Fühlen Sie sich überarbeitet?

In den letzten Monaten schien es so, als hätte der Tag viel zu wenige Stunden, als ich eigentlich benötigte, um nur halbwegs mit meinen ganzen Aufgaben fertig zu werden. Von Freizeitvergnügen gar nicht zu reden. Ich hatte das Gefühl, den Überblick verloren zu haben. Vielleicht kennen Sie dieses Gefühl auch. Oder es gibt bei Ihnen Zeiten, in denen Sie sich Sorgen um die Organisation Ihrer Zeit und Produktivität machen. Das Internet bietet zur Abhilfe gefühlt Tausende von Hilfsmitteln und Techniken: Sie können eine neue To-Do-List-App ausprobieren oder einen virtuellen Assistenten einstellen.

Im Normalfall passiert aber Folgendes: Sie werden noch abgelenkter und fühlen sich gehetzter, haben Schwierigkeiten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und die Tage scheinen wie durch Zauberhand einfach zu verschwinden. Das kann passieren, wenn Sie den effektivsten Weg, Zeit zu gewinnen und Ihre Aufmerksamkeit zu lenken, verpassen, nämlich „Nein“ zu all den Anforderungen zu sagen, mit denen Sie bombardiert werden.

Aber es ist nicht einfach, „Nein“ zu sagen, vor allem für bestimmte Menschen. Für mich zum Beispiel fühlt sich ein „Nein“ wie ein Gewaltakt an. Zu wenig „Nein“ – und damit zu viel „Ja“ zu sagen, war für mich immer ein Problem. Es hat sich über meinen Bekanntenkreis hinaus rumgesprochen, dass ich gerne zuhöre und nicht nur mit Lösungen aufwarte, sondern eine neue Perspektive biete. Mir macht es unheimlich viel Spaß wie ein Detektiv auf Spurensuche zu gehen, Geheimnisse zu entlocken und dabei Neues zu entdecken. Der Locus coeruleus meines Gehirns sprüht dann wie ein Feuerwerk massig Dopamin auf meinen dorsalen Hippocampus, was dazu führt, dass ich Freude verspüre und extrem aufgeregt bin. Das Problem ist, dass ich mein „Ja” meistens später bereue.

Mein Problem ist zweifacher Natur. Einerseits habe ich Angst etwas zu versäumen. Menschen verfügen über erstaunliche geistige Zeitreisefähigkeiten. Wir sind in der Lage, uns einen zukünftigen Zustand vorzustellen. Das führt dazu, dass wir vorsichtiger dabei sind, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Die Forschung zeigt, dass sich in den meisten Fällen die Menschen dazu entscheiden, Risiken zu vermeiden. Wenn Sie sich zum Beispiel überlegen, eine Immobilie zu kaufen, überlegen Sie, wie viel Eigenkapital Sie haben und wie hoch der Kredit sein müsste. Sie überlegen, wie das mit der Immobilienblase ist und mieten lieber für ein weiteres Jahr.

Risikovermeidung kann Sie daher daran hindern, Ja zu etwas Wichtigem zu sagen, das sich vielleicht im Nachhinein zu etwas Wunderbarem wie dem Besitz eines Eigenheims führen könnte. Diese Untätigkeit ist eine häufige Quelle des Bedauerns, weil wir uns dann doch wieder vorstellen, wie es hätte sein können, wenn...Aber die Angst vor zukünftigem Bedauern kann auch dazu führen, dass Sie zu vielen Dingen „Ja” sagen, wenn Sie befürchten, eine Chance zu verpassen.

Das zweite Problem besteht darin, die Zukunft im Vergleich zur Gegenwart nicht richtig einzuschätzen. Dieses Phänomen wird Diskontierung genannt. Es ist Vorstellung, dass wir den Moment höher bewerten als einen späteren Zeitpunkt. Eine solche Diskontierung unterstützt nicht gerade meine Entscheidung „Nein“ zu sagen: Künftige Unannehmlichkeiten werden zugunsten der Freude übersehen, die jetzt schon vorhanden ist, wenn man sagt, dass man eine Aufgabe übernehmen wird.

