Bitte nicht noch einen virtuellen Kaffee...

Mitten während eines Workshops, bei dem es eigentlich um die Einführung neuer Prozesse ging, überraschte mich der Geschäftsführer eines großen Unternehmens in der Pause mit folgender Aussage: „Ich verstehe nicht, was hier gerade passiert. Ich selbst fühle mich so müde, so erschöpft, so kraftlos.“. Es war gar nicht die Aussage an sich, die mich so überraschte. Es war vielmehr dieser Frust, diese Verzweiflung, dieses Gefühl der Machtlosigkeit, das in diesem Moment so deutlich zu spüren war. Obwohl das Unternehmen besser als je zuvor dastand und auf dem ersten Blick die Mitarbeitenden motiviert wirkten, brodelte etwas Bedrohliches unter der Oberfläche, das niemand mehr einfach so beiseiteschieben konnte.

Im Raum wurde es still. Alle wirkten betroffen und stimmten stumm diesem Gedanken zu. Ein anderer Manager brachte es gut auf den Punkt: „Ich glaube, dass es vielen so geht. Es dauert bis Mails beantwortet werden, die Antworten fallen knapp aus, die Menschen sind gereizt… irgendwie ist das nicht so wie früher. Die Energie, die Freude, der Teamgeist fehlt.“. War es in der ersten Welle noch spannend und lustig, virtuelle Treffen abzuhalten, hatte nun niemand mehr Lust auf einen virtuellen Kaffee oder ein virtuelles Mittagessen. Die Menschen reagierten auch viel schneller emotional als sonst. Mit dieser Erschöpfung, die sich schleichend wie ein Gift ausbreitete, schienen alle schlichtweg überfordert zu sein.

Für dieses neue Phänomen gibt es bereits verschiedene Namen. Die WHO nennt es Pandemie-Müdigkeit oder Corona-Erschöpfung. Diese Begriffe bezeichnen das Gefühl einer ungewohnt starken Belastung in unserem Leben. Das Wissen um einen baldigen Impfstoff und einem Ende der Beschränkungen wirft zwar etwas Licht in diese bedrohliche Dunkelheit, aber das hilft im Moment trotzdem nur bedingt, um dem eigenen mentalen Nebel zu entfliehen. Was ist passiert?

Die erste Welle brachte unsere persönliche Belastbarkeit auf einen Höhepunkt. Nur die wenigsten von uns mussten je zuvor mit einer vergleichbaren Situation umgehen. Diese Ungewissheit aktivierte ein psychologisches Notfallsprogramm in uns, das vor allem das Flucht- und Kampfhormon Adrenalin ausschüttete. Das wiederum sorgte für ein Gefühl der Erregtheit und einer Lebendigkeit in uns.

Die zweite Welle ist aber ganz anders. Sie ist maßgeblich geprägt von Geschichten und Erfahrungen, die wir während der ersten Welle erlebt haben. Wir alle kennen aber diese Geschichten bereits zur Genüge. Statt aufgeregt zu sein, sind wir nun gelangweilt, demotiviert und mental erschöpft. Das führt dazu, dass der brandneue Home-Trainer, der topmotiviert in der ersten Welle gekauft wurde, nun zum teuren Kleiderständer umfunktioniert wird. Auch die virtuellen Meetings, die zunächst ein Gefühl des Zusammenhalts und des kollektiven Trotz suggerierten, lösen jetzt nur mehr ein genervtes Stöhnen aus.

Bei jeder neuen Krise reagieren Menschen zunächst einmal kurzsichtig und schnell. Alles, was dann nicht unbedingt notwendig ist, wird beiseitegeschoben, um die gesamte Kraft in das Dringende zu investieren. Haben wir das dann erledigt, fühlen wir uns erschöpft von dem kurzfristigen Kraftaufwand. Wir bekommen das Gefühl eine Pause verdient zu haben. Wir sind müde und erschöpft. Der Haken an der Sache aber ist, dass Langweile in Wahrheit sogar anstrengender als Stress empfunden wird. Statt stehen zu bleiben, ist es Studien zufolge für unsere mentale Gesundheit sogar besser einfach weiterzumachen und im Tun zu bleiben.

Wenn wir eine Krise erleben oder vor einem unerwarteten, großen Hindernis stehen, setzt ein bestimmter Denkvorgang ein. Wir glauben dann, dass wir nichts gegen das Problem tun können. Ist kein anderer Schuldiger in Sichtweite, müssen wir uns selbst die Schuld geben. Das Problem wird also verinnerlicht - und das lähmt. Aus dieser Lähmung finden wir nur durch handeln. Leichter gesagt als getan, denn neben der Motivation fehlt auch die mentale Kraft dazu, etwas in Gang zu setzen. Der erste Schritt, den Sie setzen müssen, um sich selbst als auch andere wieder zu motivieren, besteht im Finden neuer Wege. Denn es ist die Motivation, die wir brauchen, um zu handeln.

Zum Glück gibt es viele Möglichkeiten, die notwendige Motivation zu finden und neue Energie zu sammeln: Sie können Erfolgsgeschichten miteinander teilen. Oder Sie veranstalten Wettbewerbe, die die Menschen anstacheln. Auf jeden Fall sollten gerade Führungskräfte offen und ehrlich kommunizieren. Das bedeutet, dass, wenn Sie als Führungskraft nicht weiterwissen, Sie das auch zugeben sollten und gleichzeitig zu verstehen geben, dass das noch lange kein Grund zum Aufgeben ist. Im Gegenteil. Sie müssen die Menschen herausfordern und ins Tun kommen. Denn wenn Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, finden sie auch wieder in ihre Energie.

Irgendwann wird auch diese Pandemie so gut wie überstanden sein und eine neue Normalität wird an die Stelle dieser eintreten. Eine, in der Sie wieder wie gewohnt agieren können und nicht mehr nur reagieren müssen. Bis dahin ist allerdings noch ein Stück zu gehen. Wenn Sie aber ein Ziel vor Augen haben, fällt es leichter, die vorhandene Energie besser einzuteilen und neue Energie zu sammeln.

Der gegenwärtige Moment erfordert vor allem viel (Selbst-)Empathie und den Aufbau von kollektiven Trotz gegen die Ungerechtigkeit dieser Pandemie. Dadurch können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und unsere Fähigkeit ausbauen, um die Aufmerksamkeit bei Bedarf auf etwas anderes zu lenken.

Menschen, die sich motiviert und energievoll fühlen, verhalten sich ganz anders als Menschen, die erschöpft sind. Wenn Sie es schaffen, dass Sie und andere sagen „Lass uns loslegen! Wir brauchen neue Lösungen!“, werden Sie sehen, wie schnell sich alle plötzlich erheben, um sich gemeinsam gegen den mentalen Neben in das Licht zu kämpfen.

Wie Sie bei sich und anderen Anzeichen eines Home-Office-Burn-outs erkennen können und was Sie vor allem dagegen tun können, erfahren Sie in diesem Video.