Warum belügen wir uns selber?

Selbsterkenntnis ist eine grundlegende menschliche Eigenschaft. Wir agieren empathischer und kreativer, wenn wir ein klares Bild von unseren Handlungen und unseren Werten haben. Wir treffen auch bessere Entscheidungen, kommunizieren besser und bauen stärkere Beziehungen auf. Selbsterkenntnis ist die Basis, um andere Menschen zu verstehen.

Selbsterkenntnis hilft Ihnen dabei

  • Ihr Glücksniveau zu erhöhen, indem Sie Ihre Ideale mit Ihren Handlungen in Einklang bringen.

  • besser zu kommunizieren, indem Sie verstehen, wie andere Ihr Verhalten wahrnehmen.

  • Ihre Stärken zu leben, indem Sie erkennen, was Sie gut können und was Sie verbessern müssen.

  • stabile Beziehungen aufzubauen, indem Sie lernen mit Emotionen umzugehen.

  • Stress zu reduzieren, indem Sie Ihre Emotionen zu Menschen und Aufgaben identifizieren.

Trotz all dieser Vorteile haben Forschungen zufolge nur etwa 10-15% der Menschen eine klare Vorstellung von ihrem Selbst. Die meiste Zeit erzählen wir uns Geschichten über unsere Handlungen, die selten einem Realitätstest überstehen würden.

Warum funktioniert Selbstbetrug so gut?

So sagt sich manch einer, dass er/sie wirklich alles versuchen würde, um Aufgaben nicht mehr aufzuschieben. Trotzdem würde dieses Vorhaben einfach nicht klappt, weil ständig dringlichere Sachen auftauchen, die erledigt werden müssen. In Wirklich ist er/sie für jede Ablenkung dankbar und nimmt alles an, nur um sich nicht um die eigenen Projekte zu kümmern. Wir sagen uns Sätze wie „Ich habe noch genug Zeit, ich kann es später auch machen.” oder „Ich hatte heute so einen anstrengenden Tag, ich hab mir eine Pause verdient.“. Solche Aussagen helfen uns dabei, uns besser zu fühlen und ein positiveres Bild von uns selbst zu haben. Sie unterstützen uns, dass wir uns kurzfristig wohl und sicher fühlen. Wir bekommen ein Gefühl einer vermeintlichen Kontrolle über unser Leben, das uns täuschen kann.

Die Voraussetzung für Selbsterkenntnis ist das Nachdenken über sich selbst (Selbstbeobachtung), um darauf aufbauend das eigene Denken und Handeln kritisch zu hinterfragen. Das Gegenteil davon ist Selbsttäuschung, die zur Folge hat, dass wir unseren eigenen Fortschritt und Wachstum erfolgreich sabotieren.

Verschiedene Definitionen von Selbsterkenntnis

Bevor wir uns ansehen, wie Sie Ihre Fähigkeit zur Selbsterkenntnis verbessern können, braucht es zuerst eine Definition, was Selbsterkenntnis überhaupt genau ist - denn wie so oft unterscheiden sich auch hier die Geister.

Der Begriff der Selbsterkenntnis selbst ist schon uralt. So war sie für Sokrates im antiken Griechenland bereits die Bedingung für Sittlichkeit. Auch beim Eingang des Tempels zu Delphi prangte der Spruch „Erkenne Dich selbst“.

In der Psychoanalyse gilt Selbsterkenntnis als Basis für eine erfolgreiche Therapie. Denn dank dieser Fähigkeit haben wir unsere innere Welt im Blick und merken dadurch schneller, wenn sich darin etwas ändert. Andere wiederum verstehen unter Selbsterkenntnis den (objektiven) Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Die Autoren Duval und Wicklund beschreiben erstmals 1973 Selbsterkenntnis als einen Zeitpunkt, an dem wir die Aufmerksamkeit auf uns richten und das aktuelle Verhalten mit den internen Standards bewerten und abgleichen. Wenn das momentane Verhalten dann nicht mit unseren Werten übereinstimmt, können wir es anpassen.

Diese Definition wurde weiterentwickelt. Die aktuelle Forschung sieht Selbsterkenntnis als Balanceakt zweier unterschiedlichen, manches Mal sogar konkurrierender Gesichtspunkte, nämlich interner und externer Selbsterkenntnis. Während interne Selbsterkenntnis Ihre Werte, Leidenschaften und Bestrebungen mit den Standards Ihrer Umgebung und Ihren Reaktionen vergleicht und gegebenenfalls anpasst, schließt die externe Selbsterkenntnis beim Vergleich und der Anpassung des Verhaltens die Sichtweise anderer Menschen mit ein. Menschen, die eine Ahnung davon haben, wie andere sie sehen, sind in der Regel sensibler für die Gefühle und Bedürfnisse ihrer Umwelt. Mit anderen Worten: Sie sind empathischer.

