen zählen, die Sie nicht nur für ihr Urteilsvermögen und ihre Fähigkeiten schätzen, sondern auch für ihre Stärken, Erfahrungen und Perspektiven.
Definieren Sie im Vorfeld, wie Sie unterstützt werden wollen: Manches Mal möchten wir nur, dass jemand aufmerksam zuhört. Ein anderes Mal brauchen wir jemanden, der mit uns Alternativen durchdenkt. Oder jemand, der die eigene Perspektive erweitert und uns auf Denkfehler hinweist. Je besser Sie selbst wissen, was Sie brauchen und suchen, desto besser kann Ihr Ratgeber Sie tatsächlich unterstützen.
Alles in allem
Egal, ob wir Ratschläge erhalten oder geben: Begrenzte Information und unterschiedliche Perspektiven erschweren immer den Prozess. Als Ratsuchende sollten wir uns bewusst sein, dass wir alle blinde Flecken haben. Auch als Ratgeber stehen wir vor unzähligen Herausforderungen wie unklare Situationen zu interpretieren oder scheinbar offensichtliche Dinge trotz allem zu hinterfragen.
Nach Rat gefragt zu werden macht uns glücklich. Wir fühlen uns dann respektiert und wertgeschätzt. Diesen Respekt und Anerkennung im Auge zu behalten, hilft dabei, Ratschläge zu geben, die dem Suchenden wirklich weiterhelfen und die ihn nicht mit noch mehr Fragezeichen zurücklassen.