Die Superkraft, die in uns allen schlummert

Vor einigen Jahren leitete ich einen Design-Thinking-Workshop, bei dem eine Teilnehmerin namens Sarah den Raum betrat. Ihre Unsicherheit war deutlich spürbar: verschränkte Arme, gesenkter Blick, zögernde Schritte. Man konnte sehen, dass sie innerlich mit sich kämpfte, unsicher, ob sie ihren Platz in dieser neuen Umgebung finden würde.

Doch im Laufe der Stunden erlebte ich eine faszinierende Verwandlung. Sarah, die zunächst kaum ein Wort sagte, fand langsam ihre Stimme. Zuerst zögerlich, dann immer selbstbewusster, teilte sie ihre Ideen mit der Gruppe. Die Veränderung war greifbar – nicht nur in der Dynamik des Teams, sondern vor allem in Sarah selbst. Am Ende des Tages war es, als ob sie eine neue Energie freigesetzt hätte, die den gesamten Raum erfüllte.

Was war geschehen? Sarah hatte eine tief in uns allen verankerte menschliche Kraft entdeckt, die der Psychologe Albert Bandura Selbstwirksamkeit nennt – den Glauben an die eigene Fähigkeit, bedeutsame Veränderungen herbeizuführen. Ob im persönlichen Leben, im Beruf oder im sozialen Umfeld – Selbstwirksamkeit ist oft unsichtbar, aber sie lenkt unser Handeln auf tiefgreifende Weise.

Banduras Konzept der Selbstwirksamkeit mag auf den ersten Blick wie ein weiterer Selbsthilfe-Trend erscheinen. Doch die Forschung zeigt, dass es sich um einen robusten psychologischen Mechanismus handelt, der unser Verhalten auf tiefgreifende Weise beeinflusst.

Eine Studie der Stanford University zeigte, dass Studierende mit hoher Selbstwirksamkeit nicht nur bessere Noten erzielten, sondern auch gesündere Beziehungen führten und weniger anfällig für Stress und Depressionen waren. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Forscher der University of Pennsylvania fanden heraus, dass Menschen mit starkem Selbstwirksamkeitsglauben sogar schneller von körperlichen Erkrankungen genesen.

Wenn Selbstwirksamkeit so kraftvoll ist, warum kultivieren wir sie nicht bewusster?

In meiner Arbeit mit Menschen aus allen Lebensbereichen – von CEOs großer Unternehmen bis hin zu Studenten, die gerade ihren Weg finden – habe ich immer wieder gesehen, wie Selbstwirksamkeit der entscheidende Faktor für Erfolg und Zufriedenheit ist.

Nehmen wir zum Beispiel Andreas, einen Sandwichmanager, der davon träumte, sein eigenes Unternehmen zu gründen. Jahrelang hatte er diese Idee vor sich hergeschoben, gefangen in einem Netz aus Selbstzweifeln und “Was wäre wenn”-Szenarien. In unseren Gesprächen arbeiteten wir daran, seine Selbstwirksamkeit zu stärken. Wir identifizierten vergangene Erfolge, entwickelten Strategien zum Umgang mit Rückschlägen und visualisierten positive Zukunftsszenarien.

Sechs Monate später kündigte Andreas seinen Job und startete sein Start-up. War es einfach? Keineswegs. Aber seine neu entdeckte Selbstwirksamkeit gab ihm die Kraft, Hindernisse als Herausforderungen und nicht als unüberwindbare Barrieren zu sehen.

Selbstwirksamkeit entsteht aber nicht einfach über Nacht. Sie ist das Resultat bewusster Entscheidungen und gezielter Übungen. Hier sind drei erprobte Methoden, um Ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken:

1. Starten Sie mit kleinen Erfolgen: Albert Bandura nannte diesen Schritt „Mastery Experiences“. Selbstwirksamkeit wächst am besten, wenn Sie sich erreichbare Ziele setzen und diese Schritt für Schritt umsetzen. Wenn Sie etwa eine neue Gewohnheit wie Sport integrieren möchten, beginnen Sie klein: „Diese Woche werde ich dreimal für 10 Minuten joggen.“ Reflektieren Sie nach jedem Lauf, wie Sie sich fühlen, und feiern Sie diese Erfolge bewusst. Sobald sich diese Routine gefestigt hat, erhöhen Sie schrittweise die Herausforderung.

2. Lernen Sie aus Rückschlägen: Fehler sind unvermeidbar, aber Ihre Reaktion darauf entscheidet über den weiteren Weg. Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit sehen Rückschläge als Lernmöglichkeiten. Nutzen Sie die „Post-Mortem“-Methode: Analysieren Sie nach einem Rückschlag, was schiefgelaufen ist, was Sie daraus lernen können und wie Sie es beim nächsten Mal anders angehen. Angenommen, eine Präsentation verlief nicht wie geplant – analysieren Sie den Ablauf und setzen Sie sich klare Ziele, z.B. mehr Zeit für die Vorbereitung der Inhalte einzuplanen.

3. Lernen Sie von Vorbildern: Menschen, die uns inspirieren, können unsere eigene Selbstwirksamkeit stärken. Das Gefühl, dass jemand Ähnliches erreicht hat, was wir selbst anstreben, motiviert und gibt uns das Vertrauen, dass auch wir das schaffen können. Wählen Sie eine Person, die einen ähnlichen Weg gegangen ist, und lernen Sie von ihrem Erfolg. Führen Sie ein Tagebuch, in dem Sie notieren, was Sie von dieser Person übernehmen möchten und wie Sie dies in Ihren Alltag integrieren können.

Selbstwirksamkeit ist keine magische Lösung für alle Lebensprobleme, aber sie ist der Antrieb, der uns in Bewegung hält. In einer Welt, die oft von Unsicherheit und schnellen Veränderungen geprägt ist, brauchen wir diesen Glauben an unsere eigenen Fähigkeiten mehr denn je. Wie Robert Putnam einmal sagte: „Der Aufbau von sozialem Kapital wird nicht einfach sein, aber er ist der Schlüssel zur Funktionsfähigkeit der Demokratie.“ Ich würde hinzufügen, dass Selbstwirksamkeit ein wesentlicher Bestandteil dieses sozialen Kapitals ist.

Es geht nicht darum, perfekt zu sein oder immer das Richtige zu tun. Es geht darum, den ersten Schritt zu wagen – auch wenn Zweifel oder Unsicherheit uns begleiten. Sarah und Andreas haben diesen Schritt gemacht, nicht weil sie sicher waren, sondern weil sie den Mut fanden, ihren Fähigkeiten zu vertrauen.

Die Veränderung beginnt im Kleinen. Feiern Sie jeden Fortschritt, akzeptieren Sie Rückschläge als Teil des Wachstumsprozesses, und erinnern Sie sich daran: Selbstwirksamkeit entsteht nicht durch große, dramatische Momente, sondern durch die stille Entschlossenheit, es immer wieder zu versuchen. Auch Sie haben die Kraft, Hindernisse zu überwinden, Ihre Ideen zu verwirklichen und Ihr volles Potenzial zu entfalten.

Die Frage ist nicht, ob Sie es schaffen können. Die Frage ist, ob Sie den ersten Schritt wagen.