Letztens sprach ich auf einer Konferenz, als in der Pause ein Herr zu mir kam. Er sprach mich auf meinen Vortrag an und erzählte mir von seinen Sorgen. Dabei zeigte er mir sein Smartphone „Mein Finanzberater sagt, ich soll alles verkaufen”, seufzte er. „Die Zeiten sind zu unsicher. Aber irgendwie fühlt sich das falsch an.“
Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Als Unternehmensberaterin, die den Schwerpunkt auf Innovation und Veränderung hat, begleite und beobachte ich bereits Jahrzehnte lang Menschen dabei, wie sie auf Unsicherheit reagieren. Und fast immer ist die erste Reaktion dieselbe: Rückzug.
Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem brennenden Gebäude. Der Instinkt sagt Ihnen: Laufen Sie weg, bringen Sie sich in Sicherheit. Doch manchmal ist der einzige Weg nach draußen der Weg durch die Flammen hindurch. Was für ein brennendes Gebäude gilt, trifft auch auf die großen Krisen unseres Lebens zu – ob persönlich, wirtschaftlich oder gesellschaftlich.
In der Finanzwelt kennt man diese menschliche Tendenz unter dem Begriff „Flight-to-safety“ – die Flucht in die Sicherheit. Wenn die Märkte verrückt spielen, verkaufen Anleger ihre riskanten Aktien und kaufen sichere Staatsanleihen. Es ist eine zutiefst menschliche Reaktion: Wenn das Chaos ausbricht, minimieren wir unsere Risikoexposition und verkriechen uns. Das scheint der sichere Weg zu sein.
Doch diese Strategie ist nicht nur finanzieller Natur – sie ist zuallererst eine menschliche. Wir alle kennen Menschen, die nach einer schmerzhaften Trennung beschließen, nie wieder zu lieben. Unternehmer, die nach einem gescheiterten Versuch nie wieder ein Risiko eingehen. Studenten, die nach einer schlechten Note den schwierigen Kurs abbrechen.
Ich muss gestehen, dass ich selbst lange Zeit ein Verfechter der Sicherheitsstrategie war. Bevor ich mich selbstständig machte, suchte ich systematisch nach dem sichersten Weg durchs Leben: Sichere Karriere, sichere Entscheidungen, sichere Investitionen.
Doch 2009, mitten in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit den 1930er Jahren, nach einer schweren Krankheit, beschlossen mein Mann und ich uns selbstständig zu machen. Es war ein Sprung ins Ungewisse, zu einer Zeit, als Think Tanks ums Überleben kämpften und die politische Landschaft von Polarisierung zerrissen war. Wir diskutierten wochenlang. Die vernünftige Entscheidung wäre gewesen, bei unseren sicheren Jobs zu bleiben. Aber dann erinnerte ich mich an etwas, das ich mal irgendwo gelesen habe: „Die größten Chancen tarnen sich oft als die größten Risiken“. Wir sprangen also ins kalte Wasser. Die darauffolgenden Jahre wurden zu den erfüllendsten und lehrreichsten meines Lebens.
Die Geschichte lehrt uns, dass die wirklich transformativen Momente oft aus Mut zur Risikobereitschaft entstehen. Als 1932 die wirtschaftlichen Umstände weitaus bedrohlicher waren als alles, was wir heute erleben – die Arbeitslosigkeit war auf 23,6% gestiegen, das Wirtschaftswachstum lag bei -12,9% –, hielt Franklin D. Roosevelt, damals Präsidentschaftskandidat, eine Rede an der Oglethorpe University in Atlanta, die zum Manifest einer neuen Denkweise wurde.
Seine Antwort auf die Krise war nicht der Rückzug in bewährte Muster, sondern Experimentierfreude und kalkulierte Risikobereitschaft. „Es ist gesunder Menschenverstand, eine Methode zu nehmen und sie auszuprobieren“, sagte er zu den Studenten. „Wenn sie versagt, gestehe es offen ein und probiere eine andere. Aber vor allem: Probiere etwas aus.“
Diese Worte waren revolutionär, weil sie dem konventionellen Krisenmanagement widersprachen. Statt auf Nummer sicher zu gehen, plädierte Roosevelt für systematisches Experimentieren. Er gewann die Wahl und tat genau das – er startete den New Deal, ein beispielloses Experiment in Regierungsführung, das die Rolle des Staates im amerikanischen Leben für immer veränderte.
Nicht alle Programme des New Deal waren erfolgreich. Manche scheiterten spektakulär. Aber Roosevelt hielt sich an sein Versprechen: Er probierte etwas aus, und wenn es nicht funktionierte, probierte er etwas anderes. Diese Bereitschaft zum intelligenten Scheitern wurde zur Grundlage für Amerikas wirtschaftliche Erholung.
Moderne Neurowissenschaft hilft uns zu verstehen, warum Roosevelts Ansatz so kraftvoll war. Unser Gehirn ist darauf programmiert, Bedrohungen zu vermeiden – ein Überlebensinstinkt, der unseren Vorfahren in der Savanne das Leben rettete. Doch in der modernen Welt führt diese Programmierung oft zu suboptimalen Entscheidungen.
Dr. Antonio Damasio, einer der führenden Neurowissenschaftler unserer Zeit, hat gezeigt, dass Menschen mit Schäden in bestimmten Gehirnregionen – Bereichen, die für emotionale Bewertung zuständig sind – erstaunlich gute finanzielle Entscheidungen treffen. Warum? Weil sie weniger von Angst geleitet werden und rationaler abwägen können zwischen Risiko und Chance.
Das bedeutet nicht, dass wir unsere Emotionen ausschalten sollten. Aber es zeigt, dass unsere erste emotionale Reaktion auf Unsicherheit – Rückzug und Selbstschutz – nicht immer die beste Strategie ist.