Selbstbeobachtung alleine nützt allerdings nicht viel

Bevor Sie Ihre Selbsterkenntnis stärken, sollten Sie sich zuerst bewusst machen, wie gut Ihr momentaner Zugang zu Ihrem Selbst ist. Die einfachste Variante besteht darin, dass Sie eine Liste mit Ihren Stärken und Schwächen aufstellen, die Sie dann anderen mit der Bitte um ehrliches Feedback zeigen. Stimmen die verschiedenen Sichtweisen überein oder haben Sie irgendetwas übersehen?

Sie können den aktuellen Status Ihrer Selbsterkenntnis auch erkennen, indem Sie Ihren persönlichen Entscheidungsprozess analysieren. Dazu schreiben Sie die Motivationen und Gedanken während eines Entscheidungsprozesses auf. Überlegen Sie sich, was in Ihnen vorging und wie Sie sich die Ergebnisse vorgestellt haben. Führen Sie diese Analyse ein paar Monate durch, um besser zu verstehen, wie Sie Entscheidungen treffen, was Sie motiviert und wie Sie den Prozess verbessern können.

Solche Methoden helfen dabei langsam ein tieferes Verständnis dafür zu erlangen, wer Sie sind, was Sie wollen und wie Sie sich im Weg stehen.

Selbstbeobachtung nützt nicht viel

Selbstbeobachtung ist wichtig, aber dadurch alleine bekommen Sie kein besseres Verständnis über Ihr Selbst. Es gibt zwei andere Möglichkeiten, die Sie dabei unterstützen, sich selbst besser kennenzulernen:

1. Stellen Sie sich selbst Fragen

Die wohl am häufigsten angewendete introspektive Frage lautet „Warum?“: Wir stellen uns die Warum-Frage, wenn wir unser Verhalten, unsere Gefühle oder unsere Werte besser verstehen wollen („Warum bin ich mit dem Resultat so unzufrieden?“). Nun ist aber der direkte Zugang zu unseren unbewussten Gedanken, Gefühlen und Motiven oft durch den Alltag verschüttet. Deswegen finden wir Antworten, die sich gut und richtig anfühlen, es aber nicht unbedingt auch sind. Der menschliche Verstand arbeitet selten rational und wir sind Meister darin, die eigenen Schwachstellen auszublenden. Viel eher stürzen wir uns auf die erstbesten Erklärungen, die wir finden, ohne ihre Gültigkeit oder ihren Wert in Frage zu stellen. Wir ignorieren widersprüchliche Beweise und zwingen unseren Geist, sich den anfänglichen Erklärungen anzupassen.

Wenn Sie aber nach dem „Was“ fragen („Was führt dazu, dass ich unzufrieden bin?“), erhalten Sie einen anderen Zugang. Studien zeigen, dass Probanden, die nach Warum-Antworten suchten, ihre Energie darauf verwenden, die Dinge zu rationalisieren. Die „Was“-Probanden hingegen haben sich mehr darauf konzentriert, internes als auch externes Selbstbewusstsein aufzubauen. Statt dem Warum führt das Was demnach zu einem besseren Selbstverständnis.

2. Werden Sie ein guter Zuhörer

Um Feedback von anderen überhaupt annehmen und es integrieren zu können, müssen Sie vor allem zuhören können. Das bedeutet, dass Sie andere Sichtweisen und Perspektiven annehmen - ohne diese gleich zu bewerten oder zu beurteilen. Wenn Sie den wichtigen Personen in Ihrem Leben Ihr Gehör schenken, bekommen Sie nach und nach auch ein Gefühl dafür, wie diese Sie als Mensch wahrnehmen. Es ist unmöglich, ein echtes und vollständiges Bild von sich selbst zu haben, wenn Sie sich nur nach innen wenden. Sie brauchen unterschiedliche Perspektiven, um zu erkennen, wer Sie wirklich sind.

Egal wie viel Fortschritt wir machen, das ganze Leben ist ein Lernprozess. Es gibt immer etwas Neues in dieser Welt zu entdecken. Das ist ein weiterer Grund, warum Selbsterkenntnis so aufregend ist und sich wirklich lohnt.