Wenn ich mit meinen Beratungen in Unternehmen starte, beginne ich jedes Mal mit dem, was ich das "empathische Gespräch" nenne: Ich versuche durch wirkliches Zuhören herauszufinden, wie sich Menschen in Unternehmen oder als Kunden von Unternehmen tatsächlich fühlen, wie sie handeln und welche Gedanken sie umtreiben. Ich liebe diesen Teil meiner Arbeit besonders, weil sich auf diese Weise Zutritt in Welten eröffnet, die mir vorher noch verschlossen waren.
Bei diesen Gesprächen landen wir zumeist früher oder später an einem Punkt, an dem wir über die Bedeutung von persönlichem Glück reden. Oft höre ich dann Antworten wie „Glück ist ein Gefühl, das entsteht, wenn ich mit Menschen zusammen bin, die ich liebe“. Aber das ist nicht Glück. Glück ist kein Gefühl. Die Gefühle sind vielmehr der Ausdruck für Glück.
Sozialwissenschaftler gehen von einer Kombination aus drei Phänomenen aus, die für unser persönliches Glück maßgeblich sind: Freude, Zufriedenheit und Sinn. Freude ist eine Emotion, die als Folge einer positiven Erfahrung passiert, während Zufriedenheit der innere Ausgleich ist, beispielsweise als Folge der erledigten Arbeit.
Und dann gibt es noch Sinn. Auf Freude und Zufriedenheit können wir eine Zeit lang verzichten, aber ohne Sinn sind wir verloren. Das wusste auch schon der Psychiater Viktor Frankl: Ohne dem Warum unserer Existenz können wir das Leben nicht ertragen. In der Psychologie gibt es vier Säulen, die für den Sinn elementar sind: Glaube, Familie, Freundschaft und Arbeit. Diese Säulen sind alle nach außen gerichtet und Ausdruck von Liebe für andere. Diese Säulen können Ihnen dabei helfen zu verstehen, wer Sie als Mensch sind. Mein Sinngefühl kommt zum Beispiel von meiner Arbeit, meiner Liebe zu meinem Mann und dem Glauben, dass überall, wo Schatten ist, auch Licht zu finden ist.
Wenn nun eine dieser Säulen wackelt oder ganz fehlt, entsteht eine Art Sinn-Vakuum und die Suche nach einer Alternative beginnt. In solchen Momenten sind wir anfälliger für Menschen und Unternehmen, denen unsere Interessen nicht am Herzen liegen. Und hier setzt für mich die Wichtigkeit von Empathie ein. Denn was wir über Empathie wissen, ist, dass es eine schwierige, wenn nicht gar chaotische Angelegenheit ist.
Empathie ist zwar immer lohnend, aber auch sehr anstrengend und zeitraubend. Eine Voraussetzung, damit Empathie überhaupt entstehen kann, ist, anderen Menschen ohne Wertung wirklich zuzuhören und die eigenen Interessen für einen Moment hintenanzustellen. Wichtig dabei ist, dass Sie nicht vom Gedanken ausgehen „Ich kenne dich und deine Probleme“. Echte Empathie beginnt mit einer anderen Prämisse, nämlich der der radikalen Demut, die sagt: „Ich weiß nicht, wie du dich fühlst, aber ich bin hier, um dir zuzuhören und es besser zu verstehen“.
Um empathisch zu sein, müssen wir uns zunächst selbst zugestehen, dass wir nicht alles wissen. Sie können sich nicht in die Situation eines anderen hineinversetzen, wenn Sie bereits eine vorgefasste Meinung über dessen Leben haben. Allerdings ist es wirklich nicht einfach, keine Vorurteile zu haben. Wir sind darauf ausgerichtet, mit anderen in Beziehung zu treten und dabei das auszudrücken, was wir unserer Meinung nach mit ihnen teilen: „Oh, deine Katze ist gestorben! Das tut mir leid, meine ist auch erst vor kurzem gestorben“. „Du hast deinen Job verloren? Oje, das erging mir auch schon mal so, das ist hart“.
Das Gegenteil – die Strategie des Nichtwissens – lässt uns erst für die Wahrheit der Dinge offen sein. Wir müssen zurücktreten und auch akzeptieren und annehmen, dass wir nicht unbedingt wissen, was jemand anderer denkt oder fühlt. Nicht das, was wir wissen, sondern das, was wir bereit sind zu erfahren und zu lernen, macht Platz für Empathie.
Empathie akzeptiert Unterschiede. Bei Empathie geht es nicht darum, konfliktscheu zu sein, im Gegenteil. Empathie ist laut, weil es sich dabei um Menschen handelt, die ganz unterschiedlich aufgrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungen und Meinungen sind. Um empathisch zu sein, müssen wir bereit sein, uns auf den anderen einzulassen, den Konflikt mit ihm oder ihr zu akzeptieren und zu lernen, wie man dabei fair miteinander umgeht. Es geht um vollen Einsatz, der sehr unangenehm werden kann, weil es impliziert die eigene Komfortzone zu verlassen.
Empathie bedeutet auch, dass Sie die notwendige Arbeit leisten, um nicht nur den Ort und das Umfeld zu verstehen, von dem eine Person kommt, sondern vor allem deren Sichtweise. Empathie ist eine Disziplin des grundlegenden Respekts, sowohl persönlich als auch beruflich. Sie haben dann ein Interesse daran, Ihrem Kollegen, Freund, Nachbar zu helfen, die Dinge für ihn oder sie besser zu gestalten. Sie können sich dabei gar nicht langweilen oder abwenden. Aber Empathie ist deswegen nicht altruistisch. Es erweitert vielmehr diejenigen, die es anbieten, und bindet die anderen. Es bekämpft Anomie. Wenn Sie gehört wurden und beginnen empathisch zu agieren, fühlen Sie sich plötzlich als Teil von etwas, das größer ist als Sie selbst.
Empathie ist kein Allheilmittel für soziale Probleme, aber wenn wir uns Veränderungen und sich verändernden Realitäten stellen müssen, ist Empathie der Wegbereiter für konstruktive Veränderungen. Wenn Sie sich für Empathie öffnen, erlauben Sie sich, über Unterschiede hinweg zuzuhören. Empathie hält uns davon ab, andere herabzusetzen oder sie zu ignorieren. Es geht darum, respektvoll und wertschätzend mit anderen umzugehen. Wenn Sie andere respektieren, werden Sie nicht nur ein besserer Kollege, sondern auch ein besserer Freund. Wer also denkt, dass die Arbeit nicht der „Ort“ für Empathie ist, hat meiner Meinung nach Empathie nicht verstanden.