Roosevelt verstand etwas Fundamentales über menschliche Natur und Fortschritt: Echte Sicherheit entsteht nicht durch Vermeidung von Risiken, sondern durch die Entwicklung der Fähigkeit, intelligent mit Risiken umzugehen. Es ist ein Paradox, das viele von uns schwer akzeptieren können.
Denken Sie an die erfolgreichsten Menschen, die Sie kennen. Ich wette, ihre Biografien sind voller kalkulierter Risiken: der Studienabbruch, um ein Unternehmen zu gründen; der Umzug in eine neue Stadt ohne Jobgarantie; die Entscheidung, eine sichere Karriere aufzugeben, um einer Leidenschaft zu folgen. Was sie von weniger erfolgreichen Menschen unterscheidet, ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Bereitschaft, trotz Angst zu handeln.
Diese Bereitschaft ist nicht angeboren – sie kann entwickelt werden. Psychologen sprechen von „Antifragilität“, einem Begriff, den der Philosoph Nassim Taleb prägte. Antifragile Systeme werden nicht nur nicht durch Stress geschädigt – sie werden dadurch stärker. Menschen können diese Eigenschaft entwickeln, indem sie lernen, Unsicherheit als Gelegenheit statt als Bedrohung zu sehen.
Aber wie übersetzt man diese Einsichten in praktisches Handeln? Die Antwort liegt in dem, was ich „kalkulierte Kühnheit“ nenne. Es ist eine Haltung, die Roosevelts experimentellen Ansatz mit moderner Risikobewertung verbindet.
Unterscheiden Sie zwischen intelligenten und dummen Risiken: Ein intelligentes Risiko hat ein asymmetrisches Verhältnis von Gewinn zu Verlust – der mögliche Gewinn übersteigt den möglichen Verlust deutlich. Nehmen Sie meine Entscheidung, in die Selbstständigkeit zu wechseln: Im schlimmsten Fall hätte ich nach ein paar Jahren zu einer Festanstellung zurückkehren können. Im besten Fall – und so kam es – öffnete sich eine völlig neue Lebensbahn. Ein dummes Risiko wäre gewesen, unsere gesamten Ersparnisse in eine einzige Aktie zu investieren oder ohne Fallback-Plan alles auf eine Karte zu setzen. Die Frage ist immer: Kann ich mir das Scheitern leisten, und überwiegt der mögliche Gewinn die Kosten des Scheiterns deutlich?
Entwickeln Sie die Fähigkeit zum schnellen Lernen und Anpassen: Roosevelts Stärke lag nicht darin, dass all seine Experimente erfolgreich waren, sondern dass er schnell erkannte, was funktionierte und was nicht. Die National Recovery Administration war ein Fehlschlag – Roosevelt ließ sie fallen. Die Civilian Conservation Corps war ein Erfolg – er baute sie aus. Praktisch bedeutet das: Setzen Sie sich klare Meilensteine und Erfolgskriterien, bevor Sie ein Risiko eingehen. Wenn Sie nach sechs Monaten nicht die erwarteten Ergebnisse sehen, haben Sie den Mut, den Kurs zu ändern oder das Experiment zu beenden. Viele Menschen scheitern nicht am Risiko selbst, sondern daran, dass sie zu lange an gescheiterten Strategien festhalten.
Bauen Sie systematisch Resilienz auf – die Fähigkeit, sich von Rückschlägen zu erholen und gestärkt daraus hervorzugehen: Resilienz hat drei Dimensionen: Zunächst die finanzielle Basis: Genug Rücklagen für sechs bis zwölf Monate ohne Einkommen geben Ihnen die psychologische Freiheit, kalkulierte Risiken einzugehen, ohne in Panik zu geraten, wenn sie nicht sofort funktionieren. Aber Resilienz ist mehr als Geld. Emotional bedeutet sie, dass Sie lernen, Rückschläge als Lernchancen zu sehen, nicht als Katastrophen. Sozial bedeutet Resilienz ein Netzwerk von Menschen, die Sie unterstützen – nicht nur finanziell, sondern auch emotional und mit Rat. Roosevelt hatte sein „Brain Trust”, ich habe meinen Mann und einige vertrauensvolle Berater. Niemand sollte große Risiken ganz allein eingehen.
Als ich dem Herrn auf der Konferenz begegnete, erzählte ich ihm von Roosevelt und von meiner eigenen Erfahrung mit kalkulierter Risikobereitschaft. Wir sprachen eine Zeit lang. Am Ende sagte er: „Vielleicht ist es Zeit, dass ich aufhöre, vor dem Leben wegzulaufen.“
Das ist die größere Lektion: In Zeiten der Unsicherheit ist unser erster Impuls zwar Selbstschutz, doch oft ist es gerade diese Vorsicht, die uns in der Stagnation gefangen hält. Echtes Wachstum – persönlich, beruflich, gesellschaftlich – entsteht an den Rändern unserer Komfortzone.
Das ist keine Aufforderung zu blindem Leichtsinn. Vielmehr geht es um eine bewusste Entscheidung: Wenn wir vor der Wahl stehen zwischen der trügerischen Sicherheit des Stillstands und dem Mut zur kalkulierten Veränderung, sollten wir Roosevelt folgen. Manchmal ist der riskanteste Weg der sicherste – weil er der einzige ist, der uns vorwärtsbringt.
Die Ironie der menschlichen Existenz liegt darin, dass die Suche nach absoluter Sicherheit oft zur größten Gefahr wird: einem Leben ohne Bedeutung, ohne Wachstum, ohne die tiefen Befriedigungen, die nur durch mutiges Handeln entstehen. Roosevelt wusste das. Und vielleicht ist es Zeit, dass wir es auch lernen.