Vielleicht haben Sie weder das eine noch das andere Problem, aber trotzdem sagen Sie viel zu oft „Ja”. In diesem Fall besteht das Problem möglicherweise in einem Pflicht- oder Schuldgefühl. Oder Sie sind einfach ein freundlicher Mensch. Aber „Ja” zu sagen kann in der Tat kostspielig sein, wenn die Menschen in Ihrem Umfeld wissen, dass sie Sie um fast alles bitten können und Sie zustimmen werden.

Eine Studie zeigt allerdings, dass diejenigen, denen es schwerfällt, Anfragen anderer abzulehnen, typischerweise die negativen Folgen einer Ablehnung überschätzen. Mit anderen Worten: Ihre Freundin wird weniger verärgert sein, als Sie erwarten, wenn Sie die Unterstützung ablehnen. Allerdings bleibt noch immer die Schwierigkeit, „Nein” statt „Ja” zu sagen - und das muss gelernt werden.

Hier sind drei Ansätze, die mir helfen

  1. Manches Mal gibt es ganz bestimmte Personen, die einen ständig um einen Gefallen bitten. Nun zeigt die Forschung, dass Menschen, die narzisstische Persönlichkeitsstörung haben, zwei Merkmale auszeichnen: Ausbeutungsbereitschaft und Anspruchsdenken. Wenn Ihnen solche Personen bekannt vorkommen, dann besteht der einfachste Weg darin, dieser Person einfach so weit wie möglich aus dem Weg gehen. Wenn sie kein „Nein” als Antwort akzeptieren, versuchen Sie so gut es geht, dass diese Frage erst gar nicht aufkommt.

  2. Machen Sie sich das Ja schwieriger. Sie können sich entweder das Nein-Sagen erleichtern, oder das Ja-Sagen erschweren. Bei Anfragen, die längere Zeit in Anspruch nehmen könnten, erbitte ich mir mehr Bedenkzeit. Dann stimme ich mit meinem Mann ab, wie sehr ich wirklich helfen kann oder ob das neue Projekt nur deshalb so spannend klingt, weil ich gerade einen Dopamin-Schub erlebe. In den meisten Fällen klingt dasselbe Projekt, das vor zwei Tagen noch wie die Chance meines Lebens klang, ein paar Tage später wesentlich uninteressanter.

  3. Verkomplizieren Sie es: Wenn es Ihnen wie mir geht, bekommen Sie etliche Spam-Mails am Tag. Um sich davon zu befreien, müssen Sie ans Ende der jeweiligen Nachricht scrollen und nach einem winzigen Abbestellen-Link suchen. Dieser “Opt-out”-Vorgang, bei dem sich der Empfänger jederzeit aus einer Liste austragen kann, wird gesetzlich vom Absender verlangt. Wenn Sie sich selbstständig in eine Liste eintragen, bekommen Sie hingegen eine “Opt-in”-Nachricht, die Sie aktiv bestätigen müssen und mit der Sie Ihre Zustimmung geben, dass Sie freiwillig zugespamt werden wollen. Nun ist es sehr viel einfacher und geht auch schneller, eine E-Mail zu löschen, als sich abzumelden, sodass die E-Mail weiterhin kommt - wenn auch nur mit Ihrer stillschweigenden Erlaubnis. Wenn es nun darum geht, Ja oder Nein zu sagen, formulieren Sie jede Entscheidung über eine neue Aufgabe als “Opt-in” statt als “Opt-out”. Wenn Sie also um einen Gefallen gebeten werden, sollte Ihre Standardantwort immer ein „Nein und niemals ein „Ja sein. Dadurch machen Sie das Nein zur einfacheren Antwort.

Seitdem ich begonnen habe öfters „Nein” als „Ja” zu sagen, sage ich automatisch mehr „Ja” zu den Dingen, die mir wirklich wichtig sind. Und etwas Erstaunliches tut sich dabei auf: Je mehr ich „Nein” sage, desto besser weiß ich wieder, wer ich wirklich bin und was ich wirklich will. Und das fühlt sich erstaunlich gut an